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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 09.07.1938
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- 1938-07-09
- Erscheinungsdatum
- 09.07.1938
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- Deutsch
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Bildatlas als Volksbuch Als im 16. Jahrhundert unter besonderer Anteilnahme der Deutschen und besonders wiederum durch Merkator die erzähl- freudige, naive Kunst des Kartenmalens sich in die mathematisch und astronomisch fundierte Wissenschaft der Kartographie wan delte, da hätte aus der Landkarte, die vorher nichts anderes als Schaubild war, folgerichtig auch die Karte entstehen müssen, die nur noch Dokument einer getreuen Vermessung bedeutete, die also alles beiseite lassen mußte, was nach Anekdote, Erfindung, Schaulust aussah und nur das zeigte, was zur Vermessungs urkunde gehörte: Umrisse, ab kürzende Zeichen für die Dinge der waagerechten und senkrechten Gliederung. Ganz das Gegenteil geschah aber vorerst. Apians -Bayrische Landtafeln« etwa, diese frühen schönen Zeugnisse der Vermes sungskunde, geben die Gebirge als sich zusammendrängende Hügelgruppen und Felsbrocken, die waldreichen Gegenden als gestaffelte Bäume. Siedlungen sind mit ihren Häusern, Türmen, Kirchen und Mauern verzeichnet. Dazwischen laufen oder ruhen Hirsch und Reh und auf den Bergspitzen klettern die Gemsen. Auf anderen Karten der Zeit jagen Roß und Reiter hinter Hasen und Bären, hüten Hirten ihre Tiere, befehden sich die Menschen in großen Haufen von lanzenbewaffneten Kriegern. Aus kleinen Gewässern bewegen sich Ruderboote, auf den Meeren aber segeln Koggen, Hulks und Karamellen. (Beispiele in »Alte deutsche Landkarten«, von E. Lehmann, Bibliographisches In stitut.) Eine Karte Südamerikas aus dem 18. Jahrhundert, also etwa zweihundert Jahre nach Apian, unterscheidet sich von die sen frühen Karten im Hinblick auf den Bildschmuck kaum, es läßt sich eher sagen, daß die bildlichen Zutaten noch reicher ge worden sind. Der von Seglern befahrene Ozean wird mit Wal und Delphin besiedelt. Mit Namen bedacht sind nur die Orte, Flüsse und Buchten rund um die Küste und die großen Flüsse des Innern. Alles andere ist »Terra incognita«. So müssen ein zelne Bäume, Wildkatzen und seltsame Tiere, Indianer mit Bo gen, Keulen und Schilden oder auch lange Texte helfen, diese leeren Stellen zu bedecken. Dann wären aber immer noch uner träglich Helle Flecken im Blau des Meeres. Hier hinein bringt der Kupferstecher also die umständliche Legende der Karte, ein gefaßt in prächtige verschnörkelte Rahmen mit Girlanden, Blu men, Putten und Tierköpfen. Auf einen andern freien Fleck kommen die zweiunddreißig Strahlen der Windrose und dicht daneben die Maßangaben in zweierlei Meilen. Erst das 18. Jahrhundert bringt die von diesen Bildbestän den gereinigte Karte, die heute mit den schönen Blättern in den Atlanten, mit den Generalstabskarten und Meßtischblättern in sauberer Vollkommenheit vor uns liegt. Nun setzt in den letzten fünfzehn Jahren wieder eine Auf erstehung der Bildkarte ein, aus der sich, wenn man sie auf ihre Gründe hin ansieht und sie mit der Geschichte und Wand lung der Kartographie zusammenhält, bestimmte Folgerungen ziehen lassen. Verzeichnen wir einige dieser neuen Versuche, um so deren Vielfalt und die verschiedenen Ansatzpunkte, die zur Entstehung führten, zu kennzeichnen. Rudolf Koch schafft mit mehreren Mit arbeitern in zehn Jahren gesegneten Werkens (1923—1933) seine schon vor dem Erscheinen berühmt gewordene Deutschland karte. Cläre With bringt eine Reihe Bilderatlanten heraus, Deutschland in mehreren Heften und fast ein Dutzend weiterer Hefte über fremde Länder und Völker. Wirtschaftsunternehmen veröffentlichen zu Reklamezwecken einige schöne Bildkarten, z. B. Kathreiner die Karte von Schleswig-Holstein mit Hamburg, Hälften L Lyon (Tee) eine Karte der Insel Ceylon. Die Reichs bahn hängt ein großes Blatt -Deutschland, das schöne Reiseland« aus alle Bahnhöfe; Fremdenverkehrsverbände, so in der Saar- Pfalz, in Baden, in Niedersachsen verteilen Bildkarten. In den angelsächsischen Ländern zeigen sich Parallelen dazu. Als Letz tes: Das Bibliographische Institut gibt 1938 ein buntes Kartcn- bilderbuch heraus. Der ermunternde