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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.12.1919
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1919-12-11
- Erscheinungsdatum
- 11.12.1919
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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Redaktioneller LeU. ^l: 273, 11. Dezember 191g. Erlebnisse mit Büchern und Bauern. Von Marie Murland. Zufälle des Krieges hatten mich aus meinem oberelsäjsischen Dorf in den Ausläufern des Schweizer Jura nach den Vorbergen der Kar pathen verschlagen. Hier lebte ich zwei Jahre in einem Bauernhäus chen, bas zu einem Pachihof gehörte. Die Gegend ist ungemein frucht bar an Getreide, Wein und Obst bis an die Grenze, Ivo der .Hochwald den Feldern und Ncbgclänben cnigcgcuiriit und die ilnmer höher hin tereinander aussteigenden Gebirgsketten mit seinem dunkelgrünen Königsmantel übcrklcidet. Der Pächter war, wie er sich nannte, ein deutscher Ungar. Überall in den Karpathen wohnen Deutsche in größeren und kleineren Sied lungen, vermischt mit den andern Nationen oder einzeln versprengt, ein gekapselt. Die ungarische Regierung hatte wohl den Unterricht i» der ungarischen Sprache erzivungen, aber den Unterricht im Deutschen nicht gehemmt. Der Pächter war stolz darauf, daß er deutsch lesen und schreiben konnte. Lesen war sogar sein liebster Zeitvertreib. Er griff begierig nach den Tagesblättcrn, die ich ihm zutommen lieh und überraschte mich durch sein Auffassungsvermögen. Am höchsten schätzte er die Unterhaltungsbeilage einer Berliner Zeitung, die damals ausgezeichnete Briefe von den Kriegsschauplätzen brachte. Diese würden ihm sehr fehlen, meinte er, wenn ich einmal fortginge. Ich frug, warum er nicht selbst ein gutes, deutsches Blatt hielte. Ja, daran hatte er noch nicht gedacht. Sein« Gevattern täten es auch nicht. Der Pächter war ein Mensch, der viel über das Gelesene nachsann und sich willig belehren ließ. Wo wir gerade zusaininentrafen, redeten wir über Politik, Naturwissenschaft, Völker- und Heimatkunde. Im Stall, während er das Vieh striegelte, auf der Wiese beim Mähen, während er sein Vesperbrot verzehrte, oder beim langweiligen Geschäft des Maisschälens. Ich schenkte ihm eine Geographie und einige gute Karten des Kriegsschauplatzes. Ein Bruder von ihm, der manchmal zum Besuch kam, war ein auf geweckter Bursch. Er wurde zum Unteroffizier ausgebildet. Wie freute sich der, als er die Karten vorfand. An Sonntagen kamen Ur lauber aus den umliegenden Dörfern. Das Gespräch drehte sich um di« Ereignisse an den Fronten. Jetzt wurden die Erzählungen erst recht lebendig. Die braunen, harten Finger fuhren auf den Karten hin und her, die funkelnden Augen suchten die stolzen Namen der Orte, an denen bas Regiment gesiegt halte. Das Nachtmahl wurde aufgetragen, Schinken mit Kraut, Paprika hendln mit Nockerln und Rohnstrudel. Die Bauern verkauften kein einziges Stück Geflügel mehr, selbst Eier waren nicht mehr zu haben. Sie vergönnen sich alles. Der Goldstrom ergoß sich jetzt in ihre Kanäle. Mein Pächter war durch den Krieg zum reichen Mann geworden. Er bezahlte seinem Grundherrn für ungefähr 13 Katastraljoch jährlich 4M Kronen. Sogar mit dieser geringen Summe war er früher oft im Rückstand geblieben. Jetzt betrug sein Einkomnren über LÜ VM Kro nen. Der Grundherr hatte ihn nicht gesteigert. Rach dem Abendessen wurde gesungen, ungarische Lieder, fenrlg