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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.12.1897
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1897-12-10
- Erscheinungsdatum
- 10.12.1897
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- Deutsch
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9336 Nichtamtlicher Tell. 287, 10. Dezember 1897. bei Familien in einzelnen Gar?onlogis oder Chambres-garnies (wie die schönen undeutschen und unsranzösischcn Ausdrücke lauten), sondern in sogenannten »Hotels msubles», die in den Straßen des von Tausenden von Studenten bewohnten lateinischen Viertels jedes dritte oder vierte Haus einnehmen. Sie finden in diesen Hotels für alle Ansprüche, für jede Börse eine Unterkunft. Der Vornehmheit des Eingangs und der Nabls ä'böts entsprechen in den ersten Stockwerken möblierte Zimmer von 40—60 und mehr Francs. Scheuen wir uns jedoch nicht und fragen wir nach den Zimmern im Hinterhaus und sagen wir dem liebens würdigen Hauswirt, daß wir gern in lustiger Höhe wohnen, so wird er uns bereitwilligst seinen -Gar>,on- (wie häßlich klingt das deutsche Wort Hausknecht) mitgeben, der uns hoch im fünften Stock ein Giebelzimmer öffnet, das wir für 30 Frcs. bewohnen sollen. Wir fragen ihn, ob er kein einfacheres (halt, dies ist nicht möglich) kein billigeres hat, und auf seine verneinende Antwort entschließen wir uns also, zu bleiben. Der Garyon macht hinter uns die Thüre zu (aber bleiben wir lieber beim Singularis, denn ich erzähle, wie es mir ergangen ist) und neugierig, wie mich all das viele Neue in der Weltstadt gemacht hat, unternehme ich eine -vozags srutour äs ms. obs.wdrs«: Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle, sogar eine Kommode (aus der Zeit des Premier Empire oder noch älter), unter der schräg zum Fenster abfallenden Decke die Wasch-Vorrichtung — voilä toutl Doch nein, wie konnte ich nur das Wichtigste vergessen, den Kamin, der uns sofort an die traulichen Erzählungen -au soiu äu tsu- erinnert und der meiner Behausung entschieden ein fremdländisch-romantisches Gepräge giebt. Und siehe da, nun bemerke ich ja, daß die Kunst sogar in diesen hochgelegenen Dachklausen sich heimisch fühlt; steht da nicht ein leibhaftiges Abbild der Venus von Milo auf der gesprungenen Marmorplatte des Kamins, zwar nur ein kleines bescheidenes Gyps- figürchen, das mich aber beinahe verlockt, sofort hinaus zu eilen und über der Seine drüben in den Louvre zu stürmen, um — nach Schönheit dürstend — das herrliche Originalbild der milonischen Liebesgöttin aufzusuchen und frohlockenden Sinnes all die andern Werke der Kunst anzustaunen, die uns die reichen Schätze des alten stolzen Königsschlosses offenbaren. Aber ich sehe schon, daß ich aus diese Weise heute überhaupt nicht mehr zu Ende käme mit meinem Vortrage; lassen Sie mich deshalb etwas prosaischer fortfahren. So behaglich das lustige Feuerchen im Kamine knistert, so reichi es doch kaum hin, mein Zimmer zu ^rwäimen, und der -xbilo- sopks sous Iss toits. muß sich schon mit dem Rücken ganz dicht vor die Glut setzen, um warm zu werden. Die Heizung ist bei aller Unzulänglichkeit noch verhältnismäßig teuer; zum Glück isl's aber in Paris selten winterkalt, und im Winter 1895 aus 1896 sah ich weder Eis noch Schnee. In dem erwähnten Preise von 30 Frcs. ist weder Frühstück noch Bedienung einbegriffen. Ersteres kostet im Hotel täglich 1 