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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 22.03.1880
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1880-03-22
- Erscheinungsdatum
- 22.03.1880
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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Wir dürfen wohl ohne Uebertreibung annehmen, daß der Ge- sammtverlust, den der deutsche Verlagshandel solchergestalt erleidet, sich nach Millionen beziffert, und wenn wir noch hinzurechnen, was der Sortimentshandel an unverkäuflichen Schulbüchern einbüßt, und „luot, not Isast" die Opfer, welche kinderreiche Eltern zu brin gen haben für die Anschaffungen neuer Schulbücher, so darf man billig fragen: ist es gerechtfertigt, daß um einer orthographischen Marotte willen in einer Zeit wirthschaftlicher und politischer Un ruhe, da die Schäden der sieben Nothjahre noch längst nicht über wunden sind, solche enorme Opfer uns zugemuthet werden? Vergleichen wir damit, mit welcher Sorgfalt bei Gelegenheit der Einführung des neuen indirecten Steuersystems die Verhältnisse unserer einschlägigen Industrien durch Enqusten vorher festgestellt wurden, so springt es so recht in die Augen, mit welcher Rücksichts losigkeit man uns behandelt hat. Keinem deutschen Staate ist es ge stattet, selbst dem mächtigen Preußen nicht, die Industrie-Artikel des deutschen Nachbars von seinen Grenzen fernzuhalten, nur unfern Büchern, den edelsten Producten des Geistes und der In dustrie ist es beschieden, durch einen Federstrich von dem Debit im Nachbarstaat ausgeschlossen zu werden! In einer Zeit, da man auf allen Gebieten in Deutschland nach Einheit und Einigung strebt, wird hier die Uneinigkeit ohne alle Noth künstlich geschaffen und zwar auf einem Gebiete, auf dem die Nation mehr wie auf jedem andern mit Recht auch ein Wort mitzureden hat, auf dem seiner Sprache. Die bekannte „Kreuzzeitung" hat noch in einer ihrer letzten Nummern sehr schlagend nachgewiesen, welche enormen Fort schritte unsere Sprache seit Luther, ja seit Goethe gemacht hat, und zwar ohne Reglementirung von oben; wie Einheit der Schreibung in Wirklichkeit vorliege (man vergleiche nur unsere Zeitungen, die doch die allgemein übliche Orthographie repräsen tiert) und daher nichts weiter nöthig sei, als daß man superklugen Lehrern verbiete, ihre orthographischen Absonderlichkeiten in eine Schule einzuschmuggeln. — Doch die Herren Collegen werden schon gleich uns die Auslassungen der Presse genügend verfolgt haben, so daß wir davon absehen können, ein Mehreres zu repro- duciren. Vou unserem verehrlichen Börsenvorstand können wir nun unseres Erachtens kaum erwarten, daß er Schritte thut, die ganze Noth des Erlasses vom 21. Januar von uns abzuwenden, da er sich durch seine Eingaben an das preuß. Cultusministerium, darin er die orthographische Reform als „kurt ueooinxli" hinnimmt, so zu sagen die Hände gebunden hat; der deutsche Verlagsbuchhandel ist also darauf hingewiesen, selbsthandelnd aufzutreten und hierzu aufzufordern ist Zweck dieser Zeilen. Wir ersuchen also alle diejenigen deutschen Verleger, welche mit unserm Vorschlag einverstanden sind, ihre Zustimmung sofort gegen Hrn. K. F. Koehler in Leipzig auszusprechen, und werden wir dann, wenn ausreichende Betheiligung gesichert ist, schleunigst den Entwurf einer Adresse an den Hrn. Reichskanzler zur Unter schrift vorlegen. — Sollte aber der verehrliche Börsenvorstand in unserem Sinne zu handeln sich noch entschließen können, so treten wir in diesem Fall natürlich sehr gern zurück. Eile ist aber nöthig, da bekanntlich die orthographische Frage in den nächsten Tagen im Reichstage aufs neue zur Discussion kommen wird. —t. XII. Es vergeht kein Tag, an welchem nicht neue Klagen, neue Gesichtspunkte, zustimmende wie verurtheilende Aeußerungen be züglich der Verfügung vom 21. Januar in Angelegenheiten einer neuen Rechtschreibung in die Oeffentlichkeit träten. Wenn trotzdem auch wir uns erlauben, unserer Meinung kurzen Ausdruck zu geben, so geschieht es lediglich in der