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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.04.1934
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- 1934-04-21
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- 21.04.1934
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X° 92, 21. April 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b.Dtschn. Buchhandel. ein bedeutender Verlag das Recht hat, sich dem Dienst am lyri schen Wort und dem Opfer dafür zu entziehen. Der groteske Zu stand, das; über das Sein oder Nichtsein des deutschen Verswortes der Beschluß von Verlagsaktionären allein entscheidet, muß end lich aufhören, damit der Aktie, dem Produktionsbehelf, nicht das Produktive selbst zum Opfer falle. Daß meine Behauptung, die Lyrik werde von deutschen Ver legern als Fremdkörper im Nahmen der Produktion betrachtet, keinesfalls übertrieben ist, möge im Zusammenhang mit den an gezeigten Büchern ein Beispiel lehren. In einer Vorankündigung seines Verlegers wird uns der Dichter Hans Schwarz mit folgen den Worten vorgestellt: Man kann fragen, warum wir Gedichte empfehlen, und wir werden antworten: weil diese Gedichte auf- hören, Gedichte zu sein. Denn sie lassen die Lyrik hinter sich und gehen uns als politische Menschen an'. Mit dieser gleichsam ent schuldigenden Geste veröffentlicht heute ein gediegener Verlag das deutsche Verswort und ist sich wahrscheinlich gar nicht be wußt, daß er mit diesen Worten der dekompositorischen Macht der letzten Jahre, die auch der poetischen Kraft des deutschen Menschen wirksam zu Leibe ging, ein Zugeständnis macht. Und so wird der Leser, dem die merkwürdigen Zusammenhänge zwischen Lyrik und Verleger verborgen bleiben, mit Recht verwundert sein, wenn er in den zwei Versbänden ,Götter und Deutsche' und ,Du und Deutschland', die die Geltung des Dichters Hans Schwarz be gründen, Seite auf Seite Gedichte entdeckt, die mit keiner Zeile aufhören, Gedichte zu sein. Wohl finden Grenzüberschreitungen aus dem Lyrischen ins Dramatische, aus dem Balladesken ins Liturgisch-Verküudende statt. Aber all diese Modulationen ändern nichts an der Tatsache, daß die Lebenskraft der Gedichte einzig durch die Dichtigkeit des geschwungenen Wortes bestimmt wird.« Wir sehen: Diettrich läßt in seinem Appell an die »großen Verlage« an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; er spielt sogar den Gedanken aus, einen »bedeutenden« Verlag von Staats wegen zum Druck von lyrischen Werken zu z w i n g e n ; es hört sich beinahe wie Sabotagevorwurf an, wenn er erörtert, »ob ein bedeutender Verlag das Recht hat, sich dem Dienst am lyrischen Wort und dem Opfer dafür zu entziehen!« Wer Diettrichs Ausführungen aufmerk sam liest, dem wird das Widerspruchsvolle darin nicht entgehen. Vor allem im Grundsätzlichen: Diettrich operiert mit einem Lyrikbcgriff von absoluter Werthaftigkeit, im klaffenden Gegensatz dazu aber steht doch der wirkliche Wert der tatsächlich erzeugten, ungedruckten und eines beträchtlichen Teils auch der schließlich an den Verleger und damit auf den Buchmarkt gebrachten Lyrik. Diettrich selbst beginnt ja: »Bevor ich über die wenigen wertvollen Neuerscheinungen sprechen will« — und im Aprilheft der »Literatur« beginnt Hellmut Schlien die Besprechung von drei neuen Lyrik bändchen mit dem Satz: »Drei erste Gedichtbändchen seien aus der Vielzahl der Erscheinungen herausgegriffen«.