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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.03.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1934-03-06
- Erscheinungsdatum
- 06.03.1934
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19340306
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- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1934
- Monat1934-03
- Tag1934-03-06
- Monat1934-03
- Jahr1934
- Titel
- Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.03.1934
- Autor
- No.
- [5] - 203
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^ 55, 6. März 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b. Dtschu Buchhandel. größt.', da hatte ich genug. Was soll damit ein Kind, dem man einen Tisch und einen Stuhl abbildet? Was es in dem Buche sieht, das ist ihm ein Stuhl und ein Tisch, größer oder kleiner, es ist ihm nun einmal ein Tisch, ob es daran oder darauf sitzen kann oder nicht, und von Original oder Kopie ist nicht die Rede, von größer oder kleiner vollends gar nicht. Das Kind lernt einfach nur durch das Auge, und nur das, was es sicht, begreift es. Mit moralischen Vorschriften zumal weiß es gar nichts anzufangen. Die Mahnung: sei reinlich! sei vorsichtig mit dem Feuerzeug und laß es liegen! sei folgsam! das alles sind leere Worte flir das Kind. Aber das Abbild des Schmutzfinken, des brennenden Kleides, des verunglückenden Unvorsichtigen, das An schauen allein erklärt sich selbst und belehrt. Nicht umsonst sagt das Sprichwort: »Gebrannter Finger scheut das Feuer.« Ich machte mich nun in freien Stunden ohne viel Vorbereitungen ans Werk, hatte aber leider nicht bedacht, daß die Arbeit viel Zeit und Mühe erforderte, und mehrmals verwünschte ich es, die Ge schichte angefangen zu haben. Ich hatte zu den Versen und den Zeich nungen dieselbe Feder und dieselbe gewöhnliche Tinte benutzt: als ich nun an das Kolorieren ging, flössen die Konturen in die Farben. Nun, was t>at es! Es mußte fortgefahren werden! Damals hielt ich fest an dem Grundsatz: Begonnenes muß fertig gemacht werden! Ich hatte schon öfters im Leben unangenehme Folgen des Gegenteils an mir selbst erlebt. Die Bilder zeichnete ich leicht in flüchtiger Weise, und die kindlichen Verse fügten sich folgsam in kecken Reimen einer an den anderen, und so ward das Ganz« fertig. So ganz aus der Luft gegriffen war übrigens die Geschichte doch nicht, ein und das andere war doch auf praktischem Boden ausgewach sen, so namentlich der Hauptheld. Als Arzt bin ich oft einem stören den Hindernis bei der Behandlung kranker kleiner Kinder begegnet. Der Doktor und der Schornsteinfeger sind bei Müttern und Pflege rinnen zwei Popanze, um unfolgsame Sprößlinge zu schrecken und zu bändigen. »Wenn du zu viel issest, kommt der Doktor und gibt dir bittere Arznei oder setzt dir Blutegel an!« Oder: »Wenn du unartig bist, so kommt der schwarze Schlotfeger und nimmt dich mit!« Was folgt dann? Sowie der Doktor an das Bett des kleinen Patienten tritt, weint, brüllt, schreit dieser mörderlich. Wie soll man da die Temperatur prüfen, wie den Puls fühlen, wie den Leib «betasten! Stundenlang dasitzen und abwarten, bis der Tumult sich gelegt hat und der Ermüdung gewichen ist, kann man auch nicht! Da nahm ich rasch das Notizbuch aus der Tasche, ein Blatt wird hcrausgerisscn, ein kleiner Bube mit dem Bleistift schnell hingezeich net und nun erzählt, wie sich der Schlingel nicht die Haare, nicht die Nägel schneiden läßt: die Haare wachsen, die Nägel werden länger, aber immer läßt er sich dieselben nicht schneiden, und immer länger zeichne ich Haare und Nägel, bis zuletzt von der ganzen Figur nichts mehr zu sehen ist als Haarsträhne und Nägelklauen. Das frap piert den kleinen Desperaten derart, daß er schweigt, hinschaut, und mittlerweile weiß ich, wie es mit dem Pulse steht, wie seine Tem peratur sich verhält, ob der Leib oder die Atmung schmerzhaft ist — und der Zweck ist erreicht. Als das Buch fertig war bis auf das letzte Blatt, da war auch mein Bilderschatz zu Ende. Was sollte ich nun auf dies letzte leere Blatt bringen? Ei nun, da setzen wir den Struwwelpeter hin! So geschah cs, und deshalb stand dieser Bursche in der ersten Auflage des Buches auf der letzten Seite. Aber die Kinderwelt traf das Rechte und forderte das Buch einfach: »Ich will den Struwwelpeter!« Nun rückte das Blatt auf den Ehrenplatz vorn, und der frühere Titel machte dem jetzigen Platz. Also hieß es auch hier: »Die Letzten sollen die Ersten werden!« Das Originalcxemplar kam auf den Weihnachtstisch, mein Söhn- chcn hatte seine Helle Freude daran. Nach einigen Tagen fand die Taufe des Mädchens statt, und da bekamen auch die eingeladenen Fa- milienglicder des Vaters Wunderwerk zu sehen. Nun hieß es hier: »Das mußt du drucken lassen; das darf der Junge nicht, wie zu er warten ist, in ein paar Tagen zerreißen!