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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.02.1914
- Strukturtyp
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- 1914-02-25
- Erscheinungsdatum
- 25.02.1914
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- Deutsch
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Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. ^ 46, 25. Februar 1914. blusc eines Jungen, ja die kurzen Strümpfe einer Schülerin, eine durchbrochene Bluse eines jungen Mädchens von 16 Jahren, ja sogar die Abbildung zweier vollständig bekleideten nebeneinandersitzenden Kinder ans dem Umschläge eines staatlich eingeführten Rechenbuchs ge nügen solchen Schweinekerlen (Wiederholte Bravorufe von den So zialdemokraten) — ich drücke mich absichtlich so aus — zur Aufregung. (Bewegung und Heiterkeit.) Ich will nicht mehr von den bayerischen Schuhplattlern sprechen. Aber ein anatomisches Wandbild, das offiziell durch die Schulver waltung eingeführt ist — der Mensch, Aufbau des menschlichen Kör pers mit seinen Knochen, Nerven, Sinnesorganen usw. —, führt be reits zur Beanstandung seitens eines höheren Beamten, daß man der artige unsittliche Dinge in der Schule aufstelle. Eine Lehrerin, die einen etwas entblößten Hals hatte — mindestens 30 Zentimeter mehr als bei den Hofbällen! —, wird bereits als ein unsittliches »Weibs bild« bezeichnet. (Hört! hört! links.) Und so geht das weiter, meine Herren! Wenn dieser neue Gesetzentwurf zur Verhandlung kommt, können wir noch sehr nette Dinge vor allem aus Süddeutschland und Bayern über diese Sachen erzählen. Es spottet jeder Beschreibung, wie diese Schweinerei, die sich Sittlichkeit nennt, gegen das Reinste und Beste wütet. (Sehr richtig! links.) Das ist die andere Seite der Medaille. Und das Allertollste ist die krankhafte Verballhornung un serer deutschen Dichter. (Sehr richtig! links.) Da hätte ich nun den großen Dichter Or. Georg Oertel einmal hören mögen (Heiter keit), daß er auch einmal ein Wort gesprochen hätte, nicht bloß zuletzt mit derartigen allgemeinen, hier gar nicht passenden Redensarten. Es ist ein Skandal! Wenn wir etwas notwendig haben, so haben wir ein Gesetz zum Schutz der deutschen Klassiker notwendig. (Lebhafter Beifall links.) Das ist eine feine Klassikerpurgativpraxis, die hier waltet. Vom Argonantenzug an bis zu Detlev v. Liliencron lesen wir, wie die Reinigung getrieben ist in den Schulbüchern und Bibliotheken. Um nur eins ganz kurz zu erwähnen: die Medea darf in der Darstellung des Argonantenzugs keine »Scham« besitzen, sondern bas wird herans- radiert, und dafür wird »Scheu« hineingeschrieben. (Heiterkeit links.) Ihr Herz darf nicht aus der »Brust« herausfallen, denn die »Brust« ist immer etwas ganz Unsittliches (Heiterkeit), sondern ihr Herz fällt »zu Boden«. Aus dem »Hauch der Liebe« wird »die Freundschaft« gemacht, da die Liebe natürlich etwas ganz Unzüchtiges ist. (Heiterkeit.) Aus »unwiderstehlicher Neigung« wird eine »dankbare Gesinnung« konstruiert. (Große Heiterkeit.) Statt »Brust« wird jedesmal einge setzt »Haupt«, und sogar das Wort »Hals« ist bereits unsittlich. (Heiter keit.) Meine Herren, ich werde mir erlauben, vielleicht an einer an deren Stelle auf diese Art, gegen unsere Klassiker vorzugehen, einmal einzugehen. Wenn man diese Dinge liest, muß man sagen: es ist ein wahrer Skandal, was sich heute unter dem Deckmantel der Sittlichkeit verbirgt. (Sehr wahr! links.) Da ist es geradezu wohltuend, daß endlich auch ein Mann, der er haben über den Verdacht ist, daß er die Sittlichkeit nicht unterstützt, einmal ganz offen gegen eine derartige Schweinerei Front macht, die alles unter dem Titel der »Sittlichkeit« rubrizieren will. Der Privat dozent vr. Poppe hat im Münchener Männerverein zur Bekämpfung der Unsittlichkeit geradezu goldene Worte gesprochen. Ich unterschreibe in dem, was er ausgeführt hat, jeden Satz und freue mich darüber, daß ein Mann, der mit an der Spitze dieser Bewegung steht, sich burch- gerungen hat durch diese sinnlose Art der Prüderie, daß er ganz auf dem Standpunkt steht, den wir nun seit 14 Jahren, seit der Isx Heinze, immer und immer wieder hier vertreten: den Standpunkt, daß man dieser Sittlichkeitsbewegung keinen größeren Schaden zufügen kann, als wenn man so sinnlose Dinge vertritt, von denen ich nur einige ganz kurze Proben hier gegeben habe. Er sagt zuerst mit vollem Recht: »Das beste Kampfmittel ist die richtige sittliche Er ziehung im Sinne einer gesunden Gewöhnung an das Nackte.