*) Hier wird also eine »Vielzahl« lyrischer Erscheinungen zugegeben, und Diettrich seiner seits gibt zu, daß das Jahr »wenig wertvolle Neuerscheinungen« gebracht habe. Diettrich schreibt allerdings davon, daß ihm »in jüngster Zeit die wertvollsten Gedichtbände als Manuskripte vor gelegt wurden, während die gedruckte Lyrik bei weitem nicht dieses Niveau aufwies«. Diese Behauptung, die natürlich auf der subjek tiven Beurteilung dieser Manuskripte durch Diettrich beruht, könnte von uns erst nachgeprüft werden, wenn wir Gelegenheit hätten, selbst Einsicht in die Manuskripte zu nehmen. Der Lektor eines »be deutenden Verlages« könnte ja anderer Ansicht sein als Diettrich, der, da er selbst Lyriker ist, auf alle Fälle befangen ist in seinem Urteil. Und schließlich gehen Manuskripte im Verlag ja zuerst zum Lektor, ehe der »Verlagsaktionär« darüber zu befinden hat; und nicht alle Verlagslektoren sind Trottel, wie eine gewisse Sorte von ver hinderten Lyrikern und Schriftstellern oft meint!! Man lasse sich ein mal vom Vorlektorat der Reichs st eile zur Förderung des deutschen Schrifttums einiges aus seiner Arbeit er *) S. dazu auch die Einleitung, die Ronald Loesch einer Bespre chung neuer Lyrikbände in den »Kritischen Gängen« der Berliner Bör- scnzeitung vorausschickt: »Die Zahl neuer Gedichtbücher wächst ins Uferlose — eine immerhin paradoxe Erscheinung in dieser vom Poli tischen bewegten, auf die Notwendigkeit des Handelns gerichteten Zeit. Stehen wir inmitten eines Blütezeitalters der Lyrik? Ziffern täuschen; die Begabung zum echten Lyriker ist selten genug. Die mei sten dieser Erzeugnisse sind mehr oder weniger belangvolle Äußerun gen privater Innerlichkeit, ästhetische Spielereien um bloße Metaphern oder Programmdichtungen, mit »Weltanschauung« verbrämt In der heutigen Lyrik herrscht ein beängstigendes Stimmengewirr. Nur wenige Dichtungen heben sich aus der Ungestalt des großen Haufens heraus und reden die klare Sprache des ewig Menschlichen.« zählen oder einige Proben aus seinem lyrischen Kuriositätenkabinett geben, um zu ersehen, daß ein verschwindender Bruchteil von dem Lyrik ist, was sich heute als solche ausgibt, mit der bitteren Klage darüber, daß der böse Verlag sie nicht druckt! Mir selbst sind in den letzten Jahren zahllose lyrische Manuskripte durch die Hände gegangen — ach, es war einem bei der Lektüre oft genug zum Schlechtwerden. Abgesehen von der Gruppe der völlig Talentlosen, von ihrem »Talent« aber desto fanatischer überzeugten, ist heute für Lyrik Ausübende noch vielfach gültig das Rezept: ein wenig Rilke, ein wenig Hofmaniisthal, mit Vorsicht und Geschick etwas George dazu gegeben, unmerklich in Goethe getaucht und dem Ganzen einen Spritzer Volkslied beigemischt, — was dabei herauskommt, kann man sich denken. Das ist auch kein Wunder! Die neue Form kann noch gar nicht in der Weise gefunden sein, daß ihrer auch der durchschnittlich Begabte, eigener Formschöpfungen nicht Fähige sich wie eines be quemen äußeren Hilfsmittels zu bedienen vermöchte, da gerade die, die ihre Schöpfer und Träger fein werden, in den letzten Jahren meist anderes zu tun hatten, als Gedichte zu schreiben. Es gibt Aus nahmen: die SA.-Mäuner Gerhard Schumann (den auch Diettrich besprach) und Hans Jürgen Nisrentz z. B, - aber sie wären an den Fingern einer Hand aufzuzählen. Jene Epigonenlyriker aber (bitte: lesen Sie im Aprilhcft der »Li eratur« auf Seite 421 die Proben nach, die Hellmut Schlien in seiner oben schon erwähnten Besprechung dreier lyrischer Neuerscheinungen gibt: ach, sie sind für Verleger, Sortimenter und Lyrikfreunde gleich entmutigend!) müssen langsam zum Schweigen kommen, damit Raum werde für eine Lyrik, die wirklich »Wortausdruck des (heutigen!) deutschen