Mar Dchnert / 2lnton Möllenthin Äie Entwicklung des Einzelnen zur Persönlichkeit, ihr Verhältnis zum Ganzen, ist ein unerschöpfliches, ewig neu zu lösendes Problem, das gerade den deutschen Menschen unablässig beschäftigt, das ihn quält und begeistert und ihn oft stärker anzieht als das Kräftespiel der großen Weltgeschichte. Auch „Anton Möllenthin" ist ein solcher Ent wicklungsroman; er führt von der Zeit der Bismarckschen Reichsgründung bis zum Weltkrieg, in die Zeit der Gründerjahre, des raschen wirtschaftlichen Aufstiegs und der sozialen Spannungen und Kämpfe. Aber all dies gibt nur den schwach angetönten Hintergrund für die scheinbar ganz schlichte Lebensgeschichte des Arbeiters Anton Möllenthin, in der sich in Wahrheit jedoch das typische Schicksal einer ganzen Gene ration widerspiegelt. Äiese „Geschichte eines Arbeiters" ist zugleich die Geschichte eines zähen und unbeirr baren Aufstiegs. Der kleine Anton Möllenthin, der älteste einer vielköpfigen Freiberger Bergmannssamilie, muß schon seit seinem achten Lebensjahr mit verdienen helfen, erst als Kuhhüter beim Kreuzmüller, später in der Zigarrenfabrik, dann als Bergjunge und schließlich als Häuer auf der Grube. Als der Vater frühzeitig stirbt, trägt er still und willig auf seinen schmalen Schultern die Sorge für die Mutter und die jüngeren Geschwister. Die Not wächst, doch mit ihr wachsen die Kräfte zum Widerstand. Ein jahrelanger Heldenkampf im Kleinen beginnt. Anton Möllenthin läßt sich nicht von der Grube verschlingen, er wagt den Schritt aus der festgefügten Bahn, er wird Lehr ling in einer Gießerei - und das Wagnis glückt. Schritt um Schritt, unendlich langsam und mühevoll geht es vorwärts, aber es glückt. Er gründet eine Familie, ge langt sogar zu einem bescheidenen Wohlstand. Auch hier macht es ihm das Schicksal nicht leicht, es geht nicht ohne Rückschläge ab. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre machen den Sinn all dieser Mühen und Anstrengungen plötzlich am Ende wieder fragwürdig, und dennoch gibt schließlich der alt gewordene Möllenthin seinem Sohne seinen un zerstörbaren Lebensglauben als schönstes Vermächtnis weiter. Diesem Sohne hat er ein schöneres und leichteres Dasein bereitet, als es ihm selbst beschieden war. Änton Möllenthin ist das Urbild des deutschen Arbeiters, den auch die bitterste Not nicht zum Proletarier herabzudrücken vermochte. Selbstvertrauen auf die eigene Kraft und Treue zum eigenen Wesen sind die unerschütterlichen Grundlagen seines Lebens. Spiegel sächsischen Wesens. Anton Möllenthin ist ein echter Sohn seiner Heimat, klug und regsam, im Grunde weichherzig und gemütvoll, aber eine heitere Selbstironie hält allen Überschwang in chm zurück. Er ist keine übliche Romanfigur, sondern eine Ge stalt, wie sie nur unter den behutsamen Händen eines Dichters Wiedererstehen konnte. Nr. 225 Mittwoch, Len 27. September 1939 4957