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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.06.1907
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1907-06-15
- Erscheinungsdatum
- 15.06.1907
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
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„4? 137, 15. Juni 1907. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d, Ttschn. Buchhandel. 6123 H«rirr Das Berliner Dirnentum. (A Herr Professor Vr. Erich Meyer in Weimar beurteilt die soeben erschienene Gesamt Ausgabe von Ostwald, Das Lertiner Dirnentum, in Nr. 274 des „Berliner Tageblatt" vom 2. Juni 1907 in einem Artikel: 2um Hample gegen äie Unzllllichkeit In den Dienst dieser Bestrebungen stellt sich Hans Ostwald, der seine zehn Hefte „Das Berliner Dirnentum" (Leipzig, Walther Fiedler 1907) in zwei stattlichen Bänden unter dem gleichen Titel zusammengesaßt hat. Ostwald ist eine sehr eigenartige Gestalt der neuen Literatur. Kaum einer kennt so wie er senen fünften Stand, dem sich das allgemein menschliche Interesse immer leb hafter seit den Tagen des Naturalismus zugewendet hat. Seine Sammlung von Liedern aus der Vagabundenwelt und ähnlichen Welten, die in kleinen Bändchen als „Lieder aus dem Rinnstein" erschienen sind, stellen ganz originelle Dokumente dar. In Novellen, Possen und einem Romane hat er seine verblüffenden Kenntnisse dieser -Welten unter der Welt« künstlerisch zu verwerten gesucht. Mit diesem neuen Buche ist er unter die Geschichtsschreiber gegangen. Und zweifelsohne verdient das Buch eine ernst hafte Würdigung. Man ist ja, wie die Verhältnisse heute liegen, genötigt, wenn auch mit Widerwillen, die Frage zu beantworten, ob ein Buch mit einem solchen Titel nicht -unsittlich- sei. Nein, das ist es nicht I Es ist weit entfernt davon, auf lüsterne Leser zu speku lieren. Dabei muß man sagen, daß Ostwald seiner ganzen Art nach nicht einmal nötig hatte, sich einen besonderen Zwang auf zuerlegen, um diese Gefahr zu vermeiden. Er ist hier wie in allen seinen Schriften einfach der Biograph einer Menschenklasse, die im Deutschen Reiche einige hunderttausend Vertreter zählt) er berichtet, was sie tun, und erforscht, was sie denken und empfinden. Er tut das nicht kühl bis ans Herz hinan, sondern immer von dem Gefühl geleitet, daß auch diese Menschen sind, er weist ohne jede Sentimentalität daraus hin, wie auch in diesen Schichten sich findet, was wir als schön und gut wie ein Vorrecht höherer Bildung zu betrachten geneigt sind. Wer es noch nicht erfahren hat, der wird es bei der Lesung dieses Buches an sich erleben, daß diese Dirnenwelt für den Gebildeten allen und jeden sinnlichen Reiz, alles Sirenentum vollkommen verliert, sobald man sie in ihrer ganzen Ausdehnung kennt. Für Unmündige ist solch ein Buch ja nicht geschrieben, aber wenn man es sich etwa in den Händen eines Primaners denkt, so wird man selbst dann noch an nehmen müssen, daß cs in diesem Jüngling sittlichen Abscheu und — was vielleicht noch wertvoller ist — ein furchtbares Grauen vor den entsetzlichen Gefahren und dem widerwärtigen Schmutze erweckt, dcr sich innerhalb weniger Monate an ihn herandrängen wird, so bald er Schule und Elternhaus verläßt. In diesem Sinne ist das Buch sogar im höchsten Grade sittlich zu nennen. Soweit Ostwald Dokumente liefert, die auf seine eigene, vielleicht von keinem anderen erreichte Erfahrung begründet sind, haben wir nur von ihm zu lernen, und jeder, der in diese schwierige und wichtige Materie bessernd eingreifen will, wird gut tun, sich mit diesem Buche zu beschäftigen; jeder Erzieher wird daraus lernen. Anders steht freilich die Sache, sobald man Ostwald als Historiker anpackt, als welcher betrachtet zu werden er ersichtlich den Ehrgeiz hat. Hier kann man ihm eine scharfe Kritik nicht ersparen, und dies um so weniger, als dies Buch sicher nicht das letzte derartige aus seiner Feder bleiben wird. Da er eine Geschichte des Berliner Dirnentums hauptsächlich im 18. und 19. Jahrhundert zu geben versucht, an einigen Stellen aber sogar noch weiter zurückgreist, so muß er diesmal zahlreiche schriftliche Quellen verarbeiten. Da ist es ihm nun ver hängnisvoll geworden, daß er mit der Technik der Geschichtswissen schaft nicht vertraut ist, ja beinahe auf dem naiven Standpunkte steht, alles, was jemals in Memoiren, Briefen und Reisewerken über sein Thema gedruckt worden ist, für bare Münze zu nehmen. In den meisten Fällen hält er eine Quellenangabe für über flüssig und begnügt sich mit halben Andeutungen über seine Fundstätten. Und er würde seinen eigentlichen Zwecken oft genug nur dienen, wenn er seine Quellen nennen, ihre Glaubwürdigkeit durch einige Sätze erhärten wollte. Sieht man, wie unbesehen er die