»Sr »IILÜ Von WillxZin 8cliu8ter Wenn ich in der Volkshochschule meine Übun gen über Gegenwartsfragen und ihre Spiegelung im Schassen unserer Dichter und Schriftsteller halte, wenn ich jetzt hinaussahre in die Lager des freiwilligen Arbeitsdienstes und dort mit den jungen Menschen spreche, wenn ich Anfänger in Berus und Ausgaben des Volksbibliothekars ein- zusühren habe, dann pflege ich mit einigen Fra gen zu beginnen, die etwa lauten: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, weshalb die Menschen Bücher lesen? Warum und was lesen Sie selbst? Wag suchen Sie im Buche, was verlangen Sie von ihm? Je nach Lebensalter, Geschlecht und sozialer Schicht weichen die Antworten ein wenig voneinander ab, in einer doch immer wieder gleichförmigen, typischen Weise. Wohl blitzt auch Individuelles dazwischen auf, das oft tief in die Seele des Sprechenden schauen läßt, im Großen und Ganzen ist es aber so, daß diese so oft individualistisch gescholtene Zeit sich als viel gebundener ausweist, als der Kulturkritikcr anzunehmen geneigt ist. Natürlich auch im Sinne des Nlassen- mcnschen, aber dieser Zug herrscht doch nicht vor, beherrscht höchstens die Dbersläche und liegt wie etwas Fremdes, durch Umwelt und Reklame dag eigentliche Wesen mehr oder weniger stark Verhüllendes obenauf. Man kann es leicht abstreisen und hat dann eine nicht allzu große Zahl von Leserkypen, die mit einigen und nicht sehr zahlreichen Aus nahmen wertvolle, notwendige und in gewissem Sinne wohl ewige Ausprägungen des Wesens Mensch sind. Arbeitet man weiter, so kommt dann das Individuelle in immer neuer Nuancierung, aber es bleibt im Rahmen des Typischen als besten Spielart oder Mischsorm; selten ist die ungewöhnliche, überraschende und nicht einzuordnende Gestalt. Einige Züge aber sind mehr oder weniger durchgehend, und unter ihnen möchte ich einen herausgrcisen, der mir besonders wertvoll und beachtenswert erscheint. Im Munde junger und naiver Manschen, bei denen er am leb haftesten hcrvorlritk, obwohl er noch den Alten durchaus eigen ist, lautet er etwa so: „Ich möchte aus dem Buche erfahren, wie es im Leben und in den Herzen der Manschen zugeht, damit ich mich danach richten und es recht machen kann, wenn ich in der gleichen Lage bin oder in eine ähnliche Lage komme." Wir denken gleich an die Kinder und ihre kleinen Geschichten, denen eine irregeleitete Ästhetik die wie ein Zäpfchen angehängke „Nloral von der Geschichte" abschneiden wollte, bis man entdeckte, daß die Kinder ste forderten. Ja, wie die Kleinen zwitschern, so pfeifen die Großen: immer ist es bewußt und unbewußt eine Not des Lebens, die zum Buche greifen läßt, die eine Frage an das Buch stellt. Es ist oft selbst dort noch so, wo nach dem schlimmsten Schmöker gegriffen wird, wo der Leser von vornherein weiß, daß er die drängende Frage nur einschläsert, daß er seinen Hunger mit Steinen statt des Brotes füttert. Es ist sehr merkwürdig, daß die meisten Autoren davon wenig zu wissen scheinen. Vielleicht ist der Konkurrenzkampf daran schuld, daß ste mehr daraus aus stnd, mit irgend etwas Überraschendem auszuwarten, das ste kühn und geistreich erscheinen läßt. Sv ist cs in der Dichtung und auch bei den Gelehrten, die ganz in ihr Spiel vertieft stnd, sich gegen seitig die funkelnden Bälle ihrer rabulistischcn Dialektik zuzuwerfen und einer den andern zu widerlegen, ohne stch um dag Volk der Leser zu kümmern, die ihnen mit hungernder Seele dabei zusehen. Das gilt nicht zuletzt von der neueren 130