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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.08.1930
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1930-08-21
- Erscheinungsdatum
- 21.08.1930
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- Deutsch
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193, 21. August 1930. Redaktioneller ^«il. Börsenblatt f. L. Dtschn Buchhandel. Tintenklecks. Und so traf mich der berechtigte Zornausbruch des entsetzten Lehrchefs just als ich den beglückenden Brief erhalten hatte: »Aus Ihnen wird nie etwas vernünftiges!« Aus meiner Lehrzeit ist mir als ganz besonders unverhoffter geschäftlicher Erfolg in Erinnerung verblieben, daß im Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts von einem Redner im deut schen Reichstage auf die Unsittlichkeit von Grimmelshausens Sim-- plicius Simplicissimus hingewiesen wurde. Es gab daraufhin einen Sturm auf die vorhandenen Ausgaben und selbst die Vorräte mehr bändiger teurer wurden sofort ausverkauft. Eine Auswahl des Werkes, besonders die inkriminierten Stellen enthaltend, brachte dem schnell entschlossenen Bremer Verlag einen nicht unbedeutenden Gewinn. Das Telegraphenamt des Verlagsortes hatte wochenlang Hochdruck. Heute ist an pikanten Schriften kein Mangel, und man mus; den Kops schütteln, wenn man in einem Schaufenster dauernd bedenkliche sogenannte Kulturgeschichten ausgestellt sieht, die laut Preiszettel für täglich 10 bis 50 Pfennige zu leihen sind. Werden wenigstens die Reflektanten gesiebt? — Voraussetzung für Bern waren die für den Ladenverkehr not wendigsten Kenntnisse der französischen und englischen Umgangs sprache. Aber natürlich alles da! Selbstverständlich fehlte es beson ders am Französischen nicht, hatte man ja doch, allster jahrelangem Unterricht, schon anno 1870/71 durch die vielen französischen Kriegs gefangenen hinlänglich Vorübungen gehabt. Damals hörte man täg lich xmal in Strasten und auf Plätzen: »Vonver moi un boutoul«; denn es grassierte unter uns Jungens eine Sammelwut solch be sonderer Art. — Knopfaustauschbörsen gab es mit Lärm und Balge reien gleich den Weltbörsen von heute und auch üble Folgen, diese zeigten sich nicht zu knapp in verhängten Nachsitzstunden. — Im Englischen allerdings haperte es mehr, aber dem Mutigen ge hört die Welt, und so ging es im Frühling Ende der 70er Jahre über Köln durch Elsaß dem Ziele zu. Mit der französischen Umgangssprache ging es aber doch nicht so einfach, zumal das »Bärndütsch« schon grade genug zu schaffen machte. Ich hielt mich deshalb klugerweise wochenlang zurück, sobald ein »verdächtig« aussehender Käufer eintrat. Von den 8 Gehilfen im Sortiment trug Georg Hedeler (später Verlag in Leipzig) meiner Schwäche menschenfreundlich und in seiner so stillen Art am meisten Rechnung und erlöste mich wiederholt bei meinen schüchternen Vor stößen aus gefährlicher Lage. — Aber das Verhängnis liest sich schließlich nicht länger vermeiden; es zeigte sich gänzlich verblüffend in einem blonden Herrn, den ich todsicher als Urgermanen einschätzte und der sich als richtiggehender Welscher entpuppte. Die Über raschung überrumpelte mich derartig, daß ich gar nicht erst auf die hcraussprudelndcn Wünsche hörte, sondern nur auf meine Deckung bedacht war. Mit »Oui, monsieur« rettete ich mich geschäftig trotz seinem heftigen Widerspruch eine Treppe höher in den Verlag und unter den Schutz Weinbergers (später Krssingen), bis die Luft ver mutlich wieder rein