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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 01.11.1875
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1875-11-01
- Erscheinungsdatum
- 01.11.1875
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- Deutsch
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zu sehen. Daher sparte sie nicht mit Aepfeln namentlich zum Dessert, und der gute F. ließ sie sich gar herzhaft schmecken. Ob nun wirk lich die Aepfel jene Wirkung hatten, das konnten wir nur im Allge meinen aus der glücklichen Ehe schließen, da in unserer Gegenwart der Herr Gemahl sich stets Mühe gab, ein möglichst würdevolles und ernsthaftes Gesicht aufzusetzen, und diese Ernsthaftigkeit schien uns wirklich immer aufrichtiger gemeint, je regelmäßiger der für uns jedesmal sehr fröhliche Festtag einer neuen Kindtaufe fast all jährlich wiederzukehren pflegte. Eines Tages, als wir gerade nach einander mehrere wuchtige Ausfälle durch das Gitter gemacht hatten, sagte die gute Frau: „ich weiß nicht, lieber Mann, was das mit den Aepfeln ist; ich habe doch erst neulich einen Scheffel von den schönen Borsdorfer gekauft, und heute kommt mir der Vorrath schon wieder so klein vor " „Hm, hm", meinte der Alte, „da es keine Wunder gibt, so können die Aepfel nur auf natürliche Weise verschwinden. Vermuthlich holst Du nicht allein davon, und", indem er uns einen Seitenblick zuwarf, „es gibt ja allerhand Liebhaber...." In dem Augenblick kam mjx etwas in die Kehle und ich mußte heftig husten Du aber hattest die unvergeßliche Kaltblütig keit, mit der unschuldigsten Miene von der Welt zu sagen: „Ja, und diese Liebhaber sind jedenfalls die Ratten. Ich selbst sah neu lich, wie ich in den: Packraum nebenan war, eine große Ratte bei den Aepfeln, die gerade einen davonschleppen wollte..." „O, die abscheulichen Ratten! Lieber Mann, da müssen wir Gift legen." Ein paar Tage darauf traf Dich das Unglück, einen äußerst kostbaren Lederband, den Du, in Deiner bekannten Geschicklichkeit am Regal hinauskletternd, von hoch oben heruntergeholt, fallen zu lassen, selbst vor Schreck gleichzeitig mit ihm und auf ihn zu fallen, und einen wunderschönen, äußerst scharfen Abdruck der sechs dick köpfigen, scharfkantigen Nägel Deines linken Stiefelabsatzes aus der Lederdecke zu erzielen, — dieser kostbaren sechs Nägel, die Deine gute Mutter Vorsichts und Sparsamkeits halber in jeden Absatz Deiner neuen Stiefel hatte schlagen lassen. Es war zur Schlitt- schuhlaufenszcit. Mein Lebtag vergesse ich nicht das Gesicht, welches Du schnittest, nachdem Du erst selbst den mit sonstigen Schrammen und Brüchen verzierten Schaden aufmerksam geprüft, und dann mir das Leidensobject unter die Augen hieltest. Eine ganze Welt von Schrecken, Wuth, Angst und Aerger lag in Deinen bleichen Mienen. Was half's? Bald darauf fiel dem Herrn Prinzipal der Band, der expedirt werden sollte, in die Hände, während Du Dich wohlweis lich in die finsterste Ecke des Nebenzimmers zurückgezogen hattest. Ein dumpfer Ton des Entsetzens entfuhr dem Chef; tiefer senkte sich Nase und Brille auf die zerstörte Stelle; dunkler färbte sich das Ge sicht Endlich legte er das Buch nieder; immer noch mit dem Finger die Zerstörung Prüfend, sah er mich an. Ich fühlte das Brennen seines Blicks, und wagte nicht aufzusehen; aber, ich glaube, ich schüttelte mit dem Kopfe, oder zuckte mit den Achseln, als Zeichen der Abwehr.... Genug, er schien mich für unschuldig zu halten, und fragte sehr ruhig: „wo ist Wüstewoll?" Wüstewoll kam; nicht schlotternd und zaghaft, nein, mit der ganzen Würde, die das schwerste Unglück einer mannhaften Seele nur verleiht, aufrechten Hauptes, festen Blickes „Wüstewoll", sagte der Chef im tiefsten Ernste, aber mit einem kostbaren Anfluge von Ironie, „die Ratte, die Sie im Keller den Apfel wegschleppen sahen, war sehr groß?" „Ja", erwidertest Du rasch, „und " „Sie hatte auch Stiefel an?" schnitt ihm der Chef das Wort ab, indem er auf die Nägelmahle zeigte Lieber, alter Freund, ich habe Dich immer bewundert wegen Deiner Selbstbeherrschung, Deines Gleichmuths