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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.05.1903
- Strukturtyp
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- 1903-05-04
- Erscheinungsdatum
- 04.05.1903
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- Deutsch
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^5 101, 4. Mai 1903. Fertige Bücher. 3545 Hermann Oostenoble» VerlagsbuckkanÄlung, SerLm M. Uber den vor kurzem erschienenen Roman: lMr» Nonttz« von Donald Wedekind schreibt die „Neue Zürcher Zeitung" : Trotz mancher technischer Unbeholfenheiten und jugendlicher Naivitäten stofflich und literarisch interessant, bedeutend und auch originell ist das soeben erschienene Buch eines jungen Autors: „Ultra. Llontss", Roman von Donald Wedekind. Nicht bloß knüpft die Erzählung an bestimmte und bekannte schweizerische historische Lokalitäten, Zustände und Ereignisse an, sodaß sie den Erdgeschmack eines Stücks Heimatkunst erhält, sondern sie gewinnt ferner durch die Verbindung eines Dokumentes einer jungen Geistesentwicklung in der Form persönlicher Bekenntnisse mit dem ausgesprochenen Charakter eines römisch-katholischen Tendenz- und Konvertitenromans, sowie durch andere Ingredienzien ein gewisses pikantes Interesse. Um die Personen und Ereignisse seines Buches auf festen Boden zu stellen und von vornherein jeden Zweifel über die Wahrheit des Erzählten zu beseitigen, gibt der Verfasser in einer Einleitung eine Schilderung der Gegend, der Menschen, der kulturellen Verhältnisse und politischen Einrichtungen, kurz des ganzen Milieus seiner Helden. Trotz dem wissenschaftlichen An strich, den er der Darstellung dabei gibt, erlaubt er sich Über treibungen und Verallgemeinerungen, wie sie der Jugend eigen tümlich sind. Da der Verfasser zudem die wirklichen Namen nennt und somit auch die Personen seiner Geschichte in einen sehr durchsichtigen Schleier der Pseudonymität hüllt, muß er sich mit der selbst eingeschränkten poetischen Freiheit auch die Kontrolle gefallen lassen. Den Schauplatz seines Romans bildet das Städtchen Lenzburg und dessen Umgebung, die nicht nur zu den schönsten Gegenden des lieblichen, in seiner landschaftlichen Schönheit viel zu wenig gewürdigten Aargaus gehören, sondern zu einer Zeit sich auch durch hervorragenden Sinn für Poesie und Kunst und deren Pflege durch eine ansehnliche Zahl eingeborner Talente auszeichneten. Zum Überfluß haben diese an Schlössern und Burgruinen reichen Landschaften durch den längern Aufenthalt der berühmtesten jüngsten skandinavischen Schriftsteller und durch die literarische Verwertung, die sie durch diese fanden, weitern poetischen, beinahe sogar romantischen Schimmer erhalten. Diese landschaftlich reizende Staffage macht sich der Verfasser zu Nutzen und zieht auch einen der skandinavischen Schriftsteller — Verner von Heidenstam ist unschwer zu erkennen — in den Kreis seiner Familiengeschichte. Deren Kern jedoch bildet das liebliche Idyll einer Kindesliebe zwischen Giovannino, einem jungen, von Major Schürch, dem bürgerlichen Besitzer des Schlosses Wildegg, in die Familie auf genommenen Italieners und der Tochter des Hauses. Die eheliche Verbindung zwischen der kräftig-gesunden Schweizerin und dem künstlerisch reich begabten und temperamentvollen Italiener soll ohne Zweifel die Verschmelzung der germanischen und romanischen Rasse symbolisieren. Indessen enthält die Geschichte dieser Kinderliebe so viele lebensvolle und poetisch hübsche Szenen, daß diese Tendenz kaum bemerkt wird oder gar störend wirkt. Die Gefahr, die der Unschuld des Knaben und der Liebe der Jugendgespielen durch die Leidenschaft der Mutter des Mädchens droht, bildet wie das Bemühen der zwei mithandelnden Ehepaare um den ge wünschten Kindersegen nur die pikanten Folie zu dem Erwachen und den Äußerungen der Sinnlichkeit der unschuldigen Jugend. Gut beobachteter Züge und Episoden aus dem Volksleben enthält der Roman eine ansehnliche Zahl. Man hat das Gefühl, daß der Verfasser auf dem sichern Boden des Selbsterlebten steht, was na türlich der Lebenswahrheit seiner Erzählung zu statten kommt. Zudem ist der Stil des Erzählers, wenn er auch nicht von großer malerischer oder plastischer Kraft, sondern noch etwas blaß ist, doch reichlich mit Elementen optischer und selbst poetischer 'Anschauung gesättigt und zudem sorgfältig und im eigentlichen Sinne literarisch. Das ist ein wertvoller Vorzug des Buches vo» Donald Wedekind. Der junge Dichter weiß nicht nur scharf zu zeichnen, sondern bisweilen sogar zn gestalten. Freilich liegt seine Stärke einstweilen noch mehr in der psychologischen Schilderung, in der er großes Geschick an den Tag legt. Dieses äußert sich denn auch in seiner Vorliebe für Gespräche, in denen er seine philosophischen und Weltverbesserungsideen an den Tag bringt. Diese nehmen einen nicht geringern Raum ein als die Entwicklung