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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.08.1919
- Strukturtyp
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- 1919-08-05
- Erscheinungsdatum
- 05.08.1919
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- Deutsch
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X- 165, 5, August 1919. Künftig erscheinende Bücher, Schauwecker hat begründete Aussicht, einer der größten Gegenwarts-Dichter zu werden. Kleine Textproben aus dem Buch: Die Äölle (Der Originaltext ist in Korpus Buch-Fraktur gesetzt) Aus dem Kapitel: „Die Nerven" Wer eine Granate — und sei es nur das Geschoß eines leichten Feldgeschützes — schwere Steine von ihr wie Kiesel geschleudert durch die Luft fliegen gesehen, dem wird im schnelleren Lerzschlage, im gepreßterem Atemzug und -stoß eine Ahnung des ,moralischen Ein drucks' aufgegangen sein, den eine schwere Granate er zeugt. Die Länge des Krieges hat keine Milderung, sondern eine Steigerung stofflichen Verbrauchs zur Folge gehabt, hat mit einer wahrhaft höllischen Erfindungslist und -emsigkeit neue Kampfmittel an die Front geworfen. Sie sind erlitten und ertragen worden! Trommelfeuer! Selbst der Wissende, der zum ersten Mal an die Front kommt und es dort von weitem hört wie das eintönig summende Stampfen einer riesigen Mühle, lächelt zuerst etwas ungläubig, wenn ihm sein Nachbar sagt: „Lörst Du? Trommelfeuer! Da geht's rein! Au Backe, mein Zahn!" Das ist ja ein Irrtum, denkt der Neuling. Da surrt ja ein Flugzeug. Nein, nein! Da surrt ganz etwas anderes: die Maschine des Krieges surrt und arbeitet! — Dann kommt der Neuling näher und näher, und endlich über sieht. er von einer waldigen Löhe das ganze Gelände bis zur Front, 25 km bis zur vordersten Trichterlinie. Nachdem der erste Reiz eines verblüffenden, me gesehenen Schauspiels verloren, beginnt der andere Reiz, unmerk bar, zuckend, tastend: sittliche Beeinflussung auf dem Klavier der Nerven. And er marschiert weiter, weiter, während der un sichtbare Gegner mit Hunderten von Granatbildern auf leine Nerven hämmert gleich dem Klavierspieler, der auf die Drahtseiten des Klaviers hämmert. Erft spielt er ein reizvolles Scherzstück, dann einen leichten Tanz, einen Zweischritt, einen ungarischen Tanz, die Tarantella und schließlich schlägt er wuchtig und hinreißend, daß die Lämmer wirbeln, die Saiten beben, einen Marsch, den finsteren Kriegsmarsch voll Feuer und Wut, Grauen und Verzweiflung, voll Entsetzen und Glimm, Schauder und Kampfgeist, abstoßend und fortreißend zugleich. So marschiert der Soldat hinein in den Feuergürtel, ein Spiel seiner Gefühle und Nerven, allmählich ihr Lerr werdend. Da lieat bis an den Limmelsrand eine wellige Landschaft von Wäldern, Feldern, Dörfern, Straßen und Soldaten, und an jedem Dorfein und -ausgang, an allen Brücken und Bahnhöfen ballen sich gelbe, schwarze und weißliche Wolkenklumpen, schießen Erdspringbrunnen wie bei einer mächtigen Wasserkunst steilauf, tanzen die Todeshexen der Schlacht, speien die Ausbrüche der Gra naten, machen die Rauch- und Staubschwaden der Sprengungen träge und schwer wie der nachschleifende Mantel des Kriegsgottes und bleiben zerreißend, ver- quirlend in den Baumwipfeln hängen. Die ganze Land schaft ist ein Qualm, ein Rauch, ein Krach und Wider hall. Der Neuling marschiert und marschiert in der Truppe, die unaufhaltsam in dieses Bild hineinkriecht, und seine Nerven zittern unter den Lammerschlägen und dem erweckten Bewußtsein: da soll ich hinein! Wie muß es