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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.05.1939
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- 1939-05-04
- Erscheinungsdatum
- 04.05.1939
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- Deutsch
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immer mit Gesang an) zu beobachten, wie dieser Gesang die Herzen der Leute aufschloß. Diese Erfahrung muß für alle wei teren Leseabende auf Dörfern genutzt werden. Die zweite Frage war: Wie werden die Leute mit der unglaublichen Tatsache fertig, daß ein Mensch, der Bücher schreibt, zu ihnen in ihr Dorf kommt, um ihnen vorzulesen? Im Vordergrund steht der Mann, im Hintergrund steht das Buch. Unser Unternehmen hatte ja nicht nur den Sinn, auf den Dör fern -Dichterabende«- zu veranstalten, damit diese Abende unter der Rubrik »Kraft durch Freude« registriert werden können (»Seht, jetzt habt ihr in den kleinsten Dörfern das, was die in den Städten haben«) —, sondern wir wollten den Menschen in dem ganz abgelegenen Dorf zum Buch hinführen. In diesen Dörfern — wo alle andre Kulturvermittlung so gut wie ganz ausfällt — hat das Buch eine besonders hohe Mission zu erfüllen. Darüber waren wir uns klar. Auch darüber, daß diese Menschen nicht so ohne weiteres von selbst zum Buch hinfinden. Sic haben oft seit ihrer Schulzeit- kein Buch mehr in der Hand gehabt. Wie bringt man sie nun am natürlichsten an das Buch heran? In einer gemeinschaftlichen Feierstunde, in der aus dem Buch vorgelesen wird. Der nächste Schritt ist der, daß den Leuten gezeigt wird, wer hinter dem Buche steht — wie der aus sieht, der das Buch geschrieben hat, was er für ein Kerl ist. Der persönliche Eindruck ist alles. Er ist ausschlaggebend für Erfolg oder Mißerfolg. Mit Recht hatten wir uns wohl gesagt: es ist reichlich kühn, vor diese Menschen, die ein hartes, karges Leben haben, die von der Sorge um das tägliche Brot gebeugt sind, einen jungen Menschen zu stellen. Werden sie nicht sagen: Was kann der uns schon erzählen! Was weiß der denn schon vom Leben! Zudem kam ich aus Schlesien, war ihrem ganzen Wesen fremd (wenn ich auch väterlicherseits pommerscher Herkunft bin). Die Leute sind von Natur aus — wie man hört — verschlossen; mir gegenüber werden sie es erst recht sein. Diese Aufgabe hatte Siegfried Gliewe (der obenerwähnte ehrenamtliche Kreisreferent des Volksbildungswerkes) über nommen; er machte ihnen den Sinn des Buches und des Dich ters mit so einfachen Worten klar, sprach so zu ihren Herzen, daß die Schranken fielen. Es ist eine Grundwahrheit: In diesen Dingen, die die Kultur betreffen, kann nichts organisiert werden. Hier muß der fanatische Einsatz des einzelnen Pionierarbeit leisten, muß be geistern, muß mitreißen, muß Breschen schlagen, Brücken bauen. Das haben mir oft auch die Lehrer auf den Dörfern bestätigt: sie sind manchmal von Haus zu Haus gelaufen, haben den Leuten erzählt, wer zu ihnen kommt und was sie davon haben würden. Hier muß Hand in Hand arbeiten. Ein drittes kommt dazu: das Buch selbst. Ich hatte angeregt, an jedem Abend einen Büchertisch mit meinen Büchern Her richten zu lassen. Nicht, damit die Leute kaufen sollten — nur, damit sie sehen: dies sind die Bücher, die der geschrieben hat, der eben vor euch stand und euch vorlas. Es sollte nicht nur bei dem flüchtigen Eindruck durch das Ohr bleiben; es sollte die Verbindung vom Erzählenden zum Buch geschaffen werden. Eine rührige Stolper Buchhandlung hatte meine Anregung aufge- grisfen; jeden Abend wurde also von dem ehrenamtlichen Mit arbeiter des Volksbildungswerkes ein Büchertisch fertiggemacht. Dieses Unternehmen ist vorerst einmal dasselbe Experiment ge wesen, wie für uns das Borlesen. Wir konnten kaum annehmen, daß ein Buch verkauft würde. Das Ergebnis soll hier vorweg genommen werden: es wurden so viel Bücher verkauft, wie wir es nie erwartet hätten. Die Exemplare des »Verwandelten Her zens«, die vom Buchhändler für die ganze zehntägige Vor lesungsreihe berechnet waren, waren am ersten Abend ausver kauft. Es mußten von allen Büchern größere Mengen nach- bestellt werden. Noch eins über dis Ausgestaltung der Abende. Man hat sich fast immer geradezu rührende Mühe gegeben, mich schön zu empfangen. Der Raum — meistens war es der Saal des Dorf krugs — war mit Fahnen geschmückt, Blumen über Blumen standen