Frc.; da ich mir dies nicht leisten konnte, so kaufte ich mir schon am nächsten Tage eine Kochmaschine und braute mir von nun an meinen Kakao höchst eigenhändig, und er hat mir jedenfalls besser geschmeckt als der Blümchenkaffee, den man so ojt bei den guten Leipziger und Berliner Hauswirtinnen bekommt. Als Trinkgeld bekommt der Gar^on 4—5 Frcs.; doch bezieht er diese nur auf Stube und Bett und ist für andere Dienste nur ganz ausnahms weise gefällig. Nächst der Wohnung ist das wichtigste das Essen. Die Pariser Küche ist berühmt ih-cr Schmackhaftigkeit und der Feinheit wegen, mit der die Speisen auch in den armseligsten Kneipen zubercitet werden. Man ißt entweder in den großen -llssts.urg,vts ä prix üxs- (1 Frc. 25 cts., 1 Frc. 50 cts., 2 Frcs. und mehr das Ge deck), wo ich jedoch fast nie satt wurde, oder -s, earts», sei es in den großen Etablissements Duval und Bouillon, sei es in de» bescheidenen Butiken der -Llaiobunäs äs via». In letzteren kann man für 1 Frc. bis 1 Frc. 50 cts., einschließlich eines Viertels Rotwein, vollkommen satt werden, und sobald man sich erst daran gewöhnt hat, an den marmornen Tischen (öhne Tischtuch — Murger macht in seiner -Vis äs bobsws- den famosen Unterschied eines Essens an gedeckten und eines solchen an nicht gedeckten Tischen) und unter allerlei fahrendem Volk (Studenten, Künstlern, Hand werkern, Kommis rc.) zu essen, wird es einem bald ebensogut schmecken wie in den vornehmen Restaurants. Meist findet man auch Unterhaltung und hat dadurch Gelegenheit, nicht nur die Sprache zu lernen, sondern auch dieses prächtige, französische Bürgervolk bei seiner wichtigsten Beschäftigung kennen und schätzen zu lernen. Nur die politischen Diskurse scheinen manchmal die Eintracht der Gäste stören zu wollen; aber nicht etwa, daß wir Deutsche der Anlaß dazu wären; im Gegenteil habe ich mehr als einmal ge hört, wie von einem der Intelligenteren offen unseres Vaterlandes Vorzüge betont und verteidigt worden sind. Der Franzose ißt meistens mittags und abends (um 12 und gegen 7 bis 8 Uhr) warm und in gleichem Maße, doch habe ich mir des Abends mein Abend brot mit kalter Küche meist selbst besorgt. — Rechnen wir also für Wohnung und Bedienung 35 Frcs., für Frühstück, Mittagessen und Abendbrot täglich 2 Frcs. 50 Cts., pro Monat demnach 75 Frcs, außerdem noch etwa >0 Frcs. für kleine und unvorhergesehene Aus gaben, so haben wir im ganzen 120 Frcs. verbraucht, eS bleiben bei einem verfügbaren Kapital von 150 Frcs. nun immer noch 30 Frcs. für die sogenannten »menus plLisirs-, fürs Vergnügen. (Ich nehme an, daß Sie mit neuer Wäsche und kompletter Garderobe herüber gekommen sind und hierfür im ersten Jahre keine Ausgaben zu rechnen haben, später wird ja der Gehalt größer.) Steuern brauchen Sie bei Ihrem kleinen Einkommen als Fremder über haupt nicht zu zahlen, und Jnvaliditäts- und Krankenkassen giebt, es drüben auch nicht. Sie können nun mit 30 Frcs. Taschengeld keine großen Sprünge machen; aber sie reichen bei gutem Wollen doch hin, um monatlich einige Male ins Theater zu gehen, dessen Preise nicht teurer sind als die unsrigen, eher noch billiger, wie z. B. im Odeon, einem der vom Staate unterstützten Theater, dem zweitbesten Schauspielhause Frankreichs, wo Sie für 1—2 Frc«. aus den obersten Plätzen gut sehen und hören. Auch die guten und berümten Konzerte von Lamoureux und Colonne, die Sonntag nachmittags stattfinden, stellen keine größeren Anforderungen an Ihre Börse, dagegen sind allerdings die Opsra, O^.