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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.07.1919
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- 1919-07-24
- Erscheinungsdatum
- 24.07.1919
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Redaktioneller Teil. X- 155, 24. Juli 1919. Boykott tatsächlich verwirklicht worden ist. Ich bin dabei zu recht interessanten Ergebnissen gekommen, über die ich nun be richten möchte. Ich habe nur die schöne Literatur des 19. Jahrhunderts berücksichtigt. Auch einen Shakespeare oder Molivre als »feind lichen Ausländer« zu brandmarken, haben bei uns kaum ein paar Heißsporne gewagt, die denn auch von keinem Menschen ernstgenommen worden sind. Wenn also von den Werken der großen alten Meister des Auslandes in den Kriegsjahrcn weniger deutsche Ausgaben erschienen sein sollten, als in den Jahren vorher, so erklärt sich das einfach aus dem allgemeinen Rück gang der Büchererzeugung in den Kriegsjahren, dessen Ursachen hier nicht erörtert zu werden brauchen. Ich habe ferner mich nur auf die drei ersten Jahre 1915, 1916 und 1917 beschränkt. 1918 war die Boykollstimmung der ersten Zeit ja längst vorüber. Die für dieses Jahr festzustellen den Ziffern würden also gar nicht die symptomatische Bedeu tung haben wie die der drei ersten Jahre. Schon 1917 weist, wie wir sehen werden, eine nicht ganz geringe Zunahme der ausländischen Literatur gegenüber den Vorjahren auf. Auf absolute Genauigkeit können die von mir mitgeteillen Ziffern natürlich auch keinen Anspruch erheben. Denn wenn auch alles, was in Deutschland in Buchform erscheint, in die Deutsche Bücherei gelangen soll, so ist das tatsächlich doch immer noch nicht der Fall. Aber wir können doch mit Sicherheit an nehmen, daß die etwa vorhandenen Lücken sehr gering sind und durch ihre spätere Ausfüllung die allgemeinen Schlußfolge rungen aus unserer Zusammenstellung in keinem Falle umge stoßen werden dürften. Es kann sich nur um ganz geringfügige Differenzen handeln. Wir wenden uns nun zuerst der Betrachtung der fran zösischen Literatur zu. Der Krieg brach im August 1914 aus, und schon das Jahr 1914 weist eine viel geringere Zahl von Büchern französischer Verfasser auf, als das vorhergegangene Friedensjahr 1913, nämlich 51 gegen 197. Man kann wohl mit Sicherheit annehmen, daß so gut wie alle diese Bücher noch vor dem August erschienen sind. Die 158 Bücher repräsen tieren also die französische »Friedenslektüre« des deutschen Publikums. Welcher Art ist nun diese Lektüre? Rechtfertigt sie den gegen uns so oft erhobenen Vorwurf der blinden Aus ländern, die uns jedes minderwertige Erzeugnis des Auslandes den Schöpfungen unserer großen Meister vorziehen läßt? Sehen wir uns diese französischen Bücher einmal darauf hin an. Nicht weniger als vierzig stammen von Meistern ersten Ranges- Balzac <7 Bücher), Stendhal (6 Bücher), Flaubert (3 Bücher, darunter »Mme. Bovary« in Reclams Universal- bibliothek), Baudelaire (3 Bücher) usw. Nicht mitgezählt sind dabei die Werke des Grafen Gobineau, von dem 1913 noch vier Werke deutsch erschienen, nämlich »Alexander« (übersetzt von Hildegard Stradal, Leipzig-Wien, Kamönenverlag; erst 1912 war bei Rcclam eine Übersetzung von Ludwig Schemann erschienen), »Amadis« und zwei neue Übersetzungen der »Renaissance« (von Ad. Luntowski im Verlag F. Lehmann-Berlin und von Maria Ewers aus'm Weerth im Berliner Globus-Verlag). . Die eigentlich moderne Literatur Frankreichs ist durch 34 Bücher vertreten. Es ist eine recht bunt gemischte Gesellschaft, in der wir uns hier befinden: Henri de Register, Charles Louis Philippe, Claude Farrere, Fredöric Bautet. Vor allem aber sind es zwei französische Schriftsteller, für die man sich in weitern Kreisen Deutschlands unmittelbar vor Kriegsausbruch zu interessieren beginnt: 1914 erschien der erste Band von Romain Rollands »Johann Christoph« in der Über setzung von Erna und Otto Grautoff (Frankfurt a. M., Rüt telt L Loening), im selben Jahre das Revolutions drama »Die Wölfe«, übersetzt von Wilhelm Herzog (München, Georg Müller). Und dann wird durch die Hellerauer Festspiele die Aufmerksamkeit auf Paul Claudel gelenkt. 