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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.02.1914
- Strukturtyp
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- 1914-02-25
- Erscheinungsdatum
- 25.02.1914
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- Deutsch
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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. ^ 46, 25. Februar 1914. der Neuen Photographischen Gesellschaft. Sämtliche Postkarten sind von der Staatsanwaltschaft in Berlin für unzüchtig erklärt und beschlagnahmt worden. (Hört! hörtl bei den Sozialdemo kraten.) Die sechs, welche sich auf der letzten Seite befinden, sind die jenigen, wegen deren schon eine Verurteilung eingetreten ist, wo aber das Reichsgericht durch das vorhin von dem Herrn Staatssekretär ver lesene Urteil schließlich die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache an ein anderes Gericht vermiesen hat. Die erste» Seiten bis dahin enthalten Postkarten, bezüglich deren das Verfahren noch schwebt. Uber das Verfahren werde ich Ihne» nachher etwas erzähle». Wer einigermaben Kenntnis von der photographischen Technik hat, sieht, das; diese Photographien schon als solche Meisterwerke der Reproduktion sind: trotzdem sollen auch diese nun unzüchtig sein. Aus dem Urteil, welches das Reichsgericht glücklich ansgehoben hat, entnehmen Sie, mit welchen — ich kann es nicht anders nennen — perversen Gedankcn- gängen die Staatsanwaltschaft ihre Anklage zu begründen gesucht hat. Denken Sie sich, daß die Staatsanwaltschaft, wie wir aus den Urteils- griinden ersehen, die Behauptung aufgestellt hat, auf diesen Photo graphien wären die Schatten an gewissen Teilen des Körpers mit Ab sicht hervorgcrnfen worden, um dadurch einen unzüchtigen Effekt zu erzielen. Glücklicherweise ist das Gericht ans die Brücke dieses Blöd sinns (Heiterkeit) nicht getreten, sondern hat das abgelehnt. Aber welche Unwissenheit auch in technischen Dingen gehört dazu, wenn der gestern so gerühmte und gelobte Staatsanwalt so etwas dem Gericht vorzutragen wagt! Und ein solcher Mann wird auf die Kunst los gelassen! (Heiterkeit.) Ich will das mir auf der Zunge liegende Wort nicht anssprcchen, aber mir kommt das nahezu pathologisch vor. Nun hat die 12. Strafkammer trotzdem verurteilt. Das Reichs gericht hat aber das Urteil aufgehoben. Die Sache ist dem Reichsgericht schließlich doch gar zu dumm geworden, und es ist lobenswert, daß es dieses Urteil kassiert, und noch lobenswerter, daß es sie an ein anderes Gericht verwiesen hat. In den Prozessen sind ja schon immer manche Dummheiten gemacht worden, die durch einen Mißgriff eines einzelnen Richters entstanden. Freilich, nicht völlig schuldlos an solchen Urteilen sind auch die Künstler und Kunstverleger, die sich um solche Fälle nicht genügend gekümmert haben, so daß es zur Verurteilung kam, ohne daß die Hanptintcresscnten sich ernsthaft dagegen gewehrt haben. Die Sache ist aber ernster geworden, seitdem durch das Präsidium des Land gerichts I Berlin eine bestimmte Strafkammer, die 12. Strafkammer, mit der Bearbeitung aller dieser Sachen betraut worden ist, und seitdem man damit eine Sternkammer gegen Literatur und Kunst geschaffen hat. Ich weiß ganz genau, daß cs dem Wortlaut des GcrichtsvcrfassungSgesctzes nicht widerspricht, wenn die Geschäfts verteilung auch nach Materien erfolgt! aber gegen den Geist des Ge- richtsvcrfassnngsgesetzes verstößt es ganz entschieden, wenn für be stimmte Prozesse besondere Richter ausgesucht werden und eine be sondere Kammer gebildet wird. Wir müssen deswegen dagegen prote stiere». Was heute mit der Anklage aus 8 184 des Strafgesetzbuches ge schehen kann, kann morgen auch mit