I7n wenigen 'Tagen kommt zur Iluslieferung Uriger Skram Roman von ^eanna Oterdahl aus dem Schwedischen übersetzt von Tkhea Staedtler Leinen RM 5.LO Hin und wieder geschieht es, daß wir einem Menschen begegnen, bei dem wir auf den ersten Blick spüren, daß die Kraft, Würde und Menschlichkeit, die von ihm ausgehen, in einem langen und schweren Leben gewonnen wurden. Oie Runen des Angesichtes, der Blick der Augen, die Schwin gungen von Mensch zu Mensch zeugen von langen, einsamen Nächten, vom Oenken über den Sinn des Lebens, von dem Fragen nach dem Göttlichen, das uns so vielfältig und mahnend umgibt. Solch ein Mensch ist Inger Skram, die als das geliebteste Kind des recht schaffenen, armen Fischers Niels Skram aufwächst, gehütet vom Oenken und der Geradlinigkeit des Vaters. Ovrt am Strande im Boot des Vaters ist ihr Paradies, eine nur äußerlich karge Zugend lang, die von einer eitlen und lügnerischen Mutter verdüstert wird. Nnd eines Tages zieht sie aus, sich ihr Leben zu zimmern nach stolzen, eigenwilligen Plänen. Aber, wie viele Fehler begehen wir doch! Oas Leben ruft mit der Möglichkeit schnellen Aufstiegs, mit dem bequemeren Weg. Auch Inger Skram geht zunächst den falschen. Als Magd ist sie in Stellung gegangen, sie verläßt das Pfarrhaus, als ihr Geliebter Börse von weiter Fahrt nicht mehr heim kommt- fort will sie, unter fremde Menschen, will allein sein mit ihrem mit dem ihr nicht ebenbürtigen Manne die Che ein, gründet ein Speisehaus, und ihre Tüchtigkeit führt sie von Stufe zu Stufe aufwärts. In ihren Kindern begegnen wir die beiden sich feindlichen Welten: Henrik, der älteste, klaren Lebensplane wie eine Blume, und in dem künstlerisch begabten Sten wird sich eines Tages ihr Glück erfüllen. Neben den Kindern hilft Inger Skram anderen Menschen, „Treibholz" des Lebens findet sich bei ihr ein, wie die armselige Blumenbinöerln „Blume", wie der todkranke Schwärmer oder der Knabe Bernt, der zu Großem berufen ist. Allen hilft sie aus der Fülle ihrer mütterlichen Kraft. Aber die Kraft vergeht, Gott weiß die Herzen zu prüfen, und er läßt Inger Skram den Kelch des Leidens voll ausleeren: bittere Enttäuschungen mit ihrem Manne, lange Krankheit warten auf sie. Ourch alles muß diese Frau hindurch, ehe sie das schwerste des Oaseins lernt: die königliche Oemut! Ist es ein Wunder, wenn Inger Skram dann eines Tages dem Bilde gleicht, das wir uns von den wahren Llberwindern des Lebens gemacht haben? daß nun von ihr der Strahl großer Menschlichkeit ausgeht? daß sie uns nahetritt und im Gedächtnis bleibt als eine innerlich reiche, ganz und gar mütterliche Frau? Zu welcher Kraft ein Frauenherz fähig ist, welche Macht das wirkliche, nicht frömmelnde Gottvertrauen verleiht, wie man das Leben wahrhaft meistert - das hat fie uns gelehrt, diele starke Seele! Oaß die Dichterin Oterdahl, die ganz und gar hinter ihre Gestalten zurück tritt, die Menschen mit dieser Frauengestalt aufs tiefste angesprochen hat, hat! Mein Verlag hat seit vielen Zähren keine Übersetzungen gebracht, weil immer deutsche Werke Vorlagen, die seiner Auffassung gemäß waren. Hier aber mußte sich der Verlag entschließen, weil eine so reine Menschlich keit selten ist, und weil er wünschte, daß recht viele Leser diese Inger Skram zum Freunde gewinnen sollten. und aus ihm steht eine Gestalt auf, die keiner vergessen kann, der sie wirk lich begreift: Inger Skram. T 6072 Nr. 262 Freitag, den 10. November 1930