alten Platz neben dein Fenster und der Luftklappe (ich stand immer auf und liest die Witze hinaus, die vom Katheder fielen—ganz ernsthaft und unbefangen, zum Jubel der Klaffe!), dort wird nun eine neue Generation lernen und träumen sichern und abgucken ... Man selber ist nun groß, beinahe erwachsen, und wird von jetzt ab Gediegen beit und Vernunft hervorkehren mästen! „Ihr tretet in eine neue Lebensphase ein, meine lieben jungen Freundinnen", sagte Fräulein Munk in ihrer Abschiedsrede, indem sie über ihre scharfen Kneifer gläser auf uns zehn junge Mädchen blickte, die mit andächtigen Gesichtern zu ihren Füßen saßen. „Ein wichtiger Abschnitt endet für euch mir dem heutigen Tage..." Die Aula der Lessingschule war festlich geschmückt, das Rednerpult bekränzt, zwischen der großen Büste Lessings am Kopfende des Saales und seinen gips- gefocmten Geistestöchtecn Emilia und Minna, die ihm auf Konsolen zu seiten standen, schwangen sich grüne Girlanden, wie es zu solchen Gelegenheiten üblich war.. .Wir zehn Jubilarinnen aber saßen genau unter dem Pult— zum letzten mal dem guten Fräulein Munk zu Füßen und dem leichten Sprühregen ihrer Worte ausgesetzt, denn sie besaß, was man eine „feuchte Aussprache" nennt, und hatte sich während der vielen, vielen Schulstunden öfter genötigt gesehen, kleine Spritzer von den aufgeschlagenen Büchern ihrer Schülerinnen mir leichtem ?3.rckon! und einer stinken Fingerbewegung zu entfernen. Mit Wehmut sah man auf ihre graue Frisur, auf die längst bekannte rosa Festbluse „Aurora" und den engen Wollrock, in dessen Bund sie ihr geknäultes Taschentuch zu stecken pflegte. Man fühlte noch einmal das einschüchternde Blitzen ihrer scharfen Gläser und bewahrte die Handbewegungen in seiner Erinnerung, jene Geste vor allem, die mit geschlossenem Daumen und Zeigefinger einen kleinen Bogen beschrieb und aus den französischen Stunden stammte. « kUtes-ckonc 1a liaison!» pflegte sie sonst dabei zu sagen, und ihre Stimme klang keineswegs immer friedfertig und geduldig. Heute aber wurde sie von einer sanften Rührung gemildert... „ ... Nun zu guter Letzt— geben wir dir jetzt— auf die Wandrung das Ge—-lei—ite", sangen sie oben, und Marie Bokelsen sang selbstvergessen und aus alter Pflichttreue mir, wie sie es seit Jahren gewohnt war. Mit Augen übrigens die voll aufgeschlagen und blank von Tränen an des alten Lessings Gipsgesichr Mein Elternhaus war in der ganzen Stadt bekannt, und wir machten uns manchmal den Spaß, uns auszudenken, was alles die braven Bürger wohl daran zu nörgeln fänden. Einem Künstler wie Magnus Scherrer, so mochte man sagen, ist manches nachzusehen. Er ist zwar keiner von den ganz großen, abcr^das Städtchen hat doch Anlaß, sich seiner in berechtigtem Stolze zu rühmen/Man begegnet einigen seiner Bilder in Galerien und Kunsthallen der Großstädte. Ein wunderschönes Srurmbild ist bekannt, im Prinz-Karl-Museum hängt das Porträt seiner drei Was aber soll man zu einer Hausfrau sagen, die drei Töchter hat, einen Maler zum Manne und nur eine alte schwerhörige Magd zur Bedienung und dennoch den Hauptteil des Tages mir Geigenspiel verbringt? Die Konzertreisen macht, anstatt ein wachsames Auge auf Haus, Küche und Garten zu haben! Ihr Geigenspiel kannte inan von der Kirche, von der Lyzeumsaula her, wo sie ihre Kunst gelegentlich in den Dienst einer guten Sache stellte, und fand seine Freude daran durch begeisterte Zcitungskritiken bestätigt. Aber was man ihr so chwer verzieh, war ihre Besonderheit, ihre Zurückhaltung, das unbekümmerte Lächeln, mir dem sie sich über alle gesellschaftlichen Bräuche hinwegsetzte! Auch auf unserem Dause mag seinerzeit mancher verurteilende Blick gelegen haben. Schweigend nahmen wir unsere Plätze auf der Terrasse wieder ein. Eben stand einer der jungen Leute auf und ging mir vorsichtig wiegenden Schritten in die Halle, um Mutters Geige zu holen. Er trug das Jnstrumcnr-in feierlich vor- ge,leckren Händen und beugte ein Knie vor der Künstlerin. „Wie glücklich Sic sind", sagte hinter mir der junge Doktor Brinkmeier, „so die Kunst aus erster Hand zu haben! Für lins ist das eine Delikatesse, für Sie tägliche Speise." Ick nickte. Aber während meine Mutter, am Türpfosten lehnend, den Bogen über die Saiten führte, spann ich den Gedanken weiter. Ja, wahrhaftig: meine Eltern in ihrer glücklicken Zweisamkeit kielten Gold in ihren Händen. Wir 3