wie der Landwein, den sie tranken. Die deutschen Lieder waren diesen Stan.mesgenossen im Laufe der Zeiten so ziemlich abhaudengekommen. Ich spendete ein deutsches Liederbuch. Die Lorelei gewann gleich alle Herzen. Vom Waldrand her, wo der Hirt'seine Kühe weidete, aus den Weingärten, wo der Winzer die Neben bcschniit, tönte immer das schwermütige: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten . . .» Zu Weihnachten bescherte ich meinem Pächter einen Jahrgang eiuer illustrierten Familienzeitschrift. Er las darin bis tief in die Nacht beim Hellen Schein einer großen Karbidlampe. Er durste sich das ge statten. Ich mutzte mich bei cinbrcchender Dunkelheit zu Bett legen. Die Hamsterer brachten ihm und den anderen Landwirten Karbid, Petro leum und Kerzen, soviel sie wollten. So.rasch und angenehm waren dem Pächter die Winterabende noch nie vergangen. Er kam gar nicht in Versuchung, sich im Wirtshaus zu zerstreue». Sein Weib war dem Buche, das ihn an das Daheim fesselte, sehr dankbar. Beide gaben zu, das Buch sei das billigste Genußmittcl. Der Pächter sagte, er würde jetzt gern etwas von seinem Kricgs- gewinn in Büchern anlegen und bat mich, ihm eine Lifte geeigneter Bücher aufzuschreiben. Nur sc! es sehr weit bis zur nächsten Buch handlung. Er müßte eigens nach Pretzburg fahren. Tann hätte er eine gewisse Scheu vor einem solchen Laden. Man sei dort nicht ge wohnt, Bauern einiretcn zu sehen, man könnte spöttisch lächeln, wenn er sein Begehr ungeschickt vorbrächte. In den Delikatessen- und Jn- weliergeschäften würden die Bauern jetzt wie große Herren bedient. Ich erzählte ihm von holländischen und dänischen Landwirten, die längst zu geschätzten Kunden der Buchhändler gehörten und teuere Werke erwarben . . . Ein halbe Stunde ticser im Wald stand das kleine Gehöft des Forstwarts. Hier war nur die Krau deutsch, der Mann ein gutmütiger Slowake. Die Ehe war reich mit Kindern gesegnet, die alle blond, weiß und klug nach der Mutter gerieten. Auch diesen Leuten hatte der Krieg zu beträchtlichen: Wohlstand vcrholfcu. Das meiste hatten dazu einige gesegnete Wciujahre bcigeiragen, aber auch die unscheinbare Kartoffel war für sic zum glllckhasten Gewächs geworden. Im ersten Sommer meines Aufenthalts wurde Westungarn von einer schrecklichen Dürre hcimgesucht. Nur in unmittelbarer Nähe der ungeheuren Forste hatte der Boden ein wenig Feuchtigkeit zurückbchalten können. Die Acker des Forstwarts waren die einzigen, auf bene» die Kartoffel gedieh. Die Sommergäste aus der Billcnkolonie eines Luftkurortes in der Nähe waren lüstern darnach, und die Kost im Gasthaus schmal. Sic wollten sich einmal ordentlich an Kartoffeln sattesten. Gewissenlos trie ben sic den Preis in die Höhe und zahlten außerdem Prämie» i» de» verschiedensten Artikeln. Zuletzt wurden sie trotzdem ungnädig abge- wiescn. Der Winter ist lang, die Familie zahlreich und für die Aus saat muß auch etwas übrigbleiben. Zu mir gewendet, sagt die Frau freundlich: »Ihnen geb' ich!