„Von mir? Aber ich bitte Sie, das ist so einfach. Ich kenne gar nichts von der Welt und bin bis vor kurzem wie ein Füllen auf der Weide gewesen." „Das jetzt im Geschirr geht." „Ja. Und in strenger Zügelführung." Ich fing an, von meinem Elternhause zu reden. Der liebe, vertraut glitzernde Tand, nach dem meine Hände nun wieder griffen, zauberte eine Menge fröhlicher Erinnerungen herauf. Das Scherrerhaus jm Schnee, von lauter Weihnachtsmelodien durchzogen. Vor zwei Jahren waren die Voß-Kauners gerade von einer Konzertreise zurückgekehrt und feierten den Heiligen Abend bei uns. Das war ein Leben! „Alle meine Erinnerungen hängen an Tönen und Farben", sagte ich. Beratus nickte. So ungefähr habe er sich den Boden vorgestellt, auf dem ich gewachsen sei. Voller Töne und Farben, wie ein Blumengarten im Sommer. Und mein Turm— er wäre zwar im allgemeinen nicht für Türme auf Wohn häusern— aber wie ich das geschildert hätte... man müsse doch vielleicht seine Bauweise einmal in diesem Sinne revidieren. Bauweise? Wahrhaftig— er sei ja Architekt. Elli Perkien hätte es neulich erzählt, als ich mich nach seiner Wunde erkundigte, sagte ich. „Wie freundlich, daß Sie das taten, Schwester Magna ..." „Oh, das ist nichts Besonderes, Herr Beratus. Natürlich interessiert uns das Befinden aller Patienten, ob wir sie nun selber pflegen oder nicht. Ihre Wunde buttert gar nicht mehr so stark, sagt Elli. Gewiß wird man Sie bald entlassen können." Beratus meinte, Frühling könne es bis dahin leider doch noch werden. Er schloß ein wenig die Lider und legte die Fingerspitzen aneinander. „Februar, März— wissen Sie, was ich möchte, ehe ich wieder raus muß? Dann möchte ich ein ruhiges grünes Fleckchen wissen, irgendwo in den Bergen, hoch über allem..." „Das müßte sich doch finden lassen", fiel ich eifrig ein, „im Harz, in Bayern..." „Ja, meinen Sie?" sagte ec langsam. „Den blauen Himmel über und eine große Blumenwiese unter mir. Und bei mir müßte ein Mensch sein, der mich versteht, den ich liebhaben darf— was sagen Sie dazu? Oder verlangt man damit zu viel vom Leben?" Ich hatte schon eine Welle unruhig auf die Uhr gesehen und erhob mich jetzt, um meinen Nundgang zu machen. Da legte der Mann plötzlich seine Hand um die meine und zog mich zu sich 8 heran. Ich sah die 'Misteln unter seinen Wangen spielen. „Sie stehen auf? Sie lassen mich allein? Wollen Sie mir antworten, wenn Sie zurückkommen?" Ich rührte mich nicht und sah, dicht an seinen Knien stehend, verwundert auf ihn nieder. „Was soll ich Ihnen darauf antworten? Daß ich Ihnen ein solches Fleckchen von Herzen wünsche, und alles andere, versteht sich das nicht von selber?" Er ließ meine Hand los. Als ich eine Viertelstunde später zurückkehrte, war der Erkerplatz leer. Nühne hatte geschrieben, das war der Grund zu Vaters Brief an mich. Rühne stand im Begriff, einen Urlaub von vierzehn Tagen anzutreten, und bat noch einmal um die Hand von Vaters jüngster Tochter Magna. Anläßlich seiner ersten Werbung im Juli 1914 glaubte er bemerkt zu haben, daß seine Person den Herrschaften nicht unsympathisch sei. Inzwischen habe Fräulein Magna ihre anfängliche Weigerung zurückgenommen und ihm bindende Versprechungen gegeben. (Unterstrichen!) Wegen der Kürze seines hart verdienten Urlaubs sei eine Kriegstrauung das Ziel seiner Sehnsucht. Er hoffe und wünsche und so weiter. .Mit dem Ausdruck der vorzüglichsten Hochachtung Alfred Nühne, Hauptmann der Reserve.' Herr, du mein Gott! war mein erster Gedanke, als ich das Blatt sinken ließ. Auch das noch!... ... „Nühne ist aber gewiß ein Mann, der alle Hochachtung verdient." „Ich bin auch zu aller Hochachtung bereit, Vater. Aber kann diesiHMann mich zwingen, ihn zu lieben?" „Er kann klaren Bescheid erwarten. Gib einmal den Brief her. Wie schreibt er? Inzwischen hat Fräulein Magna ihre anfängliche Weigerung zurück- gen 0111 m»n..." „Ach, laß doch, Vater", sagte ich gequält. „Ich muß mich bedenken." „Und du meinst, ich werde nun an meine Arbeit gehen und die Dinge weiter- laufen lassen? Ihr seid verwöhnt, ihr Töchter! Rühne und du - ihr habt also Briefe gewechselt?" „3a." „Und er hat seine Werbung wiederholt?" „Ich— ich weiß nicht mehr." 9