war. Soweit ging alles gut, aber Vater Schmid, dieser vortreffliche, uns allen so wohlgesinnte Chef, hatte den Vorgang genau verfolgt. Er stellte mich zur Rede, und ich sah mich schon betrübt wieder meinen Koffer packen, aber er lachte vergnüglich ob meiner Entschuldigung wegen des offenbar besonderen Dialektes. Die Folgen waren Ubungsstundcn auf seine Kosten bei einem Nealschullehrer morgens von 6 bis 7 Uhr. Der erste Sommer mit sehr regem Ladcnverkehr internationalen Gepräges mar für mich ganz leidlich verlaufen, aber ein regnerischer Frühherbsttag brachte auch die längst befürchtete englische Nieder lage. Mittags zwischen 12 und 1 Uhr befand ich mich allein in den großen Sortimentsräumen, weil sich die beiden Kollegen gleicher Dienstzeit, um ihre Mittagspause voll ausnützen zu können, schleunigst nebenan zum Bartkratzer begeben hatten. Drei Engländer, die sich zunächst nach Art ihrer Nasse wortlos an das weit sichtbare lange Tauchnitzregal begaben, führten das Unheil herbei. Statt nun auch, wie ihre Landsleute zumeist, die Einkäufe zu bewirken, zu bezahlen und sich schweigend wieder zu entfernen, Ubersielen sie mich ganz un verhofft mit einem Wortschwall, dem ich mich dieses Mal nicht durch die Flucht entziehen konnte. Sie zeigten erregt auf den Satz unten auf der Titelumschlagseite. Ich wußte nicht, was sie wollten, wehrte mich aber energisch, als einer von ihnen vier Bände unter den Arm klemmte und fuchtelnd seinen Abgang markierte. Nee, nee, Freund chen, deutete ich dagegen mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand an, erst bezahlen. — In diesem kritischen Husch trat zur unge wöhnlichen Stunde Vater Schmid ein und gab die hcißersehnte Auf klärung: die Bände dürsten wirklich nicht nach England und seinen Kolonien mitgesührt werden, und der Satz besage klar und deutlich, daß auch für sie drei kein Extrastorch gebraten werden könne. — Die 796 Racker verschwanden und mein Vorgesetzter meinte: »Ja, ja, im Eng lischen gibt es leider auch Dialektschwierigkeiten!«, aber da bei den sehr kurzen Umgangssormen ein geringerer Wortschatz genüge, werde es sich ja wohl mit der Zeit machen. Damals gab es noch keine Ansichtspostkarten, ausgezeichnete Lichtbilder aber in den verschiedensten Größen und meist unaufgezogen brachten einen sehr ergiebigen Absatz, zumal die Firma als Verlags stelle des Schweizer Alpenklubs und des großen, wohlgeordneten Lagers wegen weit und breit, ja, man kann wohl sagen weltbekannt war. Für die einzelnen Gebiete lagen dicke Auswahlalben vor, so daß sich der Verkauf leicht abspielte. Die Blätter wurden zur be quemen Mitnahme auf eine Holzrolle gewickelt und darum ein schützendes Stück Papier geklebt. Eines Tages gelangte im Verlag die Probenummer einer neuen medizinischen, ich glaube orthopädi schen Zeitschrift nach einem großen Teil Europas zur Versendung und dafür waren nicht nur augenblicklich entbehrliche Sortiments- Hilfskräfte ausgespannt, sondern auch der unentbehrliche Sorti mentskleistertopf, den ich gerade für Lichtbilderrollen suchte. Aha! der ist sicher auch eine Treppe höher, und so pfiff ich (Telephon gab es damals erst sehr vereinzelt, noch keine Schreibmaschinen und ebensowenig die jetzt alles überflutenden weiblichen Hilfskräfte) in das Sprachrohr: »Ist der Sortimentspinsel oben?«, worauf Vater Schmid prompt mit lautem Ja antwortete. Ich eilte hinauf und wurde von ihm unter verhaltenem Lachen bedroht: »Na, warten Sie's nur ab, ich werde Sie schon noch mit dem Sortimentspinsel gehörig einseisen!