politischen Klagen geschehen, und die berühmte siebente Deputation aus der Zeit vor dem Gerichtsver- fassungsgesctz kann wieder ihre fröhliche Auferstehung feiern. Die traurigen Erfahrungen, die man mit diesen politischen Anklagen in der Zeit vor dem Gerichtsverfassungsgesetz gemacht hat, haben zu den Bestimmungen über die Geschäftsvcrteilung geführt. Wenn nun das Direktorium des Landgerichts entgegen dem Geist des Gesetzes für eine bestimmte Materie wieder eine solche Kammer schafft, so kann man sich nicht wundern, wenn ebenso traurige Erfahrungen, diesmal nicht auf politischem, sondern auf künstlerischem Gebiete die Folge sind. Daß ich mit meiner Meinung recht habe, hat mir das Verfahren vor dieser Kammer in dem Prozeß wegen der dort liegenden ersten 200 Postkarten gezeigt. Dieser Prozeß schwebt noch. Aber wenn die Verteidiger nicht so energisch eingegriffen hätten, dann wären die 200 Postkarten in einer Stunde ebenso glatt verurteilt worden wie die sechs übrigen. Man muß das nur einmal miterlebt haben, wie ein solcher Karren arbeitet, wenn Kutscher und Gaul so aufeinander ein gefahren sind. Der Herr Staatsanwalt gab sich gar keine Mühe mehr, seine Auffassung nur zu begründen. Er murmelte bloß einige Worte: das Gericht kenne ja die diesseitige Auffassung, er habe bei der bekann ten Auffassung des Gerichts wohl nicht nötig, seine Darlegungen noch zu spezialisieren usw. In dieser Art wurde dort prozeöiert. So wurde auch der Ausschluß der Öffentlichkeit begründet. Stellen Sie sich vor: nachmittags um 2 Uhr fand im Moabiter Gerichtsgebände die Verhandlung statt, zwei oder drei ober vier Leute saßen im Zuhörer- raum, ungefähr 30 Meter entfernt von dem Gerichtstisch, auf dem diese Postkarten ansgelcgt werden sollten; und da wurde behauptet, durch die öffentliche Erörterung der Frage nach der Sittlichkeit ober Unsittlich- kcit dieser Postkarten könnte eine Gefährdung der öffentlichen Sitt lichkeit eintreten. (Hört! hört! und Lachen links.) Das ist doch ge radezu kindisch, wenn cs nicht bösartig ist. Der Staatsanwalt sagt elu- 318 fach: das Gericht habe immer auf diesem Standpunkt gestanden. Und auch das Gericht kam mit derselben Begründung heraus: es habe immer auf dem Standpunkt gestanden, in solchen Fällen die Öffent lichkeit auszuschließen. Ich frage: warum? Wo soll denn da die Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit stecken? Für die Verteidigung und für die Durchführung der Anklage ist es in solchem Falle ja ganz gleichgültig, ob die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist oder nicht. Es be weist aber den Geist der Gesetzwidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit gegen das Gesetz, wenn man in diesem Falle das Prinzip der Öffent lichkeit nicht achtet. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Und dann kommt ein weiteres dazu. Diese ganzen Prozesse würden nicht möglich sein ohne eine dem Gesetz widersprechende Anwendung des Z 42 des Strafgesetzbuchs und des objektiven Strafverfahrens. Im Gesetz steht, daß das objektive Strafverfahren gegen Druckwerke nur dann eintreten dürfe, wenn die Verfolgung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist. Nun ist auch wieder das Reichsgericht daran schuld, das erklärt hat, ob die Verfolgung einer- bestimmten Person unausführbar wäre, habe nicht das Gericht zu entscheiden, sondern das hänge von dem Befinden der Staatsanwalt schaft ab. Demnach kann die Staatsanwaltschaft nach dieser Auffassung und entgegen dem Geiste unseres Prehrechts, wo sie will, ein objektives Verfahren an Stelle eines Verfahrens gegen eine Person einleitcn. Es ist natürlich kein Gedanke daran, daß in solchen Fällen eine Person nicht verfolgt werden könnte. Man