und Erzäh lung der Haupthandlung. Manche dieser Ansichten sind unreif und barock, dann aber ist man wieder überrascht über die Fülle richtiger Ich bitte um fernere tätige Verwendung für das Buch. Berlin, 30. April 1903. und feiner psychologischer Beobachtungen und Urteile über Menschen und gesellschaftliche Verhältnisse. Diese Mischung von sich etwas gravitätisch und gesucht witzig Vortragender Reife der Welt- und Menschenkenntnis und plötzlich hervorspringender jugendlicher Naivität macht einen seltsachen Reiz des Buches aus. Aber man kommt dennoch häufig in die Versuchung zu zitieren. Als einzige Stilprobe diene die nachfolgende kurze Landschaftsschilderung: „Immer höher stiegen die Kinder, niedriges Gestrüpp stand auf beiden Seiten, wo Brombeeren reiften und schlanke, glatt rindige Buchen, eben der Schule entnommen, ihre klafterhohen Stämmchen über das Unterholz erhoben, Farnkräuter wucherten und große Glockenblumen ihre mit blauen Blüten besetzten Stengel über das Grün gesenkt hielten. Eine Stelle fand sich, wo ein kleiner Quell aus dem Moos hervorgurgelte, über den Pfad hinwegrieselte, um alsbald wieder unter Stein und Geröll zu verschwinden. Micki hatte sich umgewandt, um auf ihren so tapfer wie möglich folgenden Bruder zu warten. Sie ließ sich zur Erde nieder und genoß das Landschaftsbild, das ihr noch nie so schön erschienen war. „Tief unten winkte das rote Dach von Wildegg aus dem grünen Wald empor. Von hier aus zog sich immer knapp vor den steilen Hängen der Juraberge hin das silberne Band der Aare, bis es sich im Dunst und im Sonnenglast verlor. Das Hügelland breitete sich mit seinen schmucken Dörfern und Städtchen davor aus und die Seebecken von Hallwyl und Baldegg glitzerten wie Spiegel, in einen farbigen Grund eingelassen. Das alles wurde eingeschlossen durch die schneebedeckten Gipfel der Alpen, die bald bläulich, bald rötlich oder blendend weiß leuchteten. . . ." Bis soweit ist in dem Roman, um uns einer beliebten Rede weise zu bedienen, alles schön und gut, man glaubt dem Verfasser die ernste Miene und versieht sich nichts Schlimmem. Auf einmal aber enthüllt er seine Absichten, erzählt eine Geschichte von einem aargauischen Klosterraub, läßt den Vater seiner Heldin im Schlosse eine vermauerte Kapelle entdecken, worin dessen Vater, einer der radikalen Machthaber und Klosterfeinde, geheimen katholischen Gottesdienst gehalten, läßt den braven, protestantischen Major Schürch, den Sohn, ebenfalls katholisch und sogar Oberst der päpstlichen Leib garde werden, läßt zur Trauung des jungen Paares in der Ein siedelei des »Maiengrün« keinen geringern als den Kardinal Pecci kommen und so weiter. Die ganze Geschichte läuft auf die Ver herrlichung der alleinseligmachenden Kirche und in das Schlußwort hinaus: -Ultra Noutss Lsatituäo!« Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll, über den Ernst und die Verstandesreife des ersten Teiles oder den plötzlichen Sprung ins willkürlich Romantische und die fast kind lich-naiv anmutende Wendung am Schluffe des Romans. Ebenso weiß man nicht, welchem Gesichte des Autors man glauben soll, dem weltmännisch-spöttischen und blasierten oder dem demütig ernsten mit dem religiös-verzückten Augenausschlag. Zwar ver steht man die katholische Tendenz des Romans besser, wenn man weiß, daß der ursprünglich protestantische Verfasser selbst den Übertritt zum Katholizismus vollzogen und nun das Bedürfnis gefühlt hat, ihn zu rechtfertigen. Aber es ist wohl nicht erlaubt, als Rezensent von etwas Gebrauch zu machen, was man nicht aus dem Werke selbst erfährt, sondern nur als Privatmann und zu fällig weiß. Immerhin bietet beim nähern Zusehen auch der Roman einen Anhaltspunkt zur Lösung des psychologischen Rätsel. Es fällt uns ein: Der Verfasser ist der gleiche, an dem wir seinerzeit einer etwas lüsternen Novellensammlung wegen eine kleine literarische Hinrichtung vorgenommen haben. Und etwas von dieser Lüstern heit ist auch in seinem frommen Tendenzroman stecken geblieben. Er streift gerne heikle Dinge und hat unverkennbar Freude an der Schilderung sinnlich-schwüler Situationen und Szenen. Da hätten wir also den bekannten Fuß, der bisweilen auch unter einer Soutane hervorguckt. Wie Wielands berühmtes Beispiel beweist, sind religiöse Schwärmerei und Lüsternheit nur scheinbare Gegen sätze, die sich gegenseitig keineswegs ausschließen, sondern sehr nahe beisammen sind. Und die Wandlung, wie sie Wieland als junger Mensch erlebt, ist ohne Zweifel die glaubwürdigere als diejenige in umgekehrter Richtung. Doch wir lassen dahingestellt, welche Miene des Verfassers unseres Romans die wahre sei. Die Hauptsache für uns und ihn ist, daß er ein talentvolles Buch lite rarischen Charakters und zwar ein verheißungsvolles geschaffen hat. Bestellzettel anbei. Jeimann Kostenovle, Verlagsbuchhandlung.
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