« Verwundert sehen mich die Damen an. Ich trage kein seidenes Mantelkleid und mache nicht den Eindruck, als verfügte ich Uber nen nenswerte Vorräte von Goldjaoa, Würfelzucker, Zigaretten und Kognak. Ihr Erstaunen wächst, als die Kinder, die die Fremden nur angestarrt hatten, zu mir liefen, ihre Händchen boten und der Forstwart vom Ausbesscrn eines Pferdegeschirrs ausstand und ehrerbietig grüßte. Die Gunst dieser braven Leute hatte mir ebenfalls bas Buch ge wonnen. Wenn ich am Abend meine Milch holte, plaudert« ich mit ihnen, wie das »reine Art ist, und gewann bald ihr Zutrauen. Die Frau hatte viel Plage mit den Kindern. Immer war eines krank Meiner Einsicht nach war die unvernünftige Lebensweise schuld. Im Winter und an Regentagen drängten sich alle in dem Raum zusammen, in dem nebst den Speisen für die Menschen und dem Futter für die Schweine, oft noch >Äife oder Leim gesotten wurden. Di« Sauberkeit ließ auch sehr zu wünschen übrig. An kritischen Tagen, während der Weinlese, beim Weizcuschnitt wurden Gesicht und Hände erst am Abend gesäubert. Der Misthausen türmte sich unmittelbar vor der Haustüre auf und hauchte seine giftigen Dünste zum Fenster herein. Ich hätte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang über die Ge bote der Hygiene predigen können. Das war doch nicht möglich. Aber das Buch konnte mich vertreten. Das Buch war der erste Ratgeber i» Krankheitsfällen, bis der Arzt erscheinen konnte, sowohl für die Men schen als für das liebe Vieh. Ich bestellte für sie leichtfaßliche Tier- arzneibüchcr und Kneipps unschätzbares »So sollt Ihr leben» nebst seiner Kaltwasserkur. Die Leute wollten von mir nichts geschenkt habe». Ich mußte mir allerlei kleine Gaben gefallen lassen: eine Schürze voll köstlicher Trauben, Kastanien, Nüsse, einen Hasen oder schmackhaste Würste. Der dreizehnjährigen Wilma strömen die Tränen über die runden Wangen, während sie den Karren mit dem duftenden Klee vor sich her- schicbt. , »Was hat cs denn, das arme Mädel?» »Sie ist so dumm, die Wilma», antwortet ihr Schwesterchen EI- luschka, »die weint, weil sie heute zum letztenmal in der Schule ge wesen ist. Ich wollte, ich wäre schon so weit. Ich gehe lieber mit den Ziegen in den Wald». Wilma war eine Vorzugsschülerin gewesen. Der Vater hatte ihr versprochen, sie dürfe später die Bürgerschule besuchen und sich zur Lehrerin ausbildcn. Jetzt, meinte er, sei nicht mehr daran zu denken. Er brauche jedes Kind i» der Landwirtschaft. Den geistigen Arbeitern würden Hungerlöhne bezahlt. Die Wilma müsse sich eben die Bücher aus dem Kopf schlagen. Grundsätzlich war diese Ansicht nur zu billige». Die Begier des Mädchens ganz zu unterdrücken, sei.nicht notwendig, sagte ich ihm. Es wäre sein Vorteil, wenn jemand in der Familie mit der Feder recht gut^Bescheid wisse, alle Bestellungen und Geschäftsbriefe schreiben könne. Buch führen über Einnahmen und Ausgaben. Man solle der Wilma, wenn sie fleißig geschafft hätte, nicht verwehren, sich mit ihren Schulheften zu beschäftigen oder ei» Stündchen zu lesen. Das leuchtete schließlich dem Forstwart ein. Wenn der Krieg zu Ende und wieder Ordnung im Laude sei, sollte sic einen Kurs an der Preßburger Handelsschule durchwachen. Schon am folgenden Sonntag fand ich sie, auf einem Heuhaufen liegend, glückselig vertieft in Hauffs »Lichtenstein». Die älteren Schwestern, die sich gerne putzten, wünschte» eine prak tische Anleitung zum Schneidern und ein Schriftchen über das Behan deln der feinen Wäsche. Sogar die jüngsten Buben verlangten stür misch ihr Buch. Sie erhielten es auch zu Weihnachten. Es hatte herr liche Bilder und erwies sich als wirklich unzerreißbar. Die einsame Bibel auf dem Wandbrett hatte jetzt eine gemischte Gesellschaft neben sich, deren frisch vergoldete Buchstaben auf dem far- IISO
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