10161 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Künftig erscheinende Bücher. 233, 5. Oktober 1907. Verlag von Wiegcrndt 6c Grieben (G. K. ^>arasin) in Berlin. 2 In 2—3 Wochen geben wir aus: Erinnevrrngen von ALexan-er Bevzen 2lus dem Russischen übertragen, eingeleitet und herausgegeben von Or. Vtto Buek 2 Bände. Mit 5 Bildern. M. so.—; geb. M. s2.50 R ?ie Erinnerungen Alexander Herzens stellen eins der hervorragendsten Memoirenwerke aus dein 19. Jahrhundert dar. Das ganze, an Ereignissen und inneren Erlebnissen so reiche Leben des Verfassers zieht an dein Blicke des Lesers vorüber: die Kindheit nnd Jugend dieses Repräsentanten des Moskauer Hochadels, die politischen Verfolgungen unter Nikolaus I., seine Auswanderung ans Rußland und sein bewegtes Leben im persönlichen Verkehr mit den großen Politikern, Publizisten und Dichtern der ^8 er Periode: Garibaldi, Mazzini, Grsini, Kossuth, Ledru Rollin, Fazx, Herwegh, Karl Vogt, Heinzen, Struve, Bakuniii n. a. in. Alle diese Persönlichkeiten treten in geistvoller Eharakteriftik hervor und werden vor unseren Augen lebendig. Au diesem äußeren historischen Interesse kommt noch ein inneres psychologisches hinzu. Das Buch spiegelt das seelische Drama eines Mannes, der seinen revolu tionären Glauben fast völlig eingebüßt hat — besonders nach den furchtbaren Vorgängen des Jahres 18H8 —, die Tragik einer Persönlichkeit, die viel zu viel nachgedacht hat und zu sein fühlte, um sich bei der Phraseologie politischer Doktrinäre zu beruhigen und in ihr eine wirkliche Lösung jener sozialen und moralischen Probleme zu sehen, welche sie schon seit den Studienjahren unter dem Einstuß der russischen Lebenswirklichkeit und dem mächtigen Eindruck der deutschen idealistischen Philosophie beschäftigten und beunruhigten. Der Autor gilt in Rußland nicht ohne Grund für einen der hervorragendsten Schrift steller und Stilisten. Die Lebhaftigkeit und Plastik seiner Sprache, die Kühnheit seiner Assoziationen reißen den Leser mit sich fort und bilden die Eigentümlichkeit dieses Stiles, den schon ein solcher Kenner wie Friedrich Nietzsche lebhaft bewundert und anerkannt hat. Herzen ist bisher in Deutschland noch lange nicht genügend gewürdigt, wo sein Name mehr durch seinen Sohn, den jüngst in Lausanne ver storbenen verdienstvollen Physiologen, in weitere Kreise gedrungen ist. Ls rührt das hauptsächlich daher, daß seine Werke bisher in Rußland*) verboten waren; erst die Springstut der russischen Revolution hat seinen Namen wieder emporgetragen und die wissenschaftliche Forschung auf ihn hingelenkt. Man kann überzeugt sein, daß auch in Deutschland Herzens Erinnerungen nicht nur in den weiteren Schichten des lesenden Publikums, sondern auch unter den Literarhistorikern ein lebhaftes Interesse wecken werden, denen sie manche bedeutsame Anregung geben dürften. Linen guten Anfang dafür bietet die orientierende Ein leitung, die der Herausgeber dem Werke vorangeschickt hat, und die der Ausgabe noch einen erhöhten wert verleiht. *) In Nr. d. Bl. war irrtümlich Deutschland gesagt. sRed.s