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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.05.1912
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1912-05-25
- Erscheinungsdatum
- 25.05.1912
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- Deutsch
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6466 oLqenblau tz. Dl'chu. vllchhanda. NichtamUichei Teil. 120. 25. Mai 1S12. sentierte. »Sie werden gleich an die Bücher kommen«, flötete die letztere. Haocl erat in votis! Am Nachmittag bekam ich mein Plätzchen und mutzte als erste Tätigkeit Zettel ins Alphabet legen. Man hatte mit Rücksicht auf die kommende Kraft etwa lausend Zettel für mich zurückgelegt. O weh, war das ein Genuß! Stunde für Stunde schlich so dahin, und die Gedanken blieben nicht dabei, sie gingen zum Fenster hinaus, der Heimat zu ... . Aber gemütlich war es doch unter den alten Scharteken, und wenn die hohe Prinzipalität nicht zugegen war, dann flog manches Scherzwort hinüber und herüber. Ich fand an dem Gehilfen Herrn Reinhold Francke freundliche Unterstützung, und auch Herr Fischhaber, der seine Lehrzeit beendet hatte und nach kurzer Zeit abdampste, gab mir manchen Fingerzeig, den er, allerdings als Malefizschwab, wie ich ihn mal ganz despek tierlich nannte, immer scharf pointierte. Wir hatten auch ein prächtiges Faktotum, Jean SchcllaS. Er wurde »Tschang« ge rufen und ging aus jeden Ulk ein, der mit ihm getrieben wurde. Ich habe nie eine treuere, gutmütigere Seele kennen gelernt, als diesen alten Burschen. Er war des Sonntags Hilfsarbeiter im Kirchendicnst, und sein höchstes Bestreben war, mal später diese Stelle als Ruheposten zu bekommen. Nach dem Tode seines Prinzipals, dem er lange Jahre mit hingebender Treue gedient hatte, erhielt er auch auf Verwendung von Herrn Georg Völckec diese Stelle und war glückselig darüber, daß er nun das alte »Mutterche« ordentlich Pflegen konnte. Dieser fromme und getreue Knecht ist jetzt auch schon lange heimge- gangen. Ehre seinem Angedenken! Meine Lehrzeit siel noch in eine Epoche, in der es auch den mittleren Antiquariaten, wozu die Firma Völcker zu zäh len war, immer noch gelang, wertvolle Wiegendrucke zu er werben, die jetzt ja eigentlich nur noch die großen Häuser, die Baer, die Breslauer, die Hierscmann, die Rosenthal usw. in größerer Anzahl aufweisen können. Da war es denn eine meiner ersten Arbeiten, Inkunabeln zu kollationieren. Das war höchst interessant, denn man mußte scharf aufpassen, ob auch nichts fehlte, und mehr wie einmal mutzte das Latein herhalten, um festzustellen, ob auch die nötige Satzverbindung vorhanden sei, wenn selbst die Kustoden fehlten und gelockerte Seiten auf Defekte hinwiesen. Georg Völcker, »der Junge« ge nannt, verstand keinen Spaß, wenn man dabei die Augen nicht offen hatte, und kanzelte einen ganz gehörig ab, wenn er merkte, daß man gepudelt hatte. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Einmal mutzte ich auch einen vollständigen Merian — irre ich nicht, waren es ca. 18 Bände — kollatio nieren. Ich habe seitdem kein komplettes Exemplar wieder in den Händen gehabt und erinnere mich noch mit Vergnügen an diese Arbeit, denn die vielen interessanten Städtebilder brachten eine angenehme Abwechslung in die sonst etwas ein tönige Beschäftigung. Viel zu schaffen machte uns damals, also im Frühjahr 1883, das Aufräumen nach einer Überschwemmung, die uns der Main bereitet hatte. Der Römerberg, der ja bekanntlich dicht am Mainquai liegt, hatte in seinem nördlichen Teile sehr .unter der Überslutung zu leiden gehabt, und wenn man im Völckerschen Geschäft auch die zunächst bedrohten Folianten regale ziemlich geräumt hatte, so stieg doch die Flut eines Abends so hoch, datz auch noch weitere Regale in Gefahr ge rieten. Da war es ein ziemlich mäßiges Vergnügen für das Personal, die Bücher dem nassen Element zu entreißen und in einer Art von Badekostüm in dem kalten Wasser zu retten, was zu retten war. Wie ich eintraf, lagen die Sachen noch zum Trocknen und mußten hinterher gesichtet werden. Dabei ist manch gutes Buch in die Makulatur geflogen, und noch