Absicht, damit den zum großen Theil völlig unbegründeten Beurtheilungen entgegenzutreten und über triebene Befürchtungen auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Es konnte nicht Wunder nehmen, wenn das zeitungslesende Publicum die jüngst an die Reichsbeamten erlassene Verordnung des Hrn. Reichskanzlers als den Ausfluß eines oppositionellen Vor gehens gegenüber der Verfügung des Hrn. von Puttkamer ansah, und daß es diese Verordnung infolge der darin enthaltenen Straf androhung sogar als Zeichen einer zwischen Reichskanzler und Cultusminister herrschenden Animosität „begrüßte". Höchst be fremdlich ist aber der Umstand, daß das zeitungsschreibende Pu blicum, anstatt die Grundlosigkeit solcher Folgerungen nachzuweisen und die öffentliche Meinung zu beruhigen, die Leserwelt (ob aus Unkenntniß der wirklichen Verhältnisse, oder in schadenfroher Hetz absicht) in ihren Zweifeln und Befürchtungen beläßt und bestärkt. Daß zwischen den beiden hohen, sich scheinbar bekämpfenden Be amten ein Antagonismus durchaus nicht besteht, daß vielmehr auf beiden Seiten gleiche Anschauungen vorausgesetzt werden dürfen — dafür ist unseres Erachtens der Nachweis nicht schwer zu führen. Der Hr. Cultusminister hat, wie nun erwiesen ist, in Ueber- einstimmung mit seinem bayerischen Hrn. Collegen, mit der Ver fügung vom 21. Januar die allmähliche Einführung einer einheit lichen Rechtschreibung an den deutschen Schulen ins Werk gesetzt. Mehr wollte und mehr konnte er nicht thun. Nach vergeblichen Ver suchen, gleichzeitig mit ihren sämmtlichen, den Regierungen der deutschen Bundesstaaten angehörenden Collegen vorzugehen, ent schlossen sich die Hrn. Cultusminister der beiden größten Bundes staaten in der von den kommenden Ereignissen hoffentlich durchaus zu bestätigenden Erwartung baldiger Nachfolge, nun ihrerseits die orthographische Bewegung einzuleiten. Seit langer Zeit war die Luft schwül; die orthographische Frage schwebte über unfern Häup tern, erwogen von allen Seiten, ihre Lösung verschoben von Jahr zu Jahr, von Lehrerversammlung zu „Sachverständigen"-Commis- sion — bis sie nun endlich, Gott Lob, in Fluß gekommen ist. Und hierfür gebührt den beiden Hrn. Ministern der allgemeinste Dank. Sehr beklagenswerth allerdings ist die höchst unpraktische Wahl des Zeitpunktes für den Erlaß. Anstatt denselben in denBe- ginn des Schuljahres zu verlegen, um ihn nach Jahresfrist in Kraft treten zu lassen, wird er gegen Ende des Schuljahres promulgirt, wo für das neu beginnende schon von Buchhändlern und Lehrern das gesammte Material vorbereitet war, und tritt dann wenige Wochen später in Kraft. Dieser grobe Mißgriff, der die in jedem Falle unvermeidlichen Verluste zu sonst leicht vermeidlichen, sehr be dauerlichen Vermögensschädigungen vervielfacht hat, ist um so mehr zu tadeln, je einfacher er zu vermeiden gewesen wäre. Abgesehen aber von dieser bureaukratischen Eigenmächtigkeit zollen wie der Maßregel an und für sich unsre volle Anerkennung.*) Sie ist zu nächst für die Elementarclassen der Volksschulen erlassen, und auch hierbei nur, soweit es sich um Einführung neuer Schulbücher handelt, während alte Auflagen ausdrücklich noch aufgebraucht werden dürfen. Wie kommen aber nun Reichsbehörden resp. Reichsbeamte dazu, sich der neuen, vollständig außerhalbderCompetenzdesReiches liegenden Rechtschreibung zu bedienen? Was konnte sie dazu be stimmen? Gewiß nichts, als ihre individuelle Uebereinstimmung mit den Ansichten des preußischen Hrn. Cultusministers in der ortho- *) Wir meinen hiermit nicht, daß wir die neuen „Regeln" als Ideal einer deutschen Rechtschreibung bewundern. Alle Welt wird etwas daran auszusetzen haben; aber alle Welt auch etwas Anderes. Den Meisten gesollt das „ieren" nicht; nun, Heine gefiel es, und der in diesen Fragen eminent kompetenten Redaction des „Literarischen Centralblatt" gefällt es ebenfalls. Aus solche Geschmacksachen kommt es eben, angesichts des großen Vorzuges einer dann hergestellten Uniformität nicht an.
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