auf Tisch und Bühne. Fragte ich einmal nach Näherem, so hörte ich, daß das ganze Dorf oft mit daran gearbeitet hatte, jedes Haus hatte eine Blume, eine Fahne gebracht, oder eine Tischlampe — in einem Fall hatte man sogar die Lampe der Postdienststelle abmontiert, um mir schönes Leselicht zu schaffen. — Und so frisch und sauber gesungene Lieder habe ich selten gehört; dabei auch gerade Lieder aus unserer jungen Zeit! Ein mal wurde sogar Baumanns Kantate »Ruf aus dem Osten« ausgeführt und zwar ausgezeichnet. Hierbei schon erfuhr ich, daß die alte Mär vom »Hinterpommcrn«, das irgendwo auf dem Monde liegt, ein großes Märchen ist, mit dem endlich einmal aufgeräumt werden muß. Erst recht erfuhr ich das beim Vorlesen selbst. Vorweg gesagt: eine so aufgeschlossene, aufnahmebereite Zuhörerschaft habe ich wohl auf all meinen Vorlesungen in Städten des Reiches noch nicht gehabt. Ich hatte mir doch gesagt, daß die Leute, wenn sie abends kämen, müde vom schweren ländlichen Tag sein würden — und ich hatte mir von vornherein diese Entschuldigung für sie zu rechtgelegt. Nun mußte ich erleben, daß sie atemlos meinen Worten lauschten, daß sie ganz still saßen und zuhörten — ich sah, welche Gewalt das Wort über diese Menschen hat, und ich sah auch, wel chen Hunger sie nach geistigen Dingen haben. Mehreremal geschah es, daß sie nach Schluß des Abends einfach sitzen blieben und ich ihnen noch etwas vorlesen mußte, und ich merkte, sie hätten am liebsten noch Stunden zugehört. (Für mich selbst war das die schönste Bestätigung, daß meine Arbeit »volkstümlich« ist, Volks gut sein kann.) Und an jedem Abend erlebten wir dasselbe: nachher dräng ten sich die Menschen um den Büchertisch, nahmen die Bücher in die Hand, wie etwas ganz Kostbares, Heiliges (nicht wie eine Zeitung), und man sah ihnen die Sehnsucht an, sie zu besitzen. Und sie kauften Bücher! Was wir nie für möglich gehalten hät ten, das geschah: Diese Menschen, für die ein Taler ein Ver mögen bedeutet, kauften Bücher wie das Arbeitsdienstbuch oder den »Moorgänger«. Manchmal beobachtete ich, wie einer sehr, sehr lange um die Bücher herumschlich, aber augenscheinlich nicht so viel Geld bei sich hatte, und wie er dann bei den andern herumging und sich das Geld zusammenlieh. Ein anderes wun derbares Erlebnis: in einem kleinen armen Dorf (es waren zu allermeist Gutsdörfer, und die Leute also Gutsarbeiter) machte die HI. unverzüglich eine Sammlung unter sich, jeder steuerte bei, so viel er übrig hatte, und sie kauften gemeinsam das Arbeitsdienstbuch. — Viele aber hätten gern ein Buch mitge nommen — sie konnten es nicht, weil so viel Geld, wie nötig ge wesen wäre, einfach nicht da war. Ich fordere deshalb vom Ver lag die Herstellung eines kleinen Buches, das möglichst den Preis von 1.— RM nicht überschreitet. Dieses wird vielen erschwinglich sein, und sie werden den ersten Schritt zum Buch tun können. Dies aber ist das wichtigste: daß erst einmal die Verbindung ge schaffen wird. Diese Saat wird aufgehen; hier ist eine große Auf gabe. Hier ist auch eine große Arbeitsmöglichkeit für den Buch handel. Er muß auf das Dorf gehen, er muß das Buch in das Dorf bringen! Sicher ist es etwas beschwerlicher, als im Laden zu stehen und auf den Käufer zu warten. Aber er wird sich mit dieser Arbeit eine Kundschaft erobern, wie er sie in der Stadt nicht haben kann: die aus ihn wartet und ihm dankbar ist. Ich übersehe nicht, daß es erst einmal Mühe machen wird, und daß es vom Geschäftlichen her eine Zeitlang nicht »rentabel« sein mag Aber jede Kulturarbeit fordert zuerst Pionierdienst — bis die Brücken gebaut sind. Dann aber wird sie eine dankbare buch händlerische Aufgabe sein. — Zugleich sehe ich hierin ein wich tiges Hilfsmittel für die Beseitigung des Stadt-Land-Problems. Auf das Buch, das eine tiefere Wirkung haben kann als Variete und Komödie, die man auf das Dorf losläßt, darf nicht verzichtet werden. Jungbuchhändler, eure Aufgabe ist es, diese Sache an zupacken! Wie sehr wichtig es ist, daß — vor allem im Anfang — Dichter und Buchhändler diese Kulturaufgabe gemeinsam anfassen, das möchte ich noch einmal betonen. Es darf nicht mehr sein, daß der Verlag seinen Kram für sich macht, mit der her kömmlichen Propaganda, und der Buchhandel auch für sich, und Nr. 102 Donnerstag, den 4. Mai 1039 35»
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