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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.04.1913
- Strukturtyp
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- 1913-04-18
- Erscheinungsdatum
- 18.04.1913
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- Deutsch
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4144 Börsenblatt f- l>. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. -1k 88, 18. April 1913. Die Lektüre der modernen Verbrecher. Von Otto Lindekam. I'). Nachdruck verboten. Die Rauschtage der blindwütigen Antischundliteratu» Bewegung, die alles ungeprüft in einen Kessel zu stopfen sich anschickte, scheinen sich langsam zu verflüchtigen und einer sachlicheren Behandlungsweise der ganzen nach wie vor ungelösten Frage Platz zu machen, einer Behandlung, die keine sogenannten Sauhiebe kennt, sondern nur streng ge- echtes, gewissenhaftes Abwägen aller berechtigten Interessen. Das überlaute Geschrei, daß durch bestimmte literarische Erzeugnisse die Menschenseele in das tiefste Schwarz getaucht werde, ist schwächer geworden, und man ist bei den Er örterungen der vielfach heiklen Angelegenheit auch auf Dinge gestoßen, die für den Buchhändler wie für den Seelensorscher und vor allem für den praktischen Kriminalisten von nicht geringerem Werte sind als die ursächliche Frage. Auf diesem Wege ist auch erneut die Frage entstanden, welcher Lektüre der vollendete, der moderne Verbrecher obliegt. Und gewiß ist dieser bislang recht stiefmütterlich behandelte Thema nicht uninteressant, jedenfalls interessanter, wenn auch nicht ebenso wichtig, als die Verderben stiftende Lektürengeschichte. Was der moderne Verbrecher liest, können uns eigentlich nur die Verbrecher selbst sagen; denn jene statistischen und sonstigen Aufzeichnungen, die aus der Bibliothek benutzung in den Zuchthäusern und Strafanstalten schöpfen, dürfen hier gar nicht in Betracht gezogen werden, weil es sich in jenen Büchersammlungen um sehr sorgfältig ausgewählte, absolut unverfängliche Druckschriften handelt und überdies die freie Wahl im eigentlichen Sinne ausgeschlossen ist. Weit wichtiger für die Beantwortung der Frage sind die Angaben der gefaßten Verbrecher, sowie die unter ihren beschlagnahmten Sachen aufgefundenen Bücher. Erst diese gewähren einen wirk lichen Einblick in das Lektürenbedürfnis der Verbrecher und in einen Teil der Psyche des modernen Verbrechers. Nur ein solcher, nicht etwa der aus den völlig ungebildeten Klassen und meist den Analphabeten entstammende, durchweg robustere Verbrecher, der vorwiegend Gelegenheiten seine Taten verdankt, kommt in Betracht, also ausschließlich die verbrecherische In telligenz, wenn man so sagen will. Der in Magdeburg zu lang jähriger Zuchthausstrafe verurteilte Kaufmann Otto Knittelius, der gern in Zylinder und Lackschuhen unter den Linden in Berlin als Kavalier flanierte, war eine solche verbrecherische Intelligenz, ebenso der Rechtsanwalt Karl Hau, der .internationale Kri minalist. Oppermann, der als Fürst der Juwelendiebe be kannte Bulgare ManoleScu, der später zum Schreiber seiner Memoiren wurde, und zahlreiche andere Gauner. Eine wirk liche Intelligenz mit verbrecherischem Hintergrund war da gegen der Leipziger Raubmörder Karl Koppius nicht, obwohl gerade ihm eine solche oft zugesprochen wird. Koppius war eine halbgebildete geborene Verbrechernatur, und das Wissen, das manche Menschen aus seinen Briefen entnehmen zu können glauben, ist tatsächlich nur Halbwissen und auto didaktische Stümperei. Allerdings setzte auch dieses selbst- angeeignete Scheinwissen eine immerhin fleißige Lektüre voraus. Rückfragen des Verfassers bei verschiedenen Personen und eigene Wahrnehmungen in der Gerichtsverhandlung be stätigten, daß Karl Koppius ein Vielleser war, der mit Vor liebe des vielseitigen Paul Lindaus Kriminalromane und populär gehaltene Abhandlungen und Bücher über Verbrecher tum, Fingerabdruckskunde, Phrenologie, Hypnotismus und Verwandtes verschlang und dann daraus Lesefrüchte schnitt, die wir in allen seinen Erpresserbriefen wiederfinden. Karl Hau, dieser kaltblütige Revolverschütze, war gleichfalls ein Viel- und vielseitiger Leser. Er bevorzugte Gesellschafts- *> In einer späteren Nummer werden sich zu diesem Artikel Hans Hpan-Berlin und