kennt den Verleger, man weiß, daß der Verleger mit Wissen diese Photographien hcransgegeben hat. Man kennt auch die Künstler, und die Künstler geben rückhaltlos zu, daß sie die Herstellung und Verbreitung dieser »unsittlichen« Photo graphien veranlaßt haben. Man könnte also gegen sie einschreiten: nach dem Legalitätsprinzip wäre man dazu verpflichtet. Der Staats anwalt macht sich nach dem Lcgalitätsprinzip sogar strafbar, wenn er die Person nicht anklagt. Aber er weiß ja: ihn wird ja sein Kollege Staatsanwalt nicht wegen Amtsverbrechcns anklagen. Warum nun erhebt die Staatsanwaltschaft nicht Anklage gegen die Personen, die Künstler selbst, die diese Karten haben Herstellen lassen, und den Verleger? Weil sic ganz genau weiß, daß sie nie daran denken könnte, eine Verurteilung zu erzielen, sobald angesehene Künstler und Geschäftsleute in der Anklagebank stünden. Denn davor hüten sich die Herren Richter denn doch sehr, anständige, angesehene Männer, über deren Lauterkeit der Gesinnung kein Zweifel besteht, auf diesem Hinwege einer verdrehten Judikatur plötzlich für Pornographcn zu erklären und deswegen zu bestrafen. Aber eine objektive Verurtei lung dnrchzudriicken, ist bei der Indolenz der Gerichte leichter. Deshalb wird eine Anwendung des objektiven Verfahrens bei uns zur Regel, die uns beinahe auf österreichische Preßzustände bringt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das ist aber eine ganz offenkundige Gesetzwidrigkeit. Es ist hohe Zeit, daß wir im Wege der Gesetzgebung diesem Unfug, dieser Ausdeh nung des objektiven Strafverfahrens einen Riegel vorschieben, und es scheint mir auch hohe Zeit zu sein, daß sich im Reichstage nicht nur wir, sondern auch der Herr Staatssekretär und die anderen Parteien einmal darüber aussprechen. Was heute den angeblich unsittlichen Kunstwerken geschieht, kann morgen mit einem politischen Zeitungs artikel geschehen. Und tatsächlich ist der sozialdemokratischen Presse gegenüber schon in derselben Weise vom objektiven Verfahren Gebrauch gemacht worden. Ich habe hier vor einigen Jahren einen charakteristi schen Fall erzählt. Ein Flugblatt, welches zur Agitation für Wahl- rechtsforderungeu diente, wurde in Berlin, wo der bekannte Autor wohnte, nicht angeklagt, weil das Gericht den Tatbestand einer straf baren Handlung nicht als erfüllt ansah. Daraufhin hat man außerhalb, wo das Flugblatt verbreitet wurde, wo auch ein Teil der Auflage ge druckt wurde, das Flugblatt im objektiven Verfahren angeklagt. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Den Drucker, den Verleger und den Verbreiter hat man nicht verklagt, aber im Handninörehen plötzlich eine Verurteilung des Flugblatts unter dem Gesichtspunkt des Hoch verrats erzielt, desselben Flugblatts, dessen Verfasser hier in Berlin ganz ungeniert und frei herumspazierte und durch Gerichtsbeschluß außer Verfolgung gesetzt worden war. Das ist nun eine ganz gefährliche Sache, denn wenn diese Praxis maßgebend wird, dann wird es, wie gesagt, wie in Österreich, wo die Behörde» in vielen Fällen auch nicht daran denken können, die Re dakteure einer politischen Zeitung verurteilen zu lassen — denn kein Gericht würde sie dort verurteilen —, und wo man sich deshalb darauf beschränkt, im objektiven Verfahren, das freilich dort legal ist, die Blätter selbst vernichten zu lassen. In der Frage der Bekämpfung des Unsittlichen in Bild und Schrift will ich lediglich dem beitreten, was der Herr Kollege Or. Müller (Meiningen) gesagt hat. Es ist nicht meine Schuld, wenn ich außerdem mit einem kurzen Wort das wiederholen muß, was ich schon von 14 Jahren zu der isx Heinze hier gesagt habe. Ich bin unter
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