viele Jahre später fand man in den Katalogen bei den getauften Exemplaren die Notiz »stark wasserfleckig«. Mein Wechsel war ziemlich knapp. Seit ISO Jahren eigentlich der erste aus der Familie, der der Tradition untreu und nicht Jurist geworden war, nicht studiert hatte, das war etwas, das den Herrn Vater doch sehr verschnupft hatte, und es war mir zu verstehen gegeben, datz ich als Buchhändler nicht wie ein Student zu leben habe und meine Ansprüche in be scheidenen Grenzen halten müsse. Solchen Wink verstand ich und war zu stolz, um auch nur einen Protest dagegen zu er heben, aber Georg Völcker konnte es nicht wissen und glaubte, er müsse mich auch der sozialen Stellung des Vaters ent sprechend in die passende Gesellschaft bringen. Seinem Vor schlag, mit in den Palmengarten zu gehen, konnte ich nicht widersprechen, und ich lernte dort eine Reihe sehr netter Herren kennen, die allerdings mehr auszugeben hatten als ich und deren erste Frage war, ob ich auch an der Börse spielte. Du lieber Himmel, was wußte ich von der Börse! Meine Börse war ziemlich klein, und ich konnte mit gutem Gewissen sagen, daß ich nur meine eigene Börse kenne. Ich habe den Palm- gartcn Wohl öfters später besucht, aber die Gesellschaft der jsuuMss äoröa gemieden, denn der Abend hatte mich gekostet, und ich wußte, was ich auszugeben hatte. Als ich »Schorsch« darüber aufklärte, drängte er nicht zu weiterem Verkehr. Meine Behausung fand ich in einem frommen Hospiz, wo es mir aber unter dem bigotten Herbergsvater gar nicht gefiel. Es war eine Art Lehrlingsheim, und jegliches Gebein fand dort seine Zuflucht. Die Elemente sonderten sich sehr bald, und da dies nicht den obersten Beifall fand, so kam es infolge wechselseiti ger Kündigung zur Sezession. Einer von uns fand seine Kündigung in dem Stiefel, den er morgens anziehen wollte. Um ein Haar wäre er damit durch die Welt gelaufen. Ich zog jetzt ins Völckersche Haus, wo ich meine Bude in einem Erkerstübchen unterm Dach bekam. Da habe ich drei Jahre gehaust, und erhielt, um mich vor Langeweile zu schützen, von meinem Chef als Stubenkamerad einen Papagei, der mich auch wieder in die Heimat zurückbegleitet hat. Dort oben war es schön, und manchen Sonnabend kroch ich aus meinem Fenster aufs Dach, wo ich, «Lora« auf der Schulter, behaglich meine Pfeife rauchte und auf das Leben und Treiben am glitzernden Main herabschaute. Im Geschäft kam ich bald ans Katalogisieren und fand an Georg Völcker einen eifrigen Förderer, der mich auch in die buchhändlerische Korrespondenz einweihte und namentlich da für sorgte, daß die »Saupot«, wie er sich echt frankfurtisch aus drückte, die Gymnasialklaue, verschwand. Ich bin ihm dafür immer dankbar gewesen, wenn ich auch damals oft über neu zuschreibende Briefe murrte. Wir arbeiteten zusammen in dem Laden, und da ich einen Vollbart trug und er nur einen kleinen Schnurrbart, so kamen die Leute zuerst zu mir, um zu fragen, ob sie die Ehre hätten, den Herrn Chef zu sprechen. Das war ihm vielleicht nicht angenehm, aber er ließ seinem Stift doch den Bart weiter wachsen. Wie wenig kümmerte sich damals die Welt um Erst ausgaben der Romantiker! Dieser Sport kam erst zehn Jahre später auf, und ich entsinne mich, daß da mals kein Mensch nach frühen Heineausgaben fragte. Wer wollte damals die erste Ausgabe des Hungerpastors von Wilhelm Raabe haben? Wir boten sie mit 1 «Ä 50 L, aus, und sic wurde nicht begehrt. Dafür gingen aber die Lutherauto typen, die natürlich auch damals nicht sehr hoch im Preise standen und jetzt vierfach so hoch bezahlt werden wie früher. Da wir unser Lokal unweit des Römerbergs hatten, so suchten uns auch manchmal mehr oder weniger berühmte Häupter auf. Theodor Völcker trug als echter Antiquar keinen Salonanzug, wenn er im Dienst war. Sein schwarzer Rock war ähnlich wie der vom »ollen Tatterleben«, es saß Plack bi Plack daran, und er sah aus, als ob er mal dreißig Jahre vorher bei Verlobungs besuchen Staat gemacht hätte. Das genierte den alten Herrn aber nicht, jedermann darin zu empfangen. Es war sein Ehren-
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