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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.01.1906
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1906-01-02
- Erscheinungsdatum
- 02.01.1906
- Sprache
- Deutsch
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- Saxonica
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1, 2. Januar 1906. Nichtamtlicher Teil 9 in Betracht, als man annehmen muß, daß ein künstle risch vollendetes Werk einen liefern Eindruck auf ihn machen wird als ein künstlerisch tiefstehendes; und auch diese Behauptung wird nur mit Beschränkung auf gestellt werden dürfen. Wovon der Eindruck auf ihn zu allererst adhängt, das ist das Maß, in dem es die Erwar tungen befriedigt, die er an eine Unterhaltungslektüre stellt. Und diese Erwartungen sind so verschieden wie die Indivi dualitäten. Dieser verlangt eine spannende Handlung, jener Stimmung, dieser wünscht seine Phantasie angeregt zu sehen, jener vermag nur nüchternen Schilderungen der Alltäglichkeit Verständnis entgegenzubringen, dieser ist ein Freund des Humors, jener ein solcher ernster Betrachtungen. Hier könnte nun die Spezialisierung immer weiter getrieben werden, und welche Schwierigkeiten sie der Ver breitung guter Literatur entgegensetzt, zeigt ja auch der Umstand, daß alle Bestrebungen zur Bekämpfung des Kolportageromans dem Gegner selbst die Waffen ent lehnen. Möglichste Spannung, Erscheinen in Heften, um die Spannung noch zu erhöhen, vielversprechende Titel (»Der blonde Teufel«) usw. und trotzdem nur geringer Er folg, weil eben das Wesentliche, das dem Kolporiageroman seinen Erfolg sichert, doch nicht übernommen werden kann. Man wende nicht ein, daß buchhändlerische Schwierigkeiten vorlägen. Der Kolporteur des Schauerromans würde gern auch gute Literatur vertreiben, wenn er Geschäfte damit machte. Diese macht er aber eben nicht, weil der Schauer roman den Bedürfnissen seiner Kunden doch noch mehr ent gegenkommt als der noch so geschickt gearbeitete Kon kurrenzroman. Bei wissenschaftlichen Werken erhöhen sich diese Schwierigkeiten noch. Unsre gute populär-wissenschaftliche Literatur ist überaus klein. Aber auch sie und vor allem natürlich die Werke, die nicht im Hinblick auf den Bildungs grad eines bestimmten Leserkreises geschrieben sind, machen ganz bestimmte Voraussetzungen, denen die Leser selten ge nügen. Dem einen bieten die Werke zu viel, dem andern zu wenig; in den meisten Fällen aber ermüden sie den schlichten Leser durch ihren Mangel an Anschaulichkeit. Ab strakten Gedankengängen zu folgen, ist der Arbeiter nicht gewöhnt und hat auch keine Zeit, es zu lernen. Also auch hier die Schwierigkeit, daß der Leser aus den ihm dar gebotenen Büchern nicht das herauszieht, was ihn fesselt, was er braucht, sondern er verlangt eine Kost, die möglichst für ihn zubereitet ist. Mit der Kolportage ist hier nichts zu machen; wie aber kommen die Volksbibliotheken solchen Lesern entgegen? Indem sie ihm einen Katalog vorlegen, in dem er ein seitenlanges Ver zeichnis von Schriften findet über das ihn interessierende Ge biet. Der Bibliothekar und seine Gehilfen müßten sehr viel Zeit haben, jedenfalls mehr, als ihnen in Deutschland zur Ver fügung steht, um individuelle Ratschläge erteilen zu können. Aber auch wenn sie die Zeit hätten, vermöchten sie sie kaum fruchtbar zu machen. Dazu gehörte eine so genaue Kenntnis des Lesers, wie sie nur durch intimern persönlichen Verkehr zu erzielen wäre. Darum stehe ich den großen Zahlen, die unsre Bibliotheken mit Stolz alljährlich verkünden, etwas skeptisch gegenüber Die Zahl an sich macht es nicht immer; ich fürchte, die Resultate der Bibliotheken würden uns mit mehr Bescheidenheit erfüllen, wenn wir feststellten, wie viele der entliehenen Bücher gelesen und wie weit sie für den Leser fruchtbar wurden. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn man angesichts der »großen Erfolge unsrer Bibliotheken« selbst die angeregtern Kreise der Arbeiter auf ihr Ver hältnis zur Lrteratur sondiert. