Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.06.1913
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- 1913-06-18
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- 18.06.1913
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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Redaktioneller Teil. ^ 138, 18, Juni 1913. Wer von den heurigen Gästen auf der Fahrt nach Bühl über München kommt, der hat auch Gelegenheit, neuzeitliche Bureau- Einrichtungen mit allem zeitsparenden Raffinement, wie Kartothek, Parlograph usw., zu studieren. Die Ausstellung »Bureau und Geschäftshaus«, die von Mitte Juni bis Mitte Juli hier stattfindet, wird auch für Buchhändler ein reiches Material für Neueinrichtungen und Neueinführungen bringen. Wenn auch im großen und ganzen das Prinzip der Sparsamkeit, das alte Bindfäden und altes Packmaterial wieder und wieder verwenden läßt, als durchaus gesundes anerkannt werden mutz, ein bißchen modernere Einrichtungen könnten wir schon brauchen, ein bißchen mehr auf das, was der Kaufmann »Aufmachung« nennt, dürften wir schon sehen. Denn der erste Eindruck ist der entscheidende, und der kann nie aus dem Inhalt, immer nur aus der Form gewonnen werden. Es brauchen ja nicht gleich Klubsessel, Diplo- matcntisch und Jalousteschränke zu sein. Langsam, ganz langsam machen hier in München die Sorti- mente mit ihren Läden den Forderungen der Gegenwart Zu geständnisse. Zwar liegen die meisten, die in ihren Einrichtungen an die gemütliche, behäbige Zeit, da der Großvater die Groß mutter nahm, erinnern, abseits der großen Kaufstraßen, doch ließen sich Wohl auch bei ihnen kleine Umänderungen, die dem modernen Geschmack entgegenkommen, ohne besondere Betriebs störungen vornehmen. In den Ladeneinrichtungen kann sich Nürnberg, das in der Kunst doch nur von seinem Dachsfett zehrt, ruhig neben die Kunst- und Residenzstadt München stellen. Um so mehr begrüßen wir daher jeden Fortschritt. Daß das sogenannte Lindauer Haus in der verkehrsreichen Kaufingerstraße früher oder später den Forderungen der Neuzeit verfallen würde, damit rechnete der derzeitige Inhaber schon seit vielen Jahren. Nach dem sich aber eine Vergrößerung durch Ankauf von Neben gebäuden nicht verwirklichen ließ, wurde Heuer ein Umbau auf dem bisherigen Raum beschlossen. Und aus den Trümmern des allen Hauses steigen, Vergangenheit und Zukunft verknüpfend, die Schatten der Vorbesitzer auf. Uns interessiert selbstverständlich nur das Buchhändlerhaus, das es nach den »M. N. N.« seit 1803 ist. Recht interessant ist, was vr. Trautmann in diesen« Blatte auch noch so nebenbei berichtet. I. Lindauer, der die Teilhaberschaft an einer Preßburger Buchhand lung aufgegeben und 1784 in München die damalige Krätzsche Buchhandlung erworben hatte, übersiedelte 1803 in das Haus Kaufingerstr. 29, das also schon seit 110 Jahren ein Buch händlerhaus ist. Mit 1200 Gulden Vermögen, das Anlage- und Betriebskapital bildete, sing er in München an. Rührig und um sichtig, mit stets vorwärtsstrebender Triebkraft, richtete er als Erster in München in seiner von ihm erösfneten Leihbibliothek auch eine Abteilung für wissenschaftliche Werke ein. Fast möchte es uns anmuten, als hätte er moderner gedacht als wir, wenn wir lesen, daß er fast in jeder Mittwoch-Nummer der Zeitung Neuig keiten seines Sortiments angezeigt hat. Sie müssen besser aus gewählt gewesen sein als in dem Neuigkeitenverzeichnis, das die Redaktion der »M. N. N.« seit einigen Wochen jeden Montag ihren Lesern bietet, denn sonst hätte sich das Geschäft nicht so entwickeln können. Durch den Sorti mentsbetrieb kann einer, wenn er Glück und Geschick hat, sich eine gute Existenz gründen, er kann vielleicht bei nicht zu hohen Ansprüchen sein gutes Auskommen finden, reich werden aber kann er dabei nicht. Dies hat Lindauer richtig erkannt, und er hat daher von Anfang an seine beste Kraft auf den Verlag ver wendet. Von 1786 bis 1816 hat er über 400 Werke herausgege ben, nach der Überschlagsrechnung also jährlich 35 Neuerschei nungen, — eine erstaunliche Produktion! »Freilich« — meint Traut mann — »war es in jenen Tagen noch eine Lust, Verleger zu sein, denn Honorare wurden nur in Ausnahmefällen bezahlt. Prof. Winter z. B. hat für sein klassisches Werk .Geschichte der evange lischen Lehre in Bayern' nicht nur kein Honorar beansprucht, son dern noch die Hälfte der Druckkosten bestritten. Der treffliche Westenrieder dagegen war .anspruchsvoller': er erhielt für den ersten Band seiner heute so viel gesuchten.Beiträge zur vaterländischen Historie' — ganze 39 Gulden.