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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 09.10.1928
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- 1928-10-09
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- 09.10.1928
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236, 9. Oktober 1928. Redaktioneller Teil. »örlciiill,« s. d.DIschn.Buchhandel. Begriffe Platz haben (in -dieser Stelle sind z. B. Begriffe wie Dampfturbinen und Rundfunk untergebracht, also Begriffe, die ihrerseits wieder sehr weit untergeteilt werden^können). In ein solches System lassen sich aber Naturwissenschaften, Medizin und Technik nicht ohne Zwang, -Geisteswiffenschaften dagegen -überhaupt nicht emordnen, und wenn man es dennoch versucht, kommen dabei die sonderbarsten Bocksprünge heraus. Hiernach muß also die Dezimalklassifikakion als im Grundgedanken ver fehlt bezeichnet werden. Als Melvil Dewey sein System entwarf, glaubte er die einzelnen Wissenschaften und ihre Unterabteilungen trotz allen Zwanges, der in der dezimalen Teilung liegt, in eine saubere logische Ordnung bringen zu können. Dieses Ziel ist ihm in katastrophaler Weise mißlungen. Da ist die Philologie von der Literatur durch Reine Naturwissenschaften, Angewandte Naturwissenschaften und Kunst getrennt, in den Angewandten Naturwissenschaften sind Tiefbau (ein Teil des Jngenieurwescns) und Hochbau (eine selbständige Abteilung) durch Landwirtschaft, Hauswirtschaft, Berkehr u. a. auseinandergerissen, in der Philo logie sind die Sprachen in einer Weise durcheinamdergewürfelt, daß weder ein sprachwissenschaftliches, noch ein geographisches, noch ein historisches Prinzip zu erkennen ist, und so fort. Man hat den Eindruck, als habe der Erfinder des Systems es mit geradezu peinlicher Sorgfalt vermieden, irgendwo eine natur gewachsene, vernunftgemäße Ordnung erkennen zu lasten. Die Anhänger der Dezimalklassifikation haben das schließlich auch eingesehen und machen nun aus der Not eine Tugend, indem sie sagen, daß man eine logische Ordnung der Wissenschaften sehr wohl entbehren könne, wenn das System nur praktisch brauchbar sei. Diesen Grundsatz kann man ohne weiteres zu geben; das Schlimme ist aber eben, daß das System durch und durch unlogisch und trotzdem Praktisch unbrauchbar ist! Die Dezimalklassifikation ist wie gesagt aufgebaut auf dem Prinzip der Unterteilung der Begriffe, und sie versagt überall da, wo es nicht auf Unterteilung, sondern auf Nebeneinander reihung ankommt, also z. B. in der historischen Folge der Ge schehnisse, in der alphabetischen oder geographischen Reihe der Länder, in der gesamten Einteilung der nationalen Literaturen usw. Um nun auch hier mitgehen zu können, hat man ein höchst kompliziertes System von Hilfstabellen erfunden, die in Verbindung mit den Haupttabellen gebraucht werden und die die Dezimalklassifikation zu einer für Nichteingeweihte völlig unverständlichen Geheimwisscnschast machen. Diese Hilfstabellen arbeiten mit Klammern, Nullen, Doppelpunkten und andern schönen Dingen und entnehmen ihre Symbole teils dem Haupt system (z. B. wird die Bezeichnung des Landes, aus das sich eine Untersuchung bezieht, aus den Haupttaseln für Geographie entnommen und in runden Klammern beigesügt), teils wird das Dezimalsystem ganz verlassen und das Jahrhundert, das genaue Datum, ja sogar der Name der Persönlichkeit, um deren Biographie es sich handelt, danebengeschrieben. Ein einfaches Beispiel: ein Buch über die Landwirtschaft in Frankreich im 19. Jahrhundert kommt in der Haupttabelle unter 63 (Land wirtschaft im allgemeinen), die regionale und zeitliche Bestim mung wird durch die Hilfstabellen bezeichnet. Das Zeichen für Frankreich ist (44), die Zeitangabe »19. Jahrhundert« wird durch »18« wiedergegeben (man beachte dabei wohl, daß die Jahreszahlen des 19. Jahrhunderts mit 1801 beginnen, und hüte sich daher vor Verwechslungen!!). Das Buch kommt also unter folgende Formel: 63(44)»18«. