Dichter: Und man muß die Grenze kennen. Verleger: Ja, die Grenze und die Echtheit. Der Leser - Sic verzeihen das abstrakte Wort - fällt leicht auf Falsches herein. Sicher spielt da auch die Magie des gedruckten Wortes mit. Er ist oft unsicher - vielleicht liegt das nun wirklich einmal an der Zeit - und läßt sich von „falschen Gefühlen" fangen. Das muß man wissen. Da liegt die Grenze. Und die Wirkung eines erfolgreichen Buches mit falschen Gefühlen kann zunichte machen, was zehn gute Bücher an echten seelischen Kräften stärkten. Und sie erschwert noch mehr die Wirkungsmöglichkcit späterer guter Bücher. In wessen Wesen erst einmal falsche Gefühle cingedrungen sind - sie geben sich immer sehr schön und verlangen sehr wenig -, der ist oft auf lange Zeit hinaus für wahre und echte Gefühle verdorben. Hier ist die Verant wortung des Verlegers infolge der vielfach herrschenden Ur- tcilsunfähigkeit besonders groß. Dichter: Ja, falsche Propheten gibt cs wohl auch heute. Verleger: Und ich brauche Ihnen die Namen derjenigen Ver leger nicht zu nennen, die vor unserer Erneuerung wissentlich mit Schlechtem und Verderblichem, weil cs lockend war und eine ganze verfilzte Clique dahintersteckte, Geschäfte machten. Unsereiner hat es damals nicht leicht gehabt. Da half nur eines: der Glaube an die Lebenskraft des echten Geistes trotz Lüge und Unterdrückung. Aber ohne diesen Glauben wäre unsere ganze Arbeit nicht möglich und sinnlos. Der Dichter (nach einer Pause): Ja, Sic glauben an das Buch. - Ihre Worte haben mir manches gegeben. Aber wir sollten nun schließen. Es wird zudem Abend, und ich halte Sie auf. Verleger: Ich hatte diese ruhige Stunde mit Ihnen erhofft. Aber lassen Sic uns noch etwas gehen. Hören Sic, draußen flöten die Amseln. Und wir schwätzen so gescheit! Wir sollten Ihr Buch und den Frühling und unsere Gemeinschaft noch mit einer Flasche Wein feiern. Beide verlassen das Zimmer und kommen in dem schon menschen leeren Gang des Verlagshanscö an einem Bücherschrank vorbei, an dem der Dichter seine Schritte verlangsamt. Verleger: Sehen Sie, hier habe ich die schönsten Bücher meines Verlages aufstellen lassen und habe ihnen eine Zahl unserer wichtigsten Klassiker-Bände vorangcstellt. Natürlich mit Absicht. Dichter: Ja, ich sehe. Luther, Klopstock, Lessing, Goethe, Schiller, Hölderlin ... Verleger: Mir sagen diese Bücher immer etwas Besonderes; etwa hier der Kleist. Was hätte ihm zu seinen Lebzeiten ein wirklich gläubiger Verleger bedeutet! Von diesen Büchern klagen manche an. Und andere mahnen. Ich möchte wohl wis sen, ob Lessings Bücher für seinen Verleger immer ein gutes Geschäft waren. Aber er hat sie gedruckt. Und heute nach hundcrtfünfzig Jahren verlegt man sic noch, und sie werden mehr gekauft, als man gemeinhin weiß. Wenn man das von unseren Büchern einmal auch sagen kann... Dichter: Nach hundertundfünfzig Jahren... Verleger (im Weiterg-h-n): Übrigens, wenn ich mal im Jahr ein paar Tage Ferien mache oder abends eine Stunde erübrigen kann, dann gehe ich zu meinem Bücherschrank und hole mir so etwas wie Goethes „Italienische Reise", oder den „Faust", oder „Pandora", oder Schillers „Prosaische Schrif ten", oder Novalis' „Briefe", und dann lese ich. Das sind dann meine Bücher. Dann bin ich - Mensch. Und morgen will ich auf diese Weise, nur ganz für mich, Ihr Buch lesen. Glauben Sie mir, man braucht solche Quellen der Kraft. Gerade als Verleger... Der Sortimenter und der Bücherleser und -küuser Bon Marlin Riegel Es besteht kein Zweifel, daß der Büchcrleser und der Bücher- käufcr eine andere Stellung zum Buch cinnchmcn als der Sortimenter. Eö dürfte auch kein Widerspruch entstehen, wenn behauptet wird, daß der Sortimenter nur Nutzen davon haben kann, wenn er sich bemüht, diese Stellung des Lesers zu er gründen. Der Ausgangspunkt hierbei muß sein, den Begriff „Leser" fcstzulegcn, wenn bei dieser Arbeit überhaupt wertvolle Er gebnisse erzielt werden sollen. 3m Alltage verbindet man mit dem Wort „Leser" zu oft ganz oberflächliche Begriffe, und meistens denkt man dabei an den Leser von Romanen und Erzählungen aller Art. Als Leser ist natürlich „jeder" Leser 30