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß sich eine segensreichere Ausnutzung der Volksbibliotheken vielleicht Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 73. Jahrgang. durch eine weitergehende Rücksicht auf die Individualitäten in den Lesern erreichen ließe. Mit andern Worten: Mehr Vertiefung und weniger Verbreitung. Unter diesen Gesichtspunkten werden wir nunmehr den neuen Weg des Vereins für Massenverbreitung guter Volks literatur zu betrachten haben. Der Weg, durch Lotterien Geldmittel aufzubringen, ist so wenig neu wie unbeliebt. Aber wie wird das Endresultat aussehen? Jedes Individualisieren ist überhaupt ausgeschlossen. Wer sich einen guten Roman wünscht, gewinnt vielleicht einen Atlas, manchem, der eine Literaturgeschichte gern hätte, sendet Fortuna eine populäre Darstellung der Volkswirtschaft ins Haus; und wie, wenn ein Protestant eine katholische oder ein Katholik eine evan gelische »Prachtbibel« gewinnt? Schließlich werden die Ge winner sich glücklich schätzen, wenn sie die Möglichkeit finden, ihre Gewinne zu verschenken. Wahrlich, die Idee ist wert, von Scherl erfunden zu sein, so ganz ist sie seines Geistes. Oder hat man vielleicht gedacht, daß auch bei den kleinen Gewinnen eine Wahl der Bücher durch den Gewinner statt finden soll? Am Wesen der Sache würde das wenig ändern; denn die Lotterie soll ja nur Mittel zum Zweck sein. Sie soll nur die Mittel schaffen, die erforderlich sind, um den schlechten Kolportageroman durch den guten zu verdrängen. Um nun den guten Kolportageroman zu schaffen, war bereits ein Wettbewerb ausgeschrieben, dessen Ergebnis vorliegt. Wir lesen darüber folgendes: »Im ganzen sind 112 Arbeiten (Jnhaltsskizze und 80 Druckseiten Textprobe) eingesandt worden, darunter nicht wenige, die als an sich wertvoll anerkannt werden mußten; dagegen vermochte das Preisrichterkollegium die Frage, ob diese Manuskripte nach erfolgter Vollendung voraussichtlich geeignet sein würden, in dem Kampf des guten Kolportageromans gegen den Schundkolpor tageroman befriedigende Erfolge zu erzielen, nicht zu bejahen. Auf Grund eingehender Verhandlungen wurde lediglich das in bezug auf Inhalt und Darstellung gleichmäßig hervorragende Manuskript »Der blonde Teufel« eines Preises von 1000 würdig erachtet. Als Verfasser dieser Arbeit ergab sich ein junger süddeutscher Künstler, der bisher noch nichts veröffentlicht hat, die Nennung seines Namens nicht wünscht und unter dem Schriftstellernamen Hermann Kuhnr> austreten wird. Seitens des Preisgerichts wurde beschlossen, zur Beteiligung an der Hauptkonkurrenz eine Anzahl ihrer an schaulichen, fesselnden Erzählungsweise wegen besonders in Be tracht kommender Romanschriftsteller unmittelbar einzuladen: ein Verfahren, das den aus diesen Kreisen eingegangenen Gut achten entspricht. Dem Preisgericht sollen für den Haupt bewerb drei Preise von 18 000, I2o00 und 8000 zur Ver fügung gestellt werden. Das beabsichtigte Vorgehen gegen die Pest der Schundromane, die Ursache zahlloser Verbrechen, erfordert auch sonst sehr erhebliche Mittel, da offenbar sowohl den Kolporteuren wie den Lesern bedeutend mehr geboten werden muß, als sie bisher erhielten « Also es ist wieder einmal nichts herausgekommen, ein fach weil bei solchen Preisausschreiben nichts herauskommen kann. Es werden eben nur einige Romane mehr in die Welt gesetzt, wobei die Zahl der schlechten in keinem Ver hältnis steht zu derjenigen der guten. Oder glaubt man wirklich, daß es gelingen wird, als eine neue Gattung unsrer Unterhaltungsliteratur den »guten« Kolportageroman zu schaffen? Es wäre schön. Aber Kunstwerke lassen sich nun einmal nicht züchten, und ein guter Kolportageroman würde in seiner Art doch auch ein Kunstwerk sein. Und haben wir Deutschen es denn nötig, Preisaus schreiben zur Gewinnung guter Bücher zu erlassen? Ganz gewiß nicht, wir haben einen Überfluß daran, sie finden nur ihre Leser nicht. Es wäre darum vielleicht einmal an der 3
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