Endlich fängt er an zu reden. Ob ich mich seines Abschieds aus dem Lazarett im vorigen Frühjahr noch erinnere. Ec habe damals an unsere Tür geklopft, um Lebewohl zu sagen, und mich in Sorge und Aufregung um Marie gefunden. Damals habe er mich bitten wollen, seine Frau zu werden. Schwer atme ich, mit geschlossenen Augen. So nahe, so nahe ist mir das Glück gewesen, mit seinein Gewand hat es mich gestreift, und ich wusste es nicht! „Natürlich konnte ich in der Stunde nicht sprechen", sagt Beratus mit ver haltener Stimme. „Schicksal! dachte ich. Es soll nicht sein! Wahrscheinlich ist es dir bestimmt, zu fallen und dieses Mädchen nie wiederzusehen. Daß ich Ihnen hier begegnete, erschien mir wie ein Freispruch: Lebe, Mensch! Mach Pläne! Denk über den Krieg hinaus! Glaube an dein Glück und an dein Leben!—Aber inzwischen ... O Magna, Magna, wie ist es möglich, daß Sie nicht spürten, wie ich nach Ihnen rief! Vor Weihnachten, als Sie die Wache hatten ..." „Ich weiß", flüsterte ich. „Sie saßen da so herbe und jung, so umfriedet und unnahbar mit Ihrer kind lichen Arbeit..." „Ach! Ich war ganz umpanzert und von der Wichtigkeit meines Dienstes durchdrungen. Etwas in mir schlief noch— verstehen Sie?— und wollte nicht geweckt sein." „Aber inzwischen, kaum ein Jahr später..." Er sagt es ohne Anklage, obne Bitterkeit. JchJühle nur, wie seine Hände, rückwärts greifend, sich lim das Fensterbrett klammern. Ich wende inein Gesicht und seheWn an. „Dann ging ich blind und in der Irre, Beratus", flüstere ich mit kalten Lippen. „Dann lernte ich verachten und hassen. Und das einzig Helle auf meinem Wege war meine Arbeit— bis..." Von der Tür her ruft mich Madame C6cile an. „Ja!" sage ich ganz lallt lind hell wie ein Mensch, derausdem Traume spricht — „Ich komme!" Und während ich meine Glieder aus ihrer Verzauberung löse, höre ich den Mann neben mir wieder redeil. Mit langsamer, tiefer und gedämpfter Stimme, einer Stimme, die voller Güte und Trauer ist, sagt er: „Du. Du. Du. Ich liebe dich. Ich werde niemals aufhören, dich zu lieben." „Ich habe den Befehl für morgen bekommen und möchte Ihnen jetzt schon Lebewohl sagen." 14 „Sie müssen fort?" Ich legte beide Hände auf die Brust und sah ihn an: „Sie müssen fort, Beratus?" Da fühle ich sein rasch atmendes Gesicht dicht über dem meinen, empfange plötzlich lange durstige Küsse, die mein Blut mit heißem Jubel überschwemmen. Zwei, drei Atemzüge lang liegen unsere Lippen aufeinander. Und während jeder Nerv meines Körpers dem seinen Antwort gibt, habe ich nurdieeineEmpflndung, ganz weit fort voll allein Denken und Verstehen: dies ist vielleicht die einzige Stunde, lim die sich dein Dasein herumbaut— koste sie aus, trinke sie aus, ihr Glück ist dein Leben ... Nichts ruft, nichts droht, nichts besteht außer der köstlichen Gabe dieser Liebe, in der Wesen und Wille schmelzeil wie spröde Salze im Meer ... „Begreifst du, begreifst du", raunt Beratus an meinem Munde, „wie schwer eZ mir ist, daß ein anderer Rechte an dich hat?" „Keine Rechte mehr, Gerhard." „Schwörst du mir das?" "WZ „Ja, ja, ja!" So tief bin ich versunken, es ist mir ivie ein Wunder, daß nach dem Erwachen die schwarzen Bäume noch da sind, die frierenden Nasen, die Massen des ab gedunkelten Hauses, die fernen, funkelnden Sterne am Himmel. „Schwester", sagte Agathe mit ihrer spröden Stimme, „nun ist unsere Zeit vorbei. Ich habe Befehl bekommen, das Haus zu räumen. Es scheint, man hat die Front zurückgenommen und auf einer neueil Stellung befestigt. Wir sind aus der Etappe unversehens hinter die Linien geraten." „Warum müssen wir fort? Macht es uns etwas aus, vorne zu sein, Ober schwester? Können wir nicht in Feldlazaretten Weiterarbeiten? Wird nicht jede Kraft gebraucht?" fragte ich leidenschaftlich. „Ich will und muß hierbleiben! Wo soll ich hin?"