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, daß zur Festlegung eines Büchertitels auch zwei oder mehr Zifsernkomplexe aus den Haupttabellen durch einen Doppelpunkt verbunden sein können. Ein Beispiel: Kunst hat das Symbol 7, Moral das Symbol 17; ein Buch über »-Kunst und Moral« wird hiernach durch 7:17 bezeichnet. Diese Beispiele sind absichtlich einfach gewählt; wohin aber dieses System der Hilfstabellen führen kann, zeigen folgende Parade beispiele: Eine Schrift über die Rohstoffversorgung der deutschen Maschinenindustric im Jahre 1918 kommt unter das Symbol 338:621(43)»1918«0023:669.341. Eine Anleitung zur allgemeinen preußischen Kataster- Vermessung im Jahre 1927 hat das Symbol 526.90:351.714.2(43.1)»1927«(07)^3 *). Die Einfachheit des Systems ist wahrhaft verblüffend! Wer Zeit hat, kann sich den Spaß machen, ein solches Symbol von einer Stenotypistin abschreiben zu lassen und sich mit der Uhr in der Hand danebenzustellen. Die verheerenden Folgen eines übersehenen Fehlgriffs auf der Setzmaschine oder Schreib maschine wagt man dabei gar nicht auszudenken. Die Dezi maliston sind auf diese unerhörte Feinheit ihres Systems be sonders stolz; andere Leute, denen die amerikanische Reklame nicht den Sinn verwirrt hat, erkennen darin den Bankrott des Dezimalsystems. Die Klassifikation des Schrifttums wird zu einer müßigen Gedankenspiclerei und endet schließlich mit einem Purzelbaum im Meere der tötenden Lächerlichkeit. Hiermit müßte man eigentlich genug haben. Um aber den ganzen Fragenkomplex abzuleuchten, ist es doch notwendig, noch kurz auf die angeblichen Vorzüge einzugehen, die dem System trotz aller Mängel doch seinen Platz in der Organisation der Wissenschaft sichern sollen. 1. Wenn man sich, wie es in der Praxis wohl meist ge schehen wird, auf die ersten drei oder höchstens vier Dezimal stellen beschränkt und von da an nach naturgemäßen Grund sätzen weiter klassifiziert, so ist mit dem besten Willen nicht ein- zusehen, warum man sich um einer höchst fragwürdigen Ein heitlichkeit willen statt nach alten bewährten Systemen nach einem neuen richten soll, das in jeder Hinsicht schlechter ist. Will man aber in der Begrisfsspaltung weitergehen und noch die Hilfstabellen anwenden, so braucht der Bibliothekar, falls er die Einordnung selber vornimmt, zur richtigen Einordnung eines Buches die dreifache Zeit als bei einem einfach und natür lich gebauten System; will er aber warten, bis er die richtige Rubrik , von einer dazu bestimmten Zentralstelle bekommt, so wird er — darauf kann jeder Praktiker einen Eid ablegen — monatelang warten müssen, bis er den Titel glücklich mit der Dezimalnummer bekommt und das Buch damit katalogceif und für das Publikum benutzbar wird. Von einer Zeit- und Ar- bsitsersparnis kann also gar keine Rede sein, und es mutet geradezu wie ein schlechter Witz an, daß auf der Göttinger Tagung ausgerechnet ein Vertreter des Reichssparkommissars mit schönem Mut und beneidenswerter Ahnungslosigkeit das Dezimalsystem empfahl. 2. Das System ist durchaus nicht eindeutig. Man ist bei ihm genau so oft im Zweifel, wo ein Buch hingehört, wie bei jedem andern natürlichen System, ja vielleicht noch öfter, da das Dezimalsystem dem natürlichen Gedankengang des wissen schaftlich eingestellten Menschen dauernd stracks zuwiderläuft. Auch der mit Recht gerühmte alphabetische Index mit seinen 40 000 Stichworten gibt dem Suchenden immer nur einen ersten Anhalt; bei der feineren Einordnung läßt er ihn doch im Stich und überläßt es seinem Scharfsinn, sich selbst weiter sortzuhclfen. 3. Die unbegrenzte Ausdehnungsfähigkeit — die jedes natürliche System übrigens genau so hat — ist nur vorhanden, wo es sich um die Spaltung der Begriffe handelt; bei der Nebenordnung der Begriffe ist sie nur durch die als ganz un möglich dargetanen Hilfstabellen erreichbar. 4. Das Dezimalsystem veraltet ebenso schnell wie jedes andere, und das Auskommen neuer wissenschaftlicher Begriffe, die Trennung früher vereinter und das Zusammenfließen früher getrennter Begriffe stellt auch den Dezimalisten vor ungeahnte Schwierigkeiten. Wenn'das System 50 Jahre älter wäre als es tatsächlich ist, wo stünden da die Eisenbahnen, Verbrennungs maschinen, Autos, Luftschiffe, Rundfunk, Fernsehen, Raketen- sahrt und was uns alles noch bevorsteht, und wie wird es in 50 Jahren um das Dezimalsystem stehen? Das Gehäuse wird in allen Fugen krachen und der Inhalt aus allen Ritzen guellen. 5. Der Vorteil, der in der Losgelöstheit von jeder sprach lichen Bindung und in der darin liegenden Jnternationalität liegen soll, ist bei näherem Zusehen ein Wahngebilde. Wer als *) Diese Beispiele sind nicht a<1 doe erfunden, sondern der Propagandaliteratur für das System entnommen. 1106
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