Titel ist »Seht, das ist Deutschland«. Der Kern des Buches sind sieben farbige Bild karten. So verschieden wie die Zwecke, denen sie dienen, ist gleich falls die Darstellung des Inhaltes. Neben den einfallsreichen, bilderbogenhaften Erzählungen Leo Fallers, z. B. in der -Ro mantischen Welt am Oberrhein«, gibt es das mehr nüchterne Hineinsetzen einzelner Bilder in Reisekarten. Neben dem zucht vollen, klar geformten Kunstwerk Rudolf Kochs gibt es als Gegenstück skizzenhafte Federzeichnungen. Trotzdem liegt allen Veröffentlichungen doch eine neue Anschauung von den Zwecken der Landkarte zugrunde. Diesen Grundgedanken würden wir aber folgendermaßen beschreiben können. Die jugendliche Landkarte, die Bildkarte alter Zeiten ab Cusanus und Merkator war zugleich wissenschaftliche Urkunde und beschreibendes Schaubild, das dem Gemütdes Betrachters etwas sagen konnte. Sagen wir es anders. Die jugendliche Land karte war eine volkstümliche Karte, denn viele Merkmale der Landschaft wurden noch nicht in abstrakte Zeichen und Symbole umgesetzt, sie boten sich dem Auge noch unmittelbar als Bild dar. So wurde die Phantasie des Betrachters angeregt, er wandelte gleichsam selbst in dieser Miniaturlandschast. Dem, der darin geschult, ein Meßtischblatt lesen kann, der die Steigung des Weges ausrechnen kann, die Bepflanzung der Landschaft, die Form der Äcker und Siedlungen erkennt, wird es ebenfalls gelingen, so vergnüglich mit dem Finger auf dem Blatt reisen zu können. Jedoch bis dahin sind viele Umsetzungen nötig. Fragen wir selbst den Gebildeten, wie wenig wird er aus diesem Meisterwerk der Vermessungswissenschaft herauslesen. Wandern wir durch Thüringen, so wollen wir Erfurts Blumenfelder sehen, wir wollen Auskunft über Jenas Glas industrie und Abbes soziale Einrichtungen gewinnen, wir wollen über den -Wald« wandern, um Lauschas, Bürgels und Sonne bergs Volkskunst und Heimarbeit an ihrem Ursprung zu beob achten, wir wollen Thüringer Gerichte essen, wir wollen Goethes Haus am Frauenplan, Luthers Gemach in der Wartburg mit Ehrfurcht betreten. Die Keimzelle des Kindergartens ist in Blan kenburg, und ein Ausgang der Erziehungsreform in Wickersdorf. Dies alles kann und darf die wissenschaftliche Karte nicht geben. Dies gehört in die Bildkarte, in den Bildatlas. Dieser ver mittelt die Seele des Landes, den Geist der Bewohner, Teile der Geschichte in ihren vielfältigen Ausstrahlungen. Solch ein Atlas, das einzelne Blatt schon, müßte aber auch ein graphisches Meisterwerk sein. So wie Kochs Karte umrahmt von Hölderlins Worten -O heilig Herz der Völker, o Vaterland- die Idee Deutschland, das Symbol des Vaterlandes, dem unsere Liebe und Begeisterung zugehört, gibt, so soll im idealen Fall der Bildatlas als Volksbuch ein schmuckes Kunstwerk sein. Was wir jetzt haben, das sind Anfänge. Sie haben z. Tl. Beziehungen zu den alten Karten (vgl. Koch — Apian). Aber auch ein Neues, was keine vergangene Zeit besaß, half ihre Welt formen. Die Sicht vom Flugzeug oder Ballon drängt die Land schaft im Raum zusammen, Rundfunk, schnelle Reisemöglich keiten ihre Äußerungen in der Zeit. Mit Jnfrarotaufnahmen können wir über vergleichsweise gewaltige Entfernungen photo graphieren, im Film große Strecken in ihrem Nacheinander sesthalten. So haben wir, ohne daß dies als grundlegende Ände rung bewußt gefaßt wird, ein Erdbewußtsein, das nur noch weniges mit dem früherer Tage gemeinsam hat. Bestimmt hat diese moderne Ergriffenheit vor dem Gesicht der Welt viel zur Hinwendung an die Bildkarte beigetragen. Wir »schauen« heute eben große Gebiete als Einheit. (Schöne Beispiele für die »neue Sicht« bietet Diesel in »Das Land der Deutschen-.) Die Wiedergeburt der Bildkarte, des Bildatlas dürfte kaum romantische Wendung zu vergangenen Darstellungsformen sein. (Obgleich wir von der künstlerischen Gestaltung der alten Karten in Schrift und Farbe sehr vieles lernen könnten.) Wir dürfen Wohl sagen, daß die neuen Bildkarten keine »Mode« und als Mode morgen hinfällig sind, sondern daß die Forderung nach der Bildkarte, dem Bildatlas als Volksbuch aus der Zeit heraus zu verstehen ist. Der Atlas als wissenschaftliches Werk wird da neben natürlich nie entbehrt werden können. Bruno Arbeiter. 556 Nr. 157 Sonnabend, den 9. Jult 1938
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