« Ich aber lachte und frug, ob man denn von mir erwarten könne, daß ich ein Kinderbilderbuchfabrikant werde. Ähnliche Anforderungen kamen noch in den nächsten Tagen. Nun blühte damals gerade die von mir und meinem Freunde, dem Musiker Schnyder von Wartensee gegründete Gesellschaft der »Tutti Frutti mit ihren Bädern im Ganges«. Hier zeigte ich meine Kinderei vor — derselbe Beifall. Unter den Versammelten war auch der Buchhändler vr. Löning, der mit seinem Freunde I. Riitten erst vor kurzem eine Buchhandlung unter der Firma »Literarische An stalt« gegründet hatte. Löning sagte sogleich, ich solle ihm das Buch geben, er wolle es drucken lassen. Nun, in heiterer Weinlaune ver gaß ich die frühere Weigerung und erwiderte scherzend: »Meinet wegen! Geben Sie mir 80 Gulden und versuchen Sie Ihr Glück!« Das war gerade der Betrag, den ich meinem Verleger noch für die »Mondzügler« schuldig war. Ich war froh, diese Schuld tilgen zu können. — Löning nahm das Heft, und so war ich nachts 11 Uhr, fast ohne recht zu wissen, was ich getan hatte, mit einem Male ein Jugendliterat geworden! Meinen kleinen Sohn daheim tröstete ich dann mit der Aussicht, daß er bald durch zwei neue Bücher, viel schönere, als das weggegebene, entschädigt werden sollte. Nun aber kam die Ausführung. Meine Freunde, die Verleger, waren in solchen Dingen eben noch nicht sehr erfahren. Die Bilder wurden lithographiert; ich mußte aber den Zeichner täglich über wachen, daß er meine Dilettantengestalten nicht etwa künstlerisch ver besserte und in das Ideale hineingeriet, er mußte Strich für Strich genau kopieren, und ich revidierte jede Steinplatte. Dann gab ich den Herren noch einige praktische Ratschläge. Kinderbücher, sagte ich, müssen solid aussehcn, aber nicht sein, sie sind nicht allein zum Be trachten und Lesen, sondern auch zum Zerreißen bestimmt. Das ist kindlicher Entwicklungsgang, und darin liegt ein Vorteil solcher Fa brikation, die Kinderbücher vererben sich nicht, sondern sie müssen neu angeschafft werden: dies zu fördern, gehören starke Pappdecken und schwache Rücken. Und dann muß das Buch billig sein, mehr als 59 Kreuzer darf es nicht kosten, dann heißt es: »Das kostet ja nicht einmal einen Gulden!« Kostet es aber 60 Kreuzer, so sagt man: »Das Ding ist zu teuer; cs kostet ja einen Gulden!« Alles dies wurde beachtet und befolgt, und der Struwwelpeter betrat die Bühne der jugendlichen Welt. Es waren 1500 Exemplare hergestellt morden. Nach etwa vier Wochen kam Löning zu mir mit der Mitteilung, daß wir einen glücklichen Gedanken gehabt hätten, die Exemplare seien alle fort, sie seien verschwunden wie ein Tropfen Wasser auf einem heißen Steine. Nun machten mir einen förmlichen Vertrag: ich war in meinen Ansprüchen bescheiden, um den Preis des Büch leins nicht zu erhöhen. Niemand war, das kann ich ehrlich versichern, über das blitzähnliche Einschlagen der bunten Geschichten mehr über rascht als ich; das hätte ich mir im Traume nicht eingebildet. Später hat man auch sogenannte »unzerreißbare« Exemplare gefertigt: sie mögen wohl recht wcttcrhart sein, ich bezweifle aber, daß sic je die Dauer ägyptischer Papyrusrollen erreichen werden, denn Kinder bücher gehen ja »reißend« ab. Der Absatz wuchs mit jedem Jahre und steht jetzt nach 47 Jahren auf einem jährlichen Verbrauch von etwa 30 000 Exemplaren der fünf Bilderbücher zusammen. Ja, ich kann mir mit Befriedigung sagen, der Schlingel hat sich die Welt erobert, ganz friedlich, ohne Blutvergießen, und die bösen Buben sind weiter auf der Erde herumgekommen als ich; in ganz Europa sind sie heimisch geworden, ich habe gehört, daß man ihnen in Nord- und Südamerika, am Kap der guten Hoffnung, in Indien und Australien begegnet ist. Sie haben allerlei Sprachen gelernt, die ich selbst nicht verstehe, denn ich habe eine russische, schwedische, dänische, englische, holländische, französische, italienische, spanische und portu giesische Übersetzung in Händen; daß man sie in Nordamerika lnstig nachdruckt, ist ganz selbstverständlich. Die Herstellung des Buches ist nunmehr auch eine wesentlich andere geworden; statt in Lithographie sind die Bücher in Holzschnitt übertragen und die Holzschnitte galvanisch in Kupferplatten, um sic zu schonen: das Kolorieren durch Schablonen besorgt eine Schar von Mädchen in einem Ort im Rheingau und das Einbindcn in großen Haufen ein Buchbinder in der Nähe meiner Vaterstadt. So ist eine Art Struwwelpetersabrik entstanden, es lebt eine Anzahl fleißiger Menschen dadurch, und so ist aus dem Scherze doch auch wohltätiger Ernst geworden. Verleger, unteritiikt bas Winterhilfswerk des Buchhandels! Kein Brief ohne die Verschlußmarke des Winterhilfsweües!
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