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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.01.1937
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- 1937-01-07
- Erscheinungsdatum
- 07.01.1937
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auch äußerlich ebenso verlockend und bequem präsentiert wird wie ein srisch gebackener Roman? Es ist doch ein ganz bestimmter Hauch, der den neu erschienenen Roman, falls er wenigstens gut ausgestattet ist, schon auf den ersten Blick umgibt. Dazu kommen Einzelheiten des Formats und des Satzspiegels, die für das aus nehmende Auge eine wichtige Rolle spielen; alles dies wurde bisher von den billigen — und nicht einmal nur von den bil ligen — Klassikerausgaben in sträflicher Weise vernach lässigt. Dabei können sich solche Gesamtausgaben, gleichviel ob vollständig oder nicht, von vornherein nur an einen engeren, literarisch geschulten Kreis wenden. Wenn man dagegen einen »gesammelten« Gutzkow oder Otto Ludwig fmit all seinen drama tischen Fragmenten!) auf jeden zweiten Konfirmations- geschenktisch legt, wo sie auf den harmlosen Beschauer schon von weitem eine Atmosphäre von gebildeter Langeweile aus strahlen, so hat das einen soziologischen und einen ver triebstechnischen Grund. Die berüchtigte Repräsentation mit mindestens drei Metern nie gelesener Klassikerreihen im Bücherschrank stammt noch aus dem Bürgertum zu Beginn unse res Jahrhunderts. Da es zu einer eigenen, produktiven und kritischen Beziehung gegenüber vergangener und gegenwärtiger Dichtung unfähig war, übernahm es wahllos, was ihm die Lite raturwissenschaft — und das hieß damals die Scherer-Schule — als ihre neueste Leistung empfahl: eben die philologisch exakten Gesamtausgaben. Gewiß etwas Wertvolles, nur daß sie für das ausschließlich wirtschaftlich interessierte Bürgertum unbrauchbar blieben und als Fassade seiner geistigen Gleichgültigkeit miß braucht wurden. Wie sich daraus die Zerdehnung und Sinn- cntleerung des »Klassiker»-Begrisss entwickelte, ist ein leider noch nie behandeltes Thema dieser traurigen Bildungsgeschichte. Schließlich wurde fast jeder bekannte Name aus dem 19. Jahr hundert in dieses literarische Hausmuseum ausgenommen. In dem letzten Jahrzehnt vor dem Kriege begannen aber auch neue Schichten ihre Bildungsansprüche geltend zu machen, und da diese kleinbürgerlichen und vom Land herkommcnden Kreise nicht sehr kaufkräftig waren, gab man ihnen billige, verkürzte Nach drucke dieser Klassikerausgaben in die Hand, die vor allem auf wenig Papier möglichst viel Gedrucktes enthalten mußten. Wie die Drehorgeln aus den Hinterhöfen ja auch die Schlager wieder holen, die etliche Jahre zuvor in der eleganten Tanzdiele be klatscht wurden. Bezeichnenderweise waren damals hauptsächlich die neu entstandenen »Buchabteilungen« in den Warenhäusern die Vertriebsstellen dieser Klassikernachahmungen. Aber auch der Buchhandel konnte sich schließlich beim besten Willen nicht mehr dieser Strömung entziehen; da verstanden es glücklicherweise zwei Verleger, mit ihrer Arbeit neue Vorbilder zu schaffen und die rechte Mitte zwischen den Bibliotheksausgaben des Philologen und den lieblos zusammengestoppelten, auf miserablem Papier gedruckten Warenhausklassikern zu finden. Das Bibliogra phische Institut brachte neue, billige Gesamtausgaben heraus und gab ihnen alles, was man gerechterweise erwarten konnte: sorgfältige Textgestaltung, brauchbare Einleitungen und kluge Auswahl, die dem besonderen Charakter einer Sammel- ausgabe entsprach und doch nicht rein philologischen Interessen diente. Auch heute besitzt diese Leistung ihren guten Sinn, wo gesammelte Werke am Platze sind. Und der Insel-Verlag vereinigte alle wissenschaftlichen Ansprüche mit den aesthetischsn Forderungen, die inzwischen für ein Buch entstanden waren, wenn es wirklich gelesen werden soll und nicht nur als Arbeits- odcr Nachschlagewerk auf dem Schreibtisch des Literaturwissen schaftlers liegt. Nicht zuletzt des Verlegers Verdienst bleibt es, daß beispielsweise die textkritischen Neuausgaben der Briefwechsel aus der Goethezeit oder die Nietzschebriese sosort einen Leserkreis fanden, der statt der wissenschaftlichen Vorbildung ein aufnahme- bereites Herz und eine leidenschaftliche Liebe für alle geistigen Lebensfragen mitbrachte. Diese Entwicklung der Klassikerausgaben ist in vieler Hin sicht aufschlußreich für die gegenwärtigen Aufgaben. Wir sehen heute ihren Wert mit anderen Augen an als vor zwanzig oder dreißig Jahren; von offenkundigen Fehlgriffen — etwa der alte Feuchtersleben als billiges Weihnachtsgeschenk ohne bestimmten Anlaß — noch ganz abgesehen. Allerdings haben sich die beiden, vom Bibliographischen Institut und der Insel eingeleiteten For men keineswegs überlebt. Eine G o e t h e ausgabe ist für die meisten Bücherschränke wichtig: nicht weil sie billiger ist als Einzel ausgaben, sondern weil sie die Möglichkeit zum Blättern schafft — blättern in Goethes Buchbesprechungen, in seinen Gelegenheits- schristen usw. Viele lesen auch plötzlich einmal Schillers »Abfall der Niederlande« mit großem Genuß, obwohl sie das wenige Jahre vorher, als der Schiller auf dem Geschenktisch lag, für unmöglich gehalten hätten. Im allgemeinen besteht gegen wärtig wohl eher die Gefahr, daß der Käufer sich an allzu ge kürzte Ausgaben von Kleist, Hebbel usw. hält, und der Leser wird dann um ihren eigentlichen Sinn gebracht. Wenn die Klassikerausgabe nicht eine Welt für sich mit der Möglichkeit zu Entdeckungen und der Gefahr der Enttäuschungen bildet, ist sie wertlos geworden. Es gibt sogar Dichter, die sich überhaupt erst in der Form einer Gesamtausgabe erschließen; für Ferdinand Raimund und in gewissem Sinne auch für Grillparzer gilt dies. Die Gesamtausgabe gehört also nicht nur zu den »Klas sikern« im engeren Wortsinnc: eine Anmerkung für Verleger! Andere Formen der Neuausgabe. Aber aus alldem geht auch hervor, daß dies durchaus nicht die universale und im voraus bcstgeeignete Form der Ncu- ausgabe darstellt, und vor allem sollte sie viel weniger als Jugendgeschenk gelten, auch wenn man dabei an die Zukunft des Beschenkten denkt. Denn wenn sie erst einmal zehn Jahre lang nichts oder vorwiegend Enttäuschungen für den einzelnen ge bracht hat, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie im rechten Augen blick, in dem sie wirken könnte, gar nicht mehr erst in den Um kreis seines Bewußtseins tritt. Kehren wir zu unseren Lager- Fragen zurück: aus diesen Wenn und Aber läßt sich der Schluß ziehen, daß diese Gesamtausgaben keine allgemein verbindliche Forderung für alle Sortimenter, auch keine ideale, bedeuten können. Sondern sie gehören zu den Sondergebieten des Lagers im oben angegebenen Sinne, deren Ausbau in vielen Fällen sinnvoll ist; genauer gesagt: sie stellen einen kleinen Teil des Sondergcbiets Deutscher Literatur oder Literaturwissenschaft oder auch Weltliteratur usw. dar. Sie müssen schon mit geistigen Voraussetzungen — nicht mit wissenschaftlichen — beim Leser rechnen. Und die Frage, vor der wir gegenwärtig stehen, lautet anders: läßt sich die Aufnahmebereitschast, die offensichtlich für jeden umfangreichen Moderoman vorhanden ist, nicht aus die Tradition der deutschen Dichtung umlenkcn? Das kann nur durch Einzelausgaben geschehen. Was ist in dieser Rich tung bisher unternommen worden? Die Zeiten sind allerdings unwiderruflich vorbei, in denen jeder kleine Verlag hier ein bequemes Geschäft wittern konnte, und die Antiquariate erzählen noch ausführlich von dieser jüngsten Episode. Sehen wir uns aber die Überbleibsel daraufhin an, dann bedauern wir nur sehr selten ihr rühmloses Ende. Meist handelte es sich dabei um den zehnten oder zwölften Neudruck einer Dichtung, für die man im voraus einen bestimmten Liebhaberkreis voraussetzen kann; etwa für Kleists »Penthesilea« oder Hölderlins «Hyperion». Die neue Aufgabe wäre aber beispielsweise, die Spekulation mit aktuellen Bauernromanen durch eine Neuausgabe des Gott- helfschen »Uli« zu erschweren, wobei sich der äußere Ein druck von dem einer Novität nur — durch den verhältnismäßig niedrigeren Preis unterscheiden darf. Durch einen Neudruck also, der sich neben der Volksausgabe -von Reymonts »Polnischen Bauern« sehen lassen kann. Es gibt heute eine Bücherreihe, die sämtliche buchtechnischen Forderungen in dieser Hinsicht erfüllt und zweifellos schon in der angegebenen Richtung wirkt: die Jnselromane in ihrer neuen Form. In ihrer Auswahl machen sich verschiedenartige Interessen geltend. Ein Teil von ihnen ebnet wirklich den Weg zu den Dichtungen, die sonst in Gesamtausgaben vergraben liegen Wahl verwandtschaften) — ein anderer Teil dient spezielleren litera rischen Interessen, die nicht in unseren Fragenkreis gehören (Defoe). An dem bekannten Stichwort vom »Geheimratsstil« Goethes ist nicht zuletzt schuld, daß -die wichtigsten Werke zum großen Teil nur in feierlichen Gesamtausgaben vor uns stehen — und stehen bleiben, während die Eckermanngespräche bezcichnender- 13
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