erst vorn aussehen! — Wenn er hier schon aufgeregt ist, was wird er dann erst im Trichterfelde sagen! O weh! Aus dem Kapitel: „Der Gürtel der Zerstörung" And in das Durcheinander dieser Trümmer, in die Wälder, die Trichterfelder, die Städte heulen und rau schen Tag für Tag, Nacht für Nacht Granaten und Minen, knicken mächtige Stämme dicht über dem Boden, bersten krachend in den Straßen, daß unter der Elefan- tenwucht des Luftdrucks die Mauern der Läufer schwanken und zur Seite gekippt in sich Zusammenstürzen, überweht von einer riesigen, lastenden Wolke aus Kalkstaub und Ziegelmehl. Soldaten springen über die Trümmer, ver- schwinden in den Kellern, auf deren Betonwölbungen der Niedersturz der Mauern donnert und dröhnt wie der Scklegel auf dem Paukenfell. Eine Vernichtung, die toll uns blind rasend nach allen Seiten um sich haut. Tausende von Länden haben in die zerwühlte Erde sich gekrallt, tausend Lippen mit dem letzten Atem ihr letztes Blut in die braunen Schollen geträufelt, Lunderte und aber Hunderte steifgereckter Leiber liegen neben den starren, gestürzten Bäumen. Links und rechts hochspritzenve Erd- säule neben Erdsäule, ein Gewitter von Qualmwolken der Granateinschläge bei der Artillerievorbereitung. Selbst den Toten läßt die Granate keine Ruhe, reißt sie aus d. kümmerlichen Grüften u. schleudert sie mit Sprengftücken, Erdschollen,Steinen u Grasfetzen wild in d Durcheinander. Lunderte von Kilometern wütet diese Lölle der vordersten Linie. Zn dieser Landschaft, die nichts mehr vom Aussehen der Erde hat, die einer Mondgegend ähnelt, Hausen die Soldaten monatelang und lassen die Liebe des Krieges in ihrer vollsten Wucht auf sich nie dersausen. Lier trifft alles, was zum Wesen des Krieges gehört, in eine einzige Spitze zusammen wie die im Brennglas vereinigten Strahlen einer versengenden Sonne, hier stampft der Krieg mit Klumpfüßen, Fackel, Geißel und Peftatem ununterbrochen. Solche Amgebung und solche Ereignisse haben scharfe Griffel, die Stahl und Glas schneiden. Wer von hier nach hinten in Ruhe kommt, der hat sie nötig, bitter nötig. Der Leimat ist oft das steinerne Gesicht der Frontkrieger aufgefallen, der schroffe, harte Ton, kurz und scharf wie ein Peit- schenknall, das düstere Auge. Es ist nur ein Abbild der Landschaft der Front. Die ganze Trostlosigkeit die schwer und finster über jenen Gegenden hängt, durchdringt alle Poren der Seele und durchtränkt sie mit einer stumpfen Ergebung, die in ihrer vollkommenen Anterwerfung und unbedingten Folgsamkeit ein Gegenbild religiöser Ver zückung und taumelnder Glaubenswut ist. Angesichts dieser Vernichtung, die selbst Bäume zerschmettert, Steine zersplittert, Erdschollen zerstäubt, die imstande ist, Läufer einzureißen und Bäche zu stauen, die in blindem Wüten Lalm wie Mensch, Wertlosestes und Edelstes gedanken- los mit einem einzigen Schlage zerstört, angesicb's einer so unwiderstehlichen und unentrinnbaren Macht sinkt der Mut, der die Loffnung gibt, und der Einzelne fühlt sich klein wie vor den Naturgewalten und sagt sich: „Ich gebe alle Loffnung auf. Lier komme ich nicht lebendig mehr heraus. Ich habe nur noch eine Bitte: ein schneller Tod! Das Gesicht nimmt den Ton der Land- schaft an, die Seele gleicht ihr, das Gefühl ist ihr Bild. Ihre Nachwirkung erlischt nicht so bald. Falten der Laut vergehen nicht vor einem Ländestreicheln, Furchen der Seele glätten sich nicht unter einem fröhlichen Wort. Heinrich Diekmann Verlagsbuchhandlung Halle (Saale)
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