Prof. vr. Hans Groß-Graz, der Herausgeber des.Archivs fllrKriminalanthropologic und Kriminalistik«, äußern. Red. romane, bei deren Lektüre er um sich herum eine Welt des Scheines erstehen ließ, die ihn zum Kapitalverbrechen führte. Sein brutaleres, ungebildeteres Gegenstück, der mehrfache Raubmörder Sternickel, las gleichfalls, so oft er dazu Zeit fand. Er hielt sich mehr an Fachblätter und Bücher über Kleintierzucht, woraus manche irrtümlicherweise den Schluß zogen, als sei dieser ebenso rohe wie rätselhafte Geselle ein Tierfreund gewesen. Fürst Lahovari, oder wie er richtiger hieß, Manolescu, überflog förmlich die gesamte moderne Romanliteratur, hielt sich aber von dem faden Zeug der flüchtigen Kriminalnovellen und auch von den kriminalwissen schaftlichen Werken fern. Er war mehr für feinere geistige Kost und blieb in seiner Juwelendieb-Lausbahn allein das Produkt der praktischen Verbrccherübungen. Wie er glaubhaft berichtet, verdankt er sein verbrecherisches Können einzig einem oft einsetzenden traumartigen Zustande und nicht im entfern testen einer Beeinflussung durch Bücher irgendwelcher Art. Ein ähnlicher moderner Verbrecher ist der internationale Schwindler Oppermann, nur daß diese antisoziale Existenz ihre Streiche nicht wie Manolescu in Dämmerzuständen beging, sondern alles sorgfältig vorbereitete und sich dazu die An weisungen aus den kriminalistischen Fachwerken holte. Das beweisen jene Entdeckungen vor nicht allzulanger Zeit, die die Kriminalpolizei bei der Durchsicht seines Gepäcks machte, das Oppermann aus einem Bahnhofe hatte liegen lassen. Dieses Gepäck, das beschlagnahmt wurde, enthielt u. a. eine gut aus gestattete Gaunerbibliothek, und es zeigte sich weiter, daß der Schwindler von einem Staatsanwalt viel gelernt hatte. Die Sammlung Oppermanns enthielt nämlich auch ein Werk des be kannten Dresdener Staatsanwalts Wulfsen, und hierin fand sich ein Lesezeichen gerade an der Stelle, an der Wülsten den Schwindel, den Oppermann in die Tat umsetzte, genau be schreibt. Oppermann hatte sich, wie er eingestand, genau danach gerichtet. Man ersieht daraus, daß die moderne kriminalistische Literatur unter Umständen genau dieselben Wirkungen Hervor rufen kann wie die gewöhnlichste Schundliteratur. Dürste man sie aber deshalb verpönen? Sogar das jedem Juristen mehr oder weniger bekannte Handbuch für Kriminalisten von Groß, wohl das bislang wertvollste Werk auf diesem Gebiete, wurde und wird oft als Lehrbuch von den intelligenten Ver brechern benutzt. Ausgefeimte Schwindelnaturen sind natür lich die Hauptleser solcher Bücher. Der rohere und gewalt tätige Verbrecher berauscht sich mehr an Räuber« und Mord brenner-Geschichten, und zwar je jünger die Burschen sind, je mehr. Dies muß dann auch stets als Vorwurf dienen, daß die Schundliteratur schuld an der Verderbtheit sei. In 99 von 100 Fällen wird dabei aber übersehen, daß die Lektüre dieser Verbrechergruppen nur eine ganz natürliche Folgeerscheinung des ganzen Verbrechertums ist, also nicht die Beeinflusserin und geistige Urheberin, wie dies immer von Verteidigern be hauptet wird, die gern ihre angeklagten Klienten vor dem Schafott oder den Zuchthaus- und Gesängnismauern bewahren möchten. Der jugendliche Raubmörder Georgi, der den Freiherrn von Wöhrmann in einem Dorfe bei Leipzig erschlug und be raubte, war ein sehr ausdauernder Leser von Detektivgeschichten. Er las zugleich aber auch die Bibel und ging regelmäßig an den Feiertagen in die Kirche. Namentlich kurz vor seiner blutigen Tat, die ihm den Kops kostete, hatte er sich der besseren Literatur zugewandt und sich sogar ein gutes Käfer buch verschafft, in dem er fleißig studierte. Es war darum völlig fehlgegriffen, seine Verbrechen der Schundliteratur in die Schuhe zu schieben. Dieser Bursche war lediglich das Opser seiner unglückseligen Veranlagung und der Großstadt dirnen in den Animierkneipen, und die Tat selbst bildete das Resultat einer günstigen Gelegenheit zur vermeintlichen Er oberung von großen Geldmitteln. Lesen schon die männlichen Verbrecher fleißig, so noch weit mehr die weiblichen Gauner, Diebe usw. Die »Gräfin Sturdza«, die nimmermüde Schwindlerin, war eine übereifrige Leserin von guten Romanen und populären Naturwissenschaft-
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