Berichte des berühmten und berüchtigten Vehse über die galante Geschichte der Fürstenhöfe hinnimmt, so kann man sich des Argwohns nicht erwehren, daß er auch sonst ein Opfer seiner Leichtgläubigkeit geworden ist. Das ist zu bedauern, denn es Näheres über Umfang und Preis und Vorzugs-Bedingungen Leipzig, den 14. Juni 1907. steckt ersichtlich ein enormer Forscherfleiß in seinem Buche. Viel leicht entschließt er sich, einmal aus seinen Notizen eine Quellen kunde für dies Gebiet zusammenzustellen, der eine kritische Be leuchtung dieser Quellen beigesügt ist; das würde eine dankens- werte Ergänzung sein. Gerade der Abschnitt über die Beziehungen der preußischen Herrscher zu den galanten Frauen verrät die mangelhafte geschicht liche Bildung des Verfassers. Sollten diese unerquicklichen Dinge wieder in eitovso vorgetragen werden, so erfordert die Würde des Gegenstandes, daß ihre geringe Bedeutung gegenüber solchen histo rischen Größen wie Friedrichll. deutlich hervorgehoben und nicht etwa der Eindruck erweckt wurde, als halte irgend jemand — der Verfasser eingeschlossen — dies für wesentliche Züge in dem Lebensbilde des großen Königs. Sogar die vorbildliche Wirkung seines Ver haltens auf die allgemeine Sittlichkeit ist nicht richtig eingeschätzt. Unbeschadet dieser Ausstellungen behält aber Ostwalds Werk einen dokumentarischen Wert, soweit der Kenner des fünften Standes zu Worte kommt, der vielleicht augenblicklich seinesgleichen nickt hat. Die vor kurzem in Berlin tagenden Kreissynoden haben sick mehrfach mit der Frage beschäftigt, was gegen die wachsende Unsittlichkeit Berlins zu" tun sei. Manche der gefaßten Resolutionen werden durch den von Ostwald ge lieferten Tatbestand als falsch oder widersinnig widerlegt. Andererseits wird man aus seinen Darstellungen den Geist schöpfen müssen, in dem alle Besserungsversuche anzustellen sind, den Geist der Milde und des unbeschränkten Erbarmens gegen über diesen bedauernswerten Geschöpfen. Gerade nach Lesung seiner Schilderungen hat man den lebhaften Eindruck, daß es sich vielfach nur darum handelt, Menschen die helfende Hand zu reichen, die nur auf diese Hand harren, unglücklichen Wesen, die viel weniger not tut unschädlich zu machen, als zu schützen. Den Gesetzgebern empfehlen wir, den letzten Abschnitt des Buches »Die Ausbeuter der Dirnen« zu prüfen und zu beherzigen. Das ist geradezu furchtbar, was Ostwald hier von der »Prostitutions industrie- erzählt, die sich ausgebildet habe. Wir müssen ihm ja natürlich die Vertretung seiner Angaben überlassen; aber wer Berlin kennt, der ist geneigt, alle seine Angaben für richtig zu halten. Wenn Eltern Heranwachsender Knaben und Mäd chen das Ostwaldsche Buch lesen — und es wäre zu wünschen, daß recht viele das täten —, dann werden diese sicher nach der letzten Seite dieses Buches, das eine Anklage schrift und ein Weckruf zugleich ist, sich fragen, was geschehen muß und kann, um die Gefahren, die hier auf die Gesundheit unsers Volkes lauern, einzudämmen. Abgesehen von der herz lichen Sorge um ihren teuersten Besitz werden sie auch das ganz richtige und erwünschte Gefühl haben, daß auf ihnen ein großer Teil der Verantwortung für die Erhaltung der Volksgesundheit ruht. Denn sie sollen die Heranwachsende Generation mit den Waffen ausstatten, die sie aus dem Kampfe gegen jene Dämonen einer irregegangenen Sinnlichkeit als Sieger hervorgehen lassen. Ostwald spricht ja an den verschiedensten Stellen seines Buches von den Mitteln, die etwa zu ergreifen wären; aber er packt das Übel nicht an seiner Wurzel, weil er sich —, dem Thema seines Buches entsprechend — mit der Darstellung eines vorhandenen Übels beschäftigt, das man am liebsten gar nicht entstehen oder mindestens nicht den Umfang annehmen sehen möchte, den es hat. Das eine ist ganz klar, daß der beste Schutz, den wir unfern Söhnen mttgeben können, wenn sie ins Leben hinaustreten, eine Anschauung von den sexuellen Beziehungen wäre, die sich von Grund aus unterschiede von der bis vor einer Generation ausnahmslos anerkannten, jetzt freilich bereits im Schwinden begriffenen, aber doch noch durchaus nicht völlig überwundenen. Sie paßt nicht mehr in unsere Zeit, die alle bestehenden Dinge nach ihrem Warum fragt, für die es das Verbot: „Das sollst du nicht wissen noch kennen lernen wollen" keine Schranke mehr bildet; eine Zeit, die im Gegenteile überzeugt ist und es als eine wertvolle Überzeugung schätzt, daß Nichtwissen nicht schützt, Halbwissen gefährlich ist, ganzes und völlig klares Wissen aber der beste, ja der einzige zuverlässige Führer auf dem Lebenswege. siehe auf „Bestellzettel" und Anzeige auf der letzten Umschlagseite. Walther Fiedler. 800'
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