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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.06.1934
- Strukturtyp
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- 1934-06-16
- Erscheinungsdatum
- 16.06.1934
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- Deutsch
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138, 16. Juni 1034. Redaktioneller Teil. Heinrich Äohnre^; Meine literarische wiege am ksunücmarkt. Aus den Lebenserinnerungen: Zwischen Dorn und Korn. (Deutsche Landbuchhandlung, Berlin.) Ich besuchte mit meiner Mutter unsere Kreisstadt Münden, und wer eine Ahnung von der Schönheit dieser alten Residenz hat, die Goethe das »deutsche Tempe« nannte und Alexander von Humboldt als »eine der sieben am schönsten gelegenen Städte der Welt« be- zeichncte, der wird auch verstehen, wie begeistert ich von dem Gange zurückkam und mich an den Schreibtisch setzte. Ich beschrieb die Wanderung nach Münden, schilderte die Stadt und lieferte nach Ab schluß der Ferien einen Aufsatz von nicht weniger als achtzig Seiten ab. Gespannt nun, wie die Zensurnummer ausfallen würde, mußte ich dann folgendes erleben: Der Oberlehrer machte bei Rückgabe der Aufsätze ein häßlich wohlwollendes Gesicht und zollte meinem Aufsatz ein großes, natürlich ironisches Lob, las auch die überschwenglichsten Stellen mit ordentlichem Pathos vor und überlieferte mich damit dem Gaudium meiner Klasse. Meine Freunde aber sagten: »Das hast Tu davon, daß Du den Aufsatz so lang gemacht hast. Du hättest doch wissen sollen, daß Herr L. nicht gern was tut und acht Seiten unbedingt wohlwollender anerkannt hätte als achtzig«. Damit war für mich der Seminaraufsatz überhaupt erledigt, und ich machte von nun an alle Aufsätze, deren Themen mich ohnehin nicht reizten, in der letzten halben Stunde vor der Ablieferung, brachte es daher selten über Zensur »Drei«. Inzwischen übte ich aber meine Feder heimlich auf ganz andere Weise: Ich ging unter die Schriftsteller. Seminaristen und ältere Hannoveraner, die vom Lande stammten, forschte ich nach alten Sagen aus und schickte die Niederschriften an vr. Hermann Weichelt, der damals im Verlage von Dietrich Soltau in Norden die »Han noverschen Geschichten und Sagen« in Heften herausgab. Er schrieb mir recht ermunternd über eine Sendung und ver öffentlichte den größten Teil unverändert in den genannten Heften. Unser Despot hatte nun in demselben Hefte, in dem meine erste Sage erschienen war, einen geschichtlichen Aufsatz über sein Heimatstädtchen angebracht und konnte sich nicht enthalten, mit dem Hefte in der Hand die Klasse auf seine schriftstellerische Leistung angelegentlich hin- zuweiscn. Dreißig Seminaristen (von denen noch etliche in Hannover leben) riefen da wie aus einem Munde: »Ah, von Sohnrey steht in dem Hefte auch ein Aufsatz!« Der Knalleffekt war entsprechend. Herr L. bekam einen dicken, blutroten Kopf und rettete sich hinter Spott und Hohn, die ihm seither immer wieder aus den Augen spritzten, wenn wir uns in die Arme liefen. Kleine Ursachen, große Wirkungen. Der Oberlehrer als Typ ist mir seither immer ein stiller Greuel geblieben, ich selbst als Lehrer mir aber auch. Wochenlang lebte ich dann ganz in Scheffels Ekkehard und war in dieser Zeit noch mehr als bisher nur rein körperlich auf dem Seminar, während mein Geist auf dem Hohentwiel weilte. So teil nahmslos ich im Unterricht erscheinen mochte, um so heftiger wälzte ich die verschiedensten schriftstellerischen und dichterischen Pläne und Gedanken in meinem Kopfe. »M utter, ich muß eine Geschichte schreiben!« Mit diesem Ruse war ich, um mein achtzehntes Jahr herum, iu der Woh nung meiner Mutter, die meinetwegen nach Hannover gezogen war, eines Nachts aus dem Bett gesprungen und hatte Stunde um Stunde mit fliegender Feder bis an den Hellen Morgen geschrieben. Eine vollständige Dorfgeschichte war entstanden mit dem Titel: »Eine schmerzliche Erinnerung«. Sie behandelte den tragischen Tod eines Kürassiers, der einst zu Jühnde im Quartier gelegen und sich dort unglücklich in eine schöne Gutsbeamtentochter verliebt hatte. Die Sonne schien mir schon eine Weile ins Fenster, als meine Mutter den Kaffee brachte und mich besorgt mahnte, den Unterricht nicht zu versäumen. Ich konnte nur noch rechtzeitig ins Seminar kommen, wenn ich den beträchtlichen Weg von der Semmernstraße zum Hundemarkte im Laufschritt zurücklegte. Ob unter solchen Umständen der Unter richt an diesem Morgen erfolgreicher gewesen ist als sonst, vermag ich heute nicht mehr zu sagen, möchte es aber gelinde bezweifeln. Die Geschichte, die ich am gleichen Tage noch an das »Hannoversche Tage blatt« schickte, muß übrigens gar nicht so schlecht ausgefallen sein, denn einige Tage später las ich im Briefkasten des in allen Häusern gelesenen Blattes »H. S. Eine schmerzliche Erinnerung findet ge legentlich Aufnahme«. Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, nämlich der Briefkastenantwort, und schwelgte geradezu in ihrem Anblick. Aber mein Ungestüm war zu groß. Das Wort »gelegentlich« legte ich mir so aus, als müsse die Geschichte unbedingt in den nächsten Tagen erscheinen. Nachdem ich dann Tag für Tag die Spalten der damaligen Unterhaltungsbeilage fieberhaft durchforscht hatte, ohne auf den Abdruck meiner Erzählung zu stoßen, begann ich die Schrift leitung mit hitzigen Briefen zu bombardieren. Und als das nichts half, ging ich eines Tages an dem Tageblatthause in der Osterstraße nicht vorbei, sondern direkt hinein und rückte dem Unterhaltungs redakteur auf die Bude. Er sah recht ruppig aus und machte, wie mich diinkte, ein nicht wenig überraschtes Gesicht, als er meine Jungenhaftigkeit sah, griff in den Manuskriptschrank, händigte mir meine Geschichte wieder ein und sagte mit einem spöttischen Unterton: »Sie sind ja noch sehr jung, wie ich sehe, und hätten wohl noch gute Zeit zu warten; da Sie aber nicht warten können, gebe ich Ihnen Ihre Erzählung zurück«. Schon stand ich draußen, die Handschrift zusammengedrückt in meiner Hand. Einen Augenblick war ich geknickt, einen Augenblick beklagte ich mein Ungestüm, aber eben nur einen Augenblick. Dann war ich schon wieder obenauf. Denn die Tatsache, daß die Geschichte angenommen war, die Briefkastennotiz lag ja gedruckt vor und bewies doch aller Welt, daß sie nicht schlecht sein konnte, lind dann plötzlich packte mich der Gedanke, der heillose Gedanke, gleich ein ganzes Buch zu schreiben und herauszugeben. Mit meinen knapp achtzehn Jahren! Daß es tausendmal besser gewesen wäre, statt dessen mich mit allen Kräften meinen Schulaufsätzen zu widmen, deren Themen allerdings selten in mir zu zünden vermochten, gebe ich dem geneigten wie dem ungeneigten Leser ohne weiteres zu. Aber der Pegasus stand nun mal da, stampfte ungeduldig, wieherte und wollte geritten sein. Ich schwang mich also immer wieder hinauf, er galop pierte mit mir davon, und wenn wir heimkamen, schüttete ich wieder neue Erzählungen oder Gedichte auf den Tisch. Denn natürlich »machte« ich auch Gedichte. In Kleinpauls »Poetik« völlig bewandert ag das Leben sich auch noch so wundellich gestalten, mag auch so mancher Himmel auf Erden einstinzen, wenn wir nur nicht den Glauben verlieren — den Glauben an Gott und den Glauben an uns selbst. Das gibt emen Himmel, der in aller Ewigkeit nicht entstürzen wird! Heinrich Sobnrey. schüttelte ich sie in allen, selbst den schwierigsten Versarten nur so aus dem Ärmel. Die Geschichten vereinigte ich schließlich mit den Gedichten und schuf so einen ganzen Band. Ein heimlicher Dichter- bund, den ich zusammen mit ein paar Freunden, die auch dichte rische Neigungen in sich verspürten, gegründet hatte, bestärkte mich in meinem Tun, und so wanderte ich zwischen meinem achtzehnten und neunzehnten Lebensjahre mit den Erzählungen und Gedichten von einer Buchhandlung Hannovers zur anderen, um für mein Buch einen Verleger zu finden. Die betreffenden Buchhändler sahen den schmalen jungen Mann, dem man das »Vaterunser« durch die Backen blasen konnte, mehr oder weniger freundlich an und lehnten natürlich ab, ohne meine Schöpfungen überhaupt gelesen zu haben. Schön wissenschaftliche Verleger gab es damals meines Wissens in Han nover noch nicht; so sind es wohl nur Sortimentsbuchhandlungen gewesen, an die ich mich wandte. Leider fand ich aber doch eine Verlagsdruckcrei, die geneigt war. das junge Werk zu drucken und zu verlegen, wenn ich einen ent sprechenden .Kostenbeitrag zu leisten vermöchte. Doch woher sollte ich das Geld nehmen, das sich immerhin auf einige hundert Mark belief! Ich klagte einer Freundin meiner Mutter, die in Hannover- Linden wohnte, meinen Kummer, und sie war davon so gerührt, daß sie mir die runde Summe von 300 Mark ohne weiteres lieh. So ging es dann Hals über Kopf an den Druck des Buches. Mit Schmerzen denke ich noch an die Wonnen, die ich damals durchlebte. Wenn ich, die Korrekturbogen unterm Arm, die Georgstraße (den Kurfürstendamm Hannovers) dahinschritt, um zu der Druckerei in der Altstadt zu gelangen, war meine Einbildung so stark, daß ich meinte, jeder müsse es mir ansehcn, daß ich die Korrekturbogen zu meinem ersten Werk unterm Arm trüge. Übrigens hatte ich auch von Anfang meiner schriftstellerischen Tätigkeit an das Bestreben, das Druckpapier möglichst vollständig anszunutzen. Ein Buch mußte nach meinem natürlichen Gefühl kompakt aussehen und die Leser nicht mit so vielen leeren Seiten und Stellen betrügen. Als mir der Druckerlehrling nun einen Korrektur bogen brachte, dessen eine Seite fast halb leer war, ließ ich ihn einen Augenblick warten, stellte mich ans Fenster und sah nach den fliegenden 537
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