1913 war »Die Verkündigung« deutsch er schienen, 1914 folgt ein Auszug aus der »Erkenntnis des Ostens« in der Jnselbncherei. Und während der Verlag Rütten L Loening sich erst 1917 entschloß, den 2. und 3. Band des 622 »Johann Christoph« dem ersten folgen zu lassen, fehlt Claudel weder 1915, noch 1916, noch 1917. Wir hätten also fast 80 Bücher von unbestreitbarem lite rarischen Wert. Das ist, rund gerechnet, die Hälfte der Gesamt zahl, — ein Ergebnis, dessen wir uns sicher nicht zu schämen brauchen. Der Rest ist Unterhaltungslektüre. Aber auch hier ist zu unterscheiden zwischen reiner und minderwertiger Unterhal tungslektüre und solcher, die immer noch gewisse literarische Qualitäten aufweist. Zu welcher Klasse soll man z. B. den alten Vater Dumas rechnen? Er ist mit 11 Büchern vertreten, da runter »Akte«, »Der Graf von Monte Christo« und »Die drei Musketiere« je zweimal. Eine Gruppe für sich bilden ferner Romane (meistens geschichtliche) mit ausgesprochen katholischer Tendenz, für die sich deutsche Verleger wie Herder-Freiburg, Pustet-Regensburg, Bcnziger-Einsiedeln einsetzen. Diese Gruppe ist 1913—14 durch 6 Bücher (von Jean Nömy, Fr. Champol, Zenaide Fleuriot u. a.) vertreten. Zur »bessern Unterhaltungsliteratur« habe ich auch Daudets »Tartarin von Tarascon« und Pierre Lolis »Jslandfischer« ge zählt, die 1913—14 in je zwei deutschen Ausgaben erschienen. Mancher wird diese beiden Werke höher einschätzen, dagegen Georges Ohnet, der mit drei Büchern vertreten ist, eine Stufe niedriger setzen. Immerhin, — zur Nnterhaltungsliteratur zweiten und dritten Ranges gehören nicht mehr als 30 Bücher, also nicht ganz 20°/» der Gesamtzahl, und von diesen 39 sind 13 Kriminalgcschichten, — eine Erscheinung, über die bei Be trachtung der englischen Literatur noch zu reden sein wird. Mir scheint, daß durch diese Feststellungen doch ein zum Teil ganz neues Licht auf das Verhältnis des deutschen Lese publikums zur französischen Literatur geworfen wird. Vor allem ist die französische Literatur in Deutschland bei weitem nicht so verbreitet, wie man anzunehmen geneigt war. Zahl und Inhalt der 1913—14 deutsch erschienenen französischen Bücher zeigen, daß sie sich vorzugsweise an kleinere literarisch inter essierte Kreise wenden. Der französische Sitten- oder Unsitten- roman, von dessen verderblichem Einfluß bei uns so viel ge redet wurde, erfreut sich anscheinend gar keiner so großen Be liebtheit. Der deutsche Spießbürger sieht sich Wohl gern mal eine pikante französische Posse an — das Thema der Vorherr schaft Frankreichs auf der Lustspielbühne müßte einmal besonders behandelt werden —, aber seine Lektüre wählt er nach andern Gesichtspunkten aus. Dann darf aber auch nicht vergessen wer den, daß die Hauptkonsumenten der Romanliteratur doch immer die Frauen sind, und den vielen Tausenden, die heute über den Romanen von Hedwig Courths-Mahler Tränen vergießen, wie ihre Mütter über denen der Marlitt, kann die so ganz anders geartete französische Belletristik gar nicht das bieten, was ihrem Geschmack entspräche. Und auch diejenigen, die von einem Buch vor allem Spannung, Sensation erwarten, kommen bei den Fran zosen lange nicht so auf ihre Rechnung wie bei den Engländern. Von den 30 Büchern, die wir zur minderwertigen Unterhal tungsliteratur zählen, sind 13 Kriminalromane. Sie sind über setzt worden und sie werden gelesen, nicht weil sie von franzö sischen Verfassern stammen, sondern weil sie eben Kriminal romane sind, und ihre Zahl erscheint gering neben den englischen Erzeugnissen derselben Art. Wie hat nun der-Krieg gewirkt? Stellt man die Ziffern der ersten drei Kriegsjahre unmittelbar neben die der letzten Friedsnsjahre, so ist man tatsächlich verblüfft. 1915 erschienen in Deutschland 10 Bücher neuerer franzö- sischcr Autoren, 1916 sind es 13, 1917 schon 18, also in drei Jahren noch nicht einmal die Hälfte von dem, was das eine Jahr 1913 gebracht hatte. Die Zahl wird aber noch kleiner, wenn man in Betracht zieht, daß von den 41 Büchern 15 Werke flämischer Autoren sind, die nur in fran zösischer Sprache geschrieben haben. Daß sich weder Maeterlinck, noch Verharren darunter befinden, ist selbstverständlich: wir er innern uns noch, was für eine Entrüstung die feindseligen Äußerungen dieser beiden belgischen Dichter über Deutschland bei uns hervorriefen. Hier ist der Boykott tatsächlich einmal konsequent durchgeführt worden.
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