« Die weitausschauende und drängende Unternehmungslust trieb Lindauer, wie erwähnt, 1803 vom versteckten Frauenplatz in die Hauptader per Residenz, wo er in der Kaufingerstraße sein eigenes Haus »viel zu teuer«, wie er meinte, erwarb. Doch wenn Könige bauen, haben Kärrner zu tun. Ludwig I. schuf mit guten« Blick für das Schöne, Wahre, Kräftige die Bauemstadt München zur Kunststadt und damit zur Fremdenstadt um. Dem Sortiment Lindauers war dadurch also eine vielseitige Entwicklungsmög lichkeit geboten. Seine Nachkommen haben ihrer Zeit ihr Recht gegeben, und wenn jetzt das alte Haus fällt, um ein neues auf allein Fundament erstehen zu lassen, so geschieht es nur, weil eben nur der Lebende recht hat. Jede Zeit aber hat ihren eigenen Geschmack, wir müssen mit ihm schreiten oder die Zeit schreitet über uns weg. Daß hier in München dem Schulwesen eine besondere Auf merksamkeit gewidmet wird, konnte ich schon einigeinale belegen. Daß das Kind aber auch außerhalb der Schule noch betraut wird, davon legt die Eröffnung des vierten Kinderlesezimmers (in der Klenzeschule) Zeugnis ad. Diese Stiftung eines Privat mannes bietet in 512 Nummern eine gut gewählte Bücherei mit Bilderbüchern, Märchen, Sagen geschichtlichen und naturwissen schaftlichen Werken. Ein Drittel davon wurde von Schülern der Oberklassen ganz geschmackvoll und dauerhaft broschiert. Wie ge mütlich der Münchner belehren kann, das beweisen die von Lehrer Drnckseis verfaßten Anweisungen auf den Lesezeichen: Merk dir sein: Les' ja not z' schnell und plag' dein Geist! Schad' wennst d' nix überlegst, Wia wennst d' a Zuckerzetl z'beißt, Statt daß d'as langsam schleckst! Schau sei glei' nach: Hast d'saub're Händ? Was? — Ra? — So rbasch' s' nur grad, Damit ma'L not vo weitem kennt. Wer ini iatz g'lesen hat. Im Buchhandel hat man leider diese Besorgnis, dem eignen Nachwuchs die Freude am Buch, die Lust zum Lesen zu erhalten und zu fördern, nur recht selten. Das Publikum verlangt zwar sehr häufig eine Empfehlung, meistens kann der Verkäufer aber über die allgemeinen Redensarten, daß das Buch gut sei, daß die Kritik es besonders empfohlen habe, daß es viel gekauft werde, und was derartige Gemeinplätze mehr sind, nicht hinauskommen. Er hat eben, allgemein gesagt, nichts gelesen und quält sich daher ab, ein Urteil über etwas zu sprechen, das er selbst nicht kennt. Innerhalb des Geschäftes seine Ware kennen zu lernen, daß er sie nach bester Überzeugung empfehlen kann, dazu fehlt die Zeit. Es bleibt ihm daher nichts übrig, als diesen Teil des Fach studiums zu Hause zu erledigen. All das, was ihn inter essiert, zu lesen, ist ihm ja durch die Flut der Neuerscheinungen sowieso verwehrt. Er soll aber doch wenigstens das Wichtigste kennen lernen, damit er nicht durch die Frage: »Haben Sie das Buch auch gelesen?«, die Kollege A. B. in X .... heim in seiner Anfrage im Bbl. Nr. 97 auch erwähnt, beständig ln Verlegenheit gebracht wird. Gewiß wird nun ein Routinier, ein flotter Ver käufer sich durch solch eine Frage nicht aus der Fassung bringen lassen. Peinlich aber ist es doch, wenn der Kunde immer nur eine Umschifsung der Antwort bekommt und er allmählich merkt, daß dem Verkäufer doch das Beste von einem Verkaufstalent, die Warenkenntnis, fehlt. Die sonstigen Vorzüge der Suada, des höflichen, aufmerksamen Wesens vermögen das entschwundene Vertrauen nicht mehr zurückzubringen. Geben wir daher denen, die einen lebendigen Anteil an den Neuerscheinungen besitzen, diese ruhig mit nach Hause. Es wird ja doch nur ein kleiner Teil davon wirklich ernsthaft gelesen. Das meiste, das also nur überflogen und durchblättert wird, wird schwerlich durch dies oberflächliche Durchsehen an seinem Äußern leiden. Die Bücher dagegen, die wirklich durchgelesen werden, müssen eben geschont werden, und dies geschieht auch von Viel lesern, weil sich bei ihnen allmählich eine mechanisch wirkende Technik im Auflegen und Umdlättern von selbst ergibt und zudem das Bewußtsein, fremdes Eigentum vor sich zu haben, sowieso möglichste Schonung erzwingt. Und wenn ja eininal das eine oder andere Buch so gelitten haben sollte, daß es nicht mehr als neu zu verkaufen wäre, dann wird der Verlag, wenn er die Be gründung für den gewünschten Umtausch erfährt, den Posten halt aus Konto Rezensionsexemplare buchen, natürlich um so lieber, wenn er sieht, daß die betreffende Firma von dieser Wißbegierde (Fortsetzung auf Seite 847!».j
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