in kritischen Fällen, Deines Muthes und Deiner Schlagfertigkeit...; aber in diesem Falle, dieser elastischen Ruhe des „Alten" gegenüber, da warst Du denn doch vollkommen entwaffnet. Du ließest die Flügel sinken und hieltest es für das Beste, den Rückzug anzutreten Nachmals fand Deine Mutter jenes Buch auf der Rechnung, die noch durch manchen anderen Posten Deiner kleinen Ungeschicklich keiten und Uebergriffe geschwellt war, und sie hat es seufzend und mit bösen Vorahnungen für Deine weitere Entwickelung bezahlt. Gott sei Dank, diese Befürchtungen haben sich grundlos erwiesen. Du bist ein großer Verleger geworden, ein großer Buchdrucker, der mit Dampf und Maschinen in einem Monate mehr producirt, als ich das ganze Jahr verkaufe. Ich, dem die Natur die Elasticität, die Unternehmungslust, den unerschöpflichen Fundborn speculativer Ideen und den Muth der Ausdauer, mit welchen Gaben sie Dich überschüttet, versagt oder nur in geringem Maße gewährt hat —, ich mußte naturgemäß der kleine Sortimenter bleiben. Indessen, alter Freund, glaube nicht, daß ich Dich beneide; zwar wird mein Name nicht in Gesellschaft berühmter Autoren durch die Welt ge tragen; zwar genieße ich nicht den Reiz, der wohlwollende, segen spendende Chef einer großen Zahl von mir beschäftigter Arbeiter zu sein, — doch dafür erlebe ich auch nicht den Verdruß, Maculatur zu drucken (sei nicht bös! welcher Verleger entgeht diesem Schicksal?), und der Verkehr mit dem gebildeten Publicum, dem wisscnsdurstigen Jüngling, dem sammelnden Gelehrten, dem reichen Literaturfreund, sowie das Leben und Weben in der gesammten Bücherwelt, ihren Wandlungen und Erscheinungen, lassen mich meinen Pflichten mit viel innerer und äußerer Befriedigung leben. Nun, lieber Ed, sei nicht böse, wenn auch ich, mit meinen 65 Jahren, wie man es dem Alter vorwirft, etwas plauderhaft werde. Habe ich doch das Bedürfniß, Dich in die gleiche Stimmung zu versetzen, die mich beim Schreiben dieser Zeilen beherrscht oder eigentlich dazu erst antreibt. Es ist die Erinnerung an die Ver gangenheit, an die glückliche Jugendzeit, in der Du für mich keine geringe Rolle spielst. Ich war drei Jahre in der Lehre bei F. in N., als Du als zweiter Lehrling eintratest, damit ich das letzte Jahr meiner Lehrzeit hauptsächlich dazu benutze, Dich „anzulernen". Seitdem wird nun bald, in wenigen Jahren, ein halbes Jahrhundert vorübergegangen sein. Eine lange Zeit! Was haben wir da nicht alles erlebt und durchgekostet: Bitteres und Süßes, Ernstes und Heiteres, und viel, viel Leides! Doch wir wollen uns nicht in Erinne rungen, am wenigsten in trübe, allzusehr versenken; auch wir Alten wollen den Blick der Zukunft offen halten, und, weil wir eine so lange Erinnerung beherrschen, uns mitFreuden bewußt bleiben, daß die Menschheit auch in diesem halben Jahrhundert ganz beträchtliche Fortschritte gemacht hat. Weißt Du, alter Freund, an welchem Falle mir dies so recht klar geworden ist? — Erinnere Dich zunächst der glücklichen Zeit, wie wir nach längerer Trennung uns in S. und in ein und demselben Geschäfte als Gehilfen wieder zusammenfanden. Ich Mitte der Zwanziger und Du ein paar Jahre jünger, wir standen so recht auf dem Höhepunkte unseres Lebens, wo man nur zu bereit ist, sich mit Feuereifer auf alles zu werfen, was Beruf und Leben in tausend wichtigen Fragen dem jungen Manne zu beantworten aufgeben. Ich weiß nicht, ob der Fortschritt auf allen Gebieten immer so raschen Schrittes gegangen ist, wie zu unsrer Zeit; aber sicher ist, daß stets und zu allen Zeiten der junge, aufstrebende, nach Wahr heit dürstende Mann ein ganzes Gerümpel von alten Vorurtheilen, Herkommen, Sitten und Gebräuchen an seine Sohlen geheftet findet, von denen sich zu befreien ihn ein unwiderstehlicher Drang antreibt. Sein Feuereifer, einmal das Richtige erkannt, will kein Hinderniß, keine Schwierigkeit gelten lassen; er stürmt und tobt gegen Einrich tungen, die nur bestehen, weil sie seither so bestanden. Er findet es unglaublich, daß man sich derEinsicht ihrer Verkehrtheit verschließen
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