örs.- eowigus und Oomsäis lr-rvymss teurer; doch lassen sich auch hierfür immer noch 2 Frcs. 50 Cts. erschwingen. Und wie viel gut angebrachte Zeit müssen Sie nicht auf den Besuch der großen Museen des Louvre, des Luxembourg, des Cluny, des UötsI äss luvsliäss und vieler anderer interessanter Sammlungen verwenden, wobei Sie doch absolut keine Ausgaben haben! Und im Frühjahr und Sommer fahren Sie des Abends oder Sonntags auf den schmucken, flinken Seinedampsern für 20, Sonn tags 40 Cts. hinaus aus dem Häusermeer nach Bellevue und St. Cloud, nach dem Bois de Boulogne und dem von Bincennes. Die Fahrt allein ist stets sehr unterhaltend und erquickend, und am Ziele angekommen, wandern Sie entweder durch die schönen Wälder und Parks oder an den Usern des immer belebten Stromes ent lang, trinken bescheiden Ihren Kaffee, Ihr Viertel Wein oder Ihren -Boc- (Helles Bier) und kehren, ohne große Ausgaben gemacht zu haben, stillvergnügt (Sie dürfen auch lautvergnügr sein, wogegen nicht einmal die hohe Polizei etwas einzuwenden hat) nach dem grnrrtisr zurück. Und wenn Sie die weitere Umgebung lockt, da ist vor allem Versailles mit seinem Schloß, .seinen Gärten und Wasserkünsten, das sich daran anschließende entzückende Bworethal, Enghien und Montmorency mit ihrem kleinen See und Miniacur- kurort, St. Germain und sein über der Seine erbautes Schloß, das ein reiches, jedermann zugängliches Museum birgt und von dessen steil zum Strom abfallender langer Terrasse man einen über wältigend schönen Blick nach Paris und ins weite gesegnete Land hinein genießt, Fontainebleau — sein Schloß ebenso berühmt durch die Geschichte als durch den unerhörten Luxus seiner Einrichtung, sein Wald -der schönste Frankreichs- genannt — ich muß wieder abbrcchen, um mich nicht zu verlieren in der Erinnerung an all diese schönen Orte, an denen ich so manche glückliche Stunde ver lebt habe. Auch eine Fahrt ans Meer gehört zu dem, was Sie sich auch bei bescheidenen Mitteln noch erlauben können, gehen doch im Sommer allsonntäglich Dutzende von Sondcrzügen nach der normannischen Küste, so daß Sie bei Auswend, ng von 6 bis 9 Frcs. auch ein paar Stunden Seeluft atmen und das fesselnde Leben und Treiben der Modcbäder Dicppe, HLvre, Trouville oder Bou logne ». Vlsr beobachten und miterleben können. Die Fahrt dahin ist zwar lang (4—5 Stunden hin und ebensoviel zurück), aber sie geht durch das schöne Seinethal und die reiche, blühende Nor mandie und bietet Abwechslung in Hülle und Fülle. Meinen letzten Sonntag im französischen Lande verbrachte ich auf einer solchen Fahrt und an der Kreideküste von Dieppe, bei blauem Himmel und blauer See — nie werde ich diesen Tag vergessen. — Ich habe mich bemüht. Ihnen im zweiten Teil meines Vortrags ein möglichst ehrliches und wahrheitsgetreues Bild zu geben von den Leiden und Freuden, die eines deutschen Buchhandlungsgehilfen jenseits der Vogesen im sonnigen Frankreich warten; wenn ich in einem von Ihnen die Lust geweckt oder die bereits vorhandene Absicht bestärkt habe, nun auch hinüber zu gehen und dieselben Leiden und Freuden durchzukosten, und wenn ich ihm hierzu durch meine Er fahrungen einige Fingerzeige und nützliche praktische Winke gegeben habe, so wird der Zweck meines Vortrags ganz er füllt sein.
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