Menschen« ist, sie wird dann nicht nur ihre Verlage finden, sondern auch das Echo im Volk, dessen sie bedarf, um für das Volk lebendig zu werden. — Es hat aber gar nichts mit einem »Dienst am lyrischen Wort« zu tun, und es ist also auch kein Dienst am Volke und seiner Kultur, und es ist zu allerletzt ein Dienst an den jungen Dichtern selbst, wenn man ihnen die zweifelhafte Möglichkeit gibt, ihre Primaner-Erstlings- Schreie gleich ins ganze Volk hineinzuposaunen, — Jugend allein ist auch auf diesem Gebiet kein Vorrecht, auch hier hat vor allem anderen nur die Leistung ein Recht auf Beachtung und Förderung. Neunzig Prozent von dem, was im letzten Dezennium an Lyrischem das Licht der Welt erblickt hat (dazu oft in blödsinnig teuren Luxus ausgaben, numeriert und signiert, und was solcher überflüssigen Scherze mehr sein mußten!), hatte keine geistige und buchwirtschaft liche Daseinsberechtigung, sondern gehörte in das stille Kämmerlein und in das hinterste Schreibtischfach seiner Verfasser, aber gedruckt mußte es sein, gedruckt um jeden Preis, oft genug um den eines teuren Truckkostenzuschusses, der im Leben dieser jungen Menschen sicher zweckmäßiger und existenzieller hätte angelegt werden können und müssen! Die jungen Lyriker, und besonders die, die es zu sein glauben, mögen einmal Nachlesen, wie Conrad Ferdinand Meyer als Lyriker gegen sich verfuhr, und wie Theodor Storm verwarf und immer wieder verwarf, bis als Lebensernte schließlich ein Bänd chen übrig blieb, von dem mancher der jungen Draufgänger heute Jahr für Jahr ein Vielfaches verfertigt; oder sie mögen auch bei Lebenden Nachsehen, bei Münchhausen etwa, der auch zehnmal ver wirft, bis er einmal anerkennt — bei eigenen Leistungen, bitte! — oder bei Carossa, dessen Bändchen »Gedichte« es man auf jeder Seite geradezu ansieht, welche harte Selbstzucht hier gewaltet hat und wie viel Ungedrucktes um des wenigen Gedruckten willen zurückstehen mußte. Die Selbstsucht der halben Talente aber — und nur die schreit und klagt an — verstellt auch dem den Weg, was durch das Sieb der Selbstzucht der wirklichen Talente hindurchgegangen ist und also ein Recht hat, die öffentliche Aufmerksamkeit fiir sich in Anspruch zu nehmen! Wenn erst einmal innerhalb der jungen Lyrikerschaft Härte gegen sich selbst und schonungslose Kritik der eigenen Leistung gegenüber zum allgemein anerkannten Schasfensgrundsatz geworden ist, dann wird auch der »große Verlag« wissen, was er der wert vollen Lyrik gegenüber schuldig ist. Es ist aber ein billiges Unter fangen, dem Verlag Sabotage am »lyrischen Wort« vorzuwerfen, und gar den Staat auf ihn zu Hetzen, weil es ihm nicht in jedem Falle gelungen ist, das eine oder andere wertvolle und wirklich druck reife Lyrikmanuskript herauszuspüren aus dem Gestrüpp der wild wuchernden wertlosen Selbstverhätschelungserzeugnisse der vielen, allzuvielen Auchlyriker unserer Zeit. Dienst am Wort ist auch Dienst am Volk, das mögen sich vor allem die jungen Dichtenden gesagt sein lassen; und erst dann, wenn ihre Schöpfungen so gültig und not wendig geworden sind, daß das Volk ein allgemeines Anrecht auf sie hat und sie sich also den Anspruch darauf erworben haben, vom Volk gehört zu werden, erst dann darf dem nicht opferwilligen Ver lag der Vorwurf gemacht werden, er entziehe sich einem für das Volksganze wichtigen Dienst. Wobei der Hinweis nicht vergessen werden darf, daß, soweit ich beobachten konnte, die großen deut schen Verlagsanstalten in den letzten Jahren so viel lyrische Erschei- 369
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