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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.11.1906
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- 1906-11-30
- Erscheinungsdatum
- 30.11.1906
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- Deutsch
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(Mischer (Berlins) sion, glaube ich, gibt der Polizei geradezu einen Freibrief für alle willkürlichen Handlungen, die ihr für den Augenblick passend er scheinen mögen. Wir haben daher in dem Antrag 570 diefenigen Gesichtspunkte ausdrücklich aufgeführt, wo der Begriff des amtlichen Zweckes nicht zutreffen kann, nämlich erstens einmal bei Streik- Vergehen, zweitens wegen Handlungen, die einen politischen Cha rakter an sich tragen, und wegen ganz gewöhnlicher Lappalien und Übertretungen, wie sie in Z 1 des Reichsstrafgesetzbuches definiert werden. In diesen Fällen, sagen wir weiter, ist die Anfertigung eines Bildnisses ohne Einwilligung des Berechtigten nicht gestattet. Nun hat man natürlich in der Kommission zuerst von seiten der Regierungsvertreter die Einwendung gemacht, daß der Begriff des politischen Vergehens und politischen Verbrechens nicht fest stehe. Darauf haben wir darauf hingewiesen, daß diese Begriffe und Ausdrücke bereits in einer Reihe von Auslieferungsverträgen stehen, und wir können noch hinzufügen, daß es z. B. in H 3 des Reichstagswahlgesetzes ausdrücklich heißt: Ist der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte wegen poli tischer Vergehen oder Verbrechen entzogen, so tritt die Be rechtigung zum Wählen wieder ein usw. Also in unserem dem Reichstage zugrunde liegenden Gesetz ist aus drücklich der Begriff des politischen Vergehens und Verbrechens festgelegt, so daß man also die Einwendung nicht mehr gegen unfern Antrag machen kann, es seien hier keine festen Begriffe aufgestellt. Der Herr Referent hat bereits gesagt, in der Kommission selber sei man einhellig der Meinung gewesen, daß die Dinge, gegen welche unser Antrag sich richtet, von der Kommission allgemein als »ungehörig- und »unter allen Umständen verwerflich« zu be zeichnen seien, und ich glaube auch, es wäre einfach ein Gebot des politischen Anstandes, dem unanständigen Verhalten der Polizei gegenüber Angehörigen von Parteien, die jeweils bei der Polizei nicht in besonderem Ansehen stehen, ein Ende zu machen. Jetzt ist es einfach Regel, daß die Polizei die Mitglieder bestimmter Parteien, die ihr nicht genehm sind, oder von denen sie glaubt, daß sie sie im Interesse der Regierung verfolgen müsse, vorladet, sie wider ihren Willen photographiert, und daß die Photographien dann mit andern Polizeibehörden ausgetauscht werden. Ich meine, wenn wir hier entweder der alten Regierungsvorlage oder der Kommissionssassung in Z 23 zu stimmen, so geben wir damit dem Vorgehen der Polizei eigent lich eine rechtliche Grundlage und die Zustimmung des Reichs tags. Man wird dann kommen und sagen: Bitte, das ist alles mit Zustimmung des Reichstags geschehen. Alle Par teien haben nach meiner Auffassung ein Interesse daran, daß solche Gesichtspunkte nicht mehr unter dem Anschein des Rechts geltend gemacht werden können. Was heute einem Anarchisten passiert, kann morgen wieder uns passieren, wie zur Zeit des Sozialistengesetzes, kann morgen den Polen in ihrem Kampf gegen die preußische Regierung passieren, und das kann auch dem Zentrum, wenn es jemals wieder in eine Periode des Kultur kampfs hineinkäme, ebenso passieren. Und nun sollen sich einmal die Mitglieder des Zentrums vorstellen, daß zur Zeit des Kultur kampfes der Erzbischof Melchers, der Kardinal Ledochowski ein fach vom nächsten besten Polizeibeamten photographiert und ihre Photographien den verschiedenen Polizeistellen des Reichs oder sogar wie bei Anarchisten denen des Auslands aus gefolgt oder ausgetauscht worden wären. Da hat wohl jede Partei ein Interesse daran, daß derartige Dinge nicht ge duldet werden gegen eine Partei, die bei der Staatsbehörde nicht populär ist oder bei der Polizei nicht gut angesehen. Jetzt braucht ja auch nach dem neuen Paragraphen, der da sagt — das wollen wir doch nicht übersehen —: für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit können diese Photographien ausgetauscht werden, — ein Polizeibeamter bloß zu sagen: ich habe diese Handlung für notwendig gehalten im Interesse der öffentlichen Sicherheit; dann hat er auf Grund des H 23 das Recht dazu. Und wessen man sich bei den Polizeibeamten alles versehen muß in bezug aus ihre Auffassung über die Zulässigkeit ihrer Handlungen, dafür hat gestern den besten Beweis geliefert der Polizeimajor Diestfeld in Hamburg, der laut den heute vorliegenden Berichten der bürgerlichen Presse für die Polizei einfach