« In Grindelwald hatten wir einen alten prächtigen Pastor als treuen Kunden, der einmal seine Semesterrechnung durch eine Sen dung Honig, Fruchtsaft usw. beglich, nicht seines eigenen Nutzens wegen, sondern weil dadurch einigen armen Gemeindemitgliedern ein kleiner Verdienst erwuchs. Unser Chef war dessen sehr zufrieden und sandte alles bis auf eine Flasche tiefdunklen Himbeersaft in sein Heim; dieser sollte ihm in den heißen Sommertagen mit dem vor trefflichen Leitungswasser vermischt willkommenes Labsal sein. Das hätte er besser nicht erklärt, denn eines schönen Tages mußte er fest stellen, daß die Flasche oben auf seinem Pultbord, trotzdem er wieder holt daraus entnahm, immer bis obenhin voll blieb, aber über raschenderweise die Farbe täglich Heller wurde. Da nun die Flasche aus Grindelwald und nicht von der Hochzeit zu Kana stammte, so ging das nicht mit rechten Dingen zu. In der nächsten Umgebung gab es ein vernehmbares Kichern, und dann erklärte sein zukiinstiger Eidam A. Francke schmunzelnd und unumwunden, daß er sich ebenfalls so erfrischenden Trunk bereitet, aber immer wieder durch Wasser auf gefüllt habe. Na der Prokurist schloß sich dem Vorredner an, und da blieb mir armem Sünder auch nichts anderes übrig. Man sieht daraus, wie selbst ganz im geheimen sich abspielende schlechte Beispiele anstecken und gute Sitten verderben. Unsere Kunstabteilung war bedeutend und namentlich das große Lager in Stichen bot reichliche Auswahl. Wehe, wenn bei den Bil dern einer mit der Feder hinter dem Ohr, wie es allgemein Brauch war, angetroffen wurde. Und es begab sich, daß in der Hitze des Ge fechts auch unser verehrter Chef einstmals seiner häufigen Mahnung nicht gedachte: als er eine eben eingetroffene Goupilsche Sendung prüfte, geschah es, daß zwar nicht der Halter herunterrutschte, wohl aber schwuppdiewupp ein Tintenklecks sich auf einem großen schönen Blatt behäbig ausdehnte. »Sehen Sie, meine Herren, das sind die verteufelten Folgen solcher Ungeschicklichkeit, vor denen man nicht ge nug warnen kann!« — Punkt. Sooft ich aus vergangene und namentlich die Berner Zeit zurück blicke, gedenke ich immer dankbar des prächtigen Menschen Karl Schmid, der sich auch später öfter als väterlicher Freund erwies; kein zweiter, dem ich soviel Schönes und Gutes zu verdanken hätte. Eine Treppe über dem ausgedehnten Sortiment, neben dem Ver lag, hatte sich noch ein Buchbindermeister mit seiner Werkstatt ein genistet, dem der größte Teil unserer einschlägigen Aufträge zufiel. Zu meiner Zeit war unter seinen Gesellen auch ein fleißiger und sehr pfiffiger, ein recht gspaßigcr Bayer, voller Liedl und Einfälle und als »tolles Huhn« im ganzen Gebäude bekannt und beliebt. Leider war er Quartalstrinker und wenn ihn der unstillbare Durst gefesselt hielt, dann reichte natürlich der Wochenlohn weder hinten noch vorne, und dann schlich er sich in aller Frühe in die Werkstatt und ver schlang allen habhaften Kleister. — In nächster Nähe unseres Geschäf tes, auch am Bahnhofsplatz, gab es als stadtbekanntes Original einen alten Stiefelputzer, einen verbummelten Juristen, der sich in alkohol freudiger Stimmung laut in verblüffender Gelahrtheit und dabei auch in langen lateinischen Ansprachen erging, sodaß er viele Zuhörer, darunter auch in der Reisezeit manchen Fremden um sich hatte, die Mund und Nase aufsperrten. — Wenn die beiden Käuze sich in einer
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