Moskau in Flammen 7>II m 10. September 1812 marschierten wir früh ab und kamen am 11. wieder als Avantgarde zu unserem Theaterkönig (Murat). Unter stetem Gefecht mit den russischen Horden kamen wir am 14. vor Moskau an. Als wir über die schöne Hochebene vorrückten und diese Stadt in Sicht bekamen, rief unser General Walmapel: „Soldaten, wir sind am Eckstein zweier Welt teile, von Asien und Europa, angekommen!" Dieser Jubel beim Anblick der Zarenstadt mit ihren Kirchen und Kapellen, einer Menge vergol deter Kuppeln und dem großartigen Kreml, den vielen Palästen und Klöstern! Alles schrie: „Mos kau, Moskau!" Wir glaubten, hier alles im Überfluß und dazu Ruhe zu finden, wie uns verheißen war; aber wie bald fanden wir uns gerauscht, und unser Leiden fing nun erst recht an! Unsere Brigade zog einen Kordon, um keine Marodeure in die Stadt zu lassen, da man glaubte, sämtliche Bedürfnisse requirieren zu können; auch wurden alle Maßregeln getroffen, um die Stadt so schonend wie möglich zu behandeln. Napoleon hielt lange auf der Anhöhe, in der Hoffnung, cs werde eine Deputation erscheinen, um ihm die Schlüssel von Moskau zu überreichen, aber niemand erschien. Endlich ritt er mit seinem Generalstab ein. Napoleon war für seine Person so prunklos, daß er einem ganz untergeordneten Offizier gleichsah. Auch sein Pferd war nichts weniger als schön, da es eine Abfarbe hatte; es war ein Goldfalch, der nicht über vierzehneinhalb Faust maß. Von diesem großen Mann war alles wohlweislich berechnet, denn er wollte von den Moskowitern nicht erkannt sein. Nach dem Einzug bezog er den Kreml. In diesem Augenblick gewahrten wir auf der Nordseite — wir stunden westlich — das Feuer fürchterlich emporlodern. Bei diesem Anblick be merkte ich, und zwar ängstlich: „Dieses ist unser Unglück!" Am dritten Tag nach der Ankunft vor Moskau mußte unsre Brigade eine Patrouille durch die Stadt machen. Wir kamen durch eine breite Straße, wo recht schöne Gasthäuser, Kaufläden und Apotheken standen, aber alles im höchsten Feuer und Flammen. Wir mußten wahrhaftig durch einen feurigen Pfuhl reiten, über uns war ein wahres Gewölbe von Feuer. Unsere Pferde wollten mehrmals nicht vorwärts, namentlich wenn wir an Apotheken vorbeikamcn, in denen es oft furcht bar krachte, und aus denen ganze Kreuzstöcke auf die Straße geschleudert wurden. Dies gräßliche Schauspiel wurde noch erhöht durch die Marodeurs und die losgelaffenen Sträf linge. Da jeder das Beste haben wollte, kamen auch diese hintereinander, und so glich es auch hier einem Schlachtfelde. Auf den Straßen und in den Häusern schossen sie einander nieder, überall lagen Tote und Sterbende. Es ist nun gewiß, wenn der Mensch entmenscht ist, ist sich nicht wohl ein Begriff zu machen, wie es da zugeht. Ich habe dazumal zu meinen Kameraden gesagt: Wenn ich je glauben könne, es gebe Teufel und eine Hölle, so könnte ich doch nicht glauben, daß die Teufel ein noch gräßlicheres Schauspiel aufführen könnten als das, wovon wir Zeugen waren, wo Menschen sich in dem Feuermeer würgten und töteten. Ganze Dächer von Erz und von Kupfer schleuderte das Feuer in die Luft, von wo sie unter furchtbarem Gekrach wieder auf das Pflaster niederfielen. Das Prasseln des Feuers, das Einstürzen der Häuser und großartigen Paläste, dazwischen das Knattern des Kleingewehrfeuers deutete auf unfern Untergang. Als wir endlich nach langer Anstrengung das Ende der Hauptstadt erreichten, kamen wir in eine noch unversehrte Vorstadt, wo wir wieder sorgenfrei marschieren konnten, wäh rend wir in der Hauptstadt keinen Augenblick sicher waren, von Feuer verzehrt, vom Rauch erstickt, von stürzenden Dächern erschlagen oder von Räubern erschossen zu werden... A Engelhorn A Nr. 194 Dienstag, den S1. August 1937