das Recht in An spruch genommen hat, wenn die Straßen geräumt werden sollen, das friedliche, in den Straßen befindliche Publikum mit Faust schlägen zu traktieren. Der Verteidiger hat gestern in Hamburg in dem Prozeß gegen Fräulein Anita Augspurg aus Anlaß der Hamburger Wahlrechtskrawalle gesagt: »Halten Sie es denn für richtig, daß beim Aufräumen und Weitertrciben der Leute einzelne Leute mißhandelt werden? Gehört denn zum Aufräumen auch das Austeilen von Faustschlägen?» Darauf erwiderte der Zeuge, der Polizeimajor: -Gewiß!» Also wessen man sich bei der Polizei zu versehen hat, dafür haben wir hier ein sprechendes Beispiel, und nun soll man mir sagen, daß es keine Polizeibeamte geben wird, die unter dem Schutze des Begriffs -öffentliche Sicherheit- olche Handlungen begehen werden. Der Herr Referent hat schon angeführt, daß zu der Zeit der Kommissionsberatung gerade ein Fall sich ab gespielt hat, wonach ein Schriftsteller aus Berlin, Erich Mühsam, unter dem Verdachte, ein anarchistisches Flug blatt geschrieben zu haben, vor die Polizei geführt und dort einfach photographiert wurde. Wir haben ferner den Fall, der erst diese Woche vor dem Landgericht I, vor der vierten Straf kammer, spielte, den Fall des Arbeiters Ernst Witte, der unter dem Verdacht, ein Flugblatt verbreitet zu haben — bloß unter dem Verdacht, er iit nicht etwa dabei ertappt worden —, vor die Polizei geschleppt und dann zum Photographieren abgeführt wurde. Cr verlangte, man solle ihm eine schriftliche Verfügung ausstellen, damit er Beschwerde erheben könne. Das wurde rund weg abgelehnt; er wurde zwangsweise zum Photographieren ge führt und zwar auf ausdrücklichen Befehl nicht etwa eines Unter beamten, sondern des Chefs der Exekutive, des Polizeirats Or. Henniger, der sagte, man solle Gewalt anwenden. Und nun müssen Sie sich vergegenwärtigen, daß der Chef der Exekutive, dieser Polizeirat Henniger, nicht etwa ein Polizist ist, der viel leicht in einem andern Beruf verunglückt war und nun nach be kannten Beispielen zur politischen Polizei versetzt wurde, sondern vr. Henniger hält sich selbst für einen liberaldenkenden, an- tändigen Mann und gilt auch als solcher. Also, wenn schon der eine solche Handlung verfügt, so können wir uns vorstellen, was an andern Orten, wo nicht solche Leute sind, passiert. Nun hat man ja eingewandt, die Rechtsfrage für die Polizei sei streitig; denn einmal habe das Reichsgericht schon erklärt, eine solche zwangsweise Photographierung sei unstatthaft, sei eine Mißhandlung der Person, und habe dementsprechend entschieden. Das Reichsgericht in allen Ehren; aber ich glaube, wir sind all gemein der Meinung, daß keine Garantie vorhanden ist, daß das Reichsgericht morgen in einem solchen Fall, wo ein Anarchist oder ein Sozialdemokrat zur Verhandlung steht, genau wieder so entscheiden würde; denn der Wert des Reichsgerichts besteht in den Augen der Regierung gerade darin, daß das Reichsgericht für alle augenblicklichen politischen Bedürfnisse der Regierung die juristische Grundlage oder, sagen wir deutlicher, das juristische Mäntelchen schafft. Das ist in erster Linie der Zweck des Reichsgerichts, und diese Aufgabe erfüllte es nicht bloß unter dem Sozialistengesetz, sondern auch heute noch mit ganz besonderer Virtuosität. Nun kommen aber nicht bloß die politischen Parteien in Betracht, natürlich die sozialdemokratische Partei in erster Linie, und in der Kommission wurde eine ganze Anzahl von Fällen konstatiert, wo unter dem Sozialistengesetz die Polizei an einem bestimmten Ort ganz einfach Anhänger der Sozialdemokratie auf das Polizeibureau geladen und photographiert hat, damit in künftigen Fällen, wenn eine Verbreitung von Flugschriften u. dgl. stattfinde, die Polizei gleich weiß, ob Sozialdemokraten auf der Straße seien oder nicht. Zwar sind augenblicklich diese Fälle nicht mehr gegeben. Aber nicht bloß politische Parteien, sondern die Arbeiter im allgemeinen haben ein Recht, zu verlangen, daß die Gesetzgebung nicht dazu mißbraucht wird, solches unangemessenes Verhalten der Polizei zu rechtfertigen. Wir haben den Fall vor einigen Jahren gehabt, er stand im Reichstag selbst zur Debatte, wonach in Hamburg streikende Arbeiter von der Polizei verhaftet und photographiert worden sind, einfach deshalb, weil man sie im Verdacht hatte, sie hätten sich der Nötigung schuldig gemacht (hört! hört! bei den Sozialdemokraten), und der Vertreter von Hamburg Herr vr. Burchard hat offen zugestanden, auf die bloße Anzeige von Arbeitern, daß die Streikenden sie der Nötigung ausgesetzt hätten, seien sie von der Polizei verhaftet und zwangsweise photographiert > worden. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)
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