« (Hört! hört! links.) Herr Kollege Or. Oertel hat gerade protestiert gegen diese Gewöhnung. Hier sagt ein Vertreter der Sittlichkeitsbewegung, man solle die Jugend gewöhnen an das Nackte. Und weiter: »Und das zweite Mittel ist, das Volk und die Kinder in der Kunst zu er ziehen, sie durch die edlen Kunstwerke zu erziehen, sie durch die edlen Kunstwerke zu bilden, Vertrauen zur unverdorbenen Natur zu haben.« Das ist ganz der Standpunkt, den mir von jeher in dieser Frage vertreten haben. Es ist eine große Aufgabe, die das ganze deutsche Volk hat, keusche reine Kunst, auch das Nackte in der Kunst rein und keusch sehen zu lehren, vor allem auch in der Schule. Herr vr. Oertel hat das dahin gefaßt, daß »die Jugend erzogen werden müsse zur reli giösen und deutschen Auffassung«. Ich frage mich: was soll denn das? Das ist eine Redewendung, eine Phrase — ich kann es nicht anders be zeichnen —, mit der ich in diesem Zusammenhang absolut nichts an fangen kann. (Sehr richtig! links.) Herr Kollege Landsberg hat voll kommen recht, wenn er sagt, man solle nicht bloß die Phrase vom Eben bilde Gottes immer wieder in verkehrter Weise im Munde führen, son- 316 Lern daran denken, daß das Ebenbild Gottes nackt zur Welt gekommen ist. Mit Strafgesetzen allein oder auch uur vorwiegend Sittlichkeit schaffen zu wollen, ist ein verhängnisvoller Irrtum. Heuchelei, Augen verdrehen und Tartufferie sind die Folgeerscheinungen einer derartigen falschen Politik. Nur durch Befriedigung des Hungers des Volkes in weiten Schich ten nach guter Kunst und guter Literatur kan» nach meiner Anschau ung eine dauernde Besserung eintreten. Große Vereine, wie der Ham burger Verein, die Deutsche Dichterstiftung und der Verein zur Ver breitung von Volksbildung, nützen im Sinne der Sittlichkeit tausendmal mehr als alle Sittlichkeitsvereine und Sittlichkeitsparagraphen. (Sehr richtig! links.) Viel wichtiger als fortgesetzt nur nach einer Verschär fung der Strafgesetze zu schreien, wäre es, zu untersuchen, was der Staat denn eigentlich positiv hier bisher getan hat, um die Sitten und Ansichten zu verbessern. Da kann man wahrhaftig sagen: fast nichts hat er in dieser Beziehung getan. Es kam mir gerade in diesen Tagen ein schönes Wort des großen Schulmanns Pestalozzi unter die Augen. Er findet gegen diese Art schöne und zugleich derbe Worte: Es ist eine Schande; man läßt alles Unkraut wachsen, bis es erstarkt. Dann wühlt man mit der öffentlichen Gerechtigkeit unter dem verheerten Volk, wie die wilde Sau im Korn (Heiterkeit), und meint noch, mit dieser Schnorrerarbeit die höchste Weisheit der bür gerlichen Gesetzgebung geleistet zu haben. (Sehr gut! links.) Und der neue Universitätsprofessor Or. Förster in München hat mit vollem Recht all das unterstrichen, was Pestalozzi ausgeftthrt hat. Es wäre da wahrhaftig interessant, zu untersuchen: wie kommen fünf hochgebildete Männer in einem Gericht zu solchen abwegigen An schauungen über Kunst und Literatur. Die Betrachtung würde zu großen pädagogischen Fragen führen. Sie würde auch zu dem voll kommenen Mangel an künstlerischer Bildung für große Kreise unserer sogenannten Gebildeten und unserer Akademiker überhaupt führen. Hier ist für die Kultusexzcllenzen in ganz Deutschland eine große und wichtige Aufgabe; denn gerade Kunst und Natur sind auf den deutschen Schulen zum Teil uoch die großen Unbekannten! (Zustimmung links.) Damit komme ich mit einem kurzen Schlußwort auf die Richtcr- frage selbst. Es rührt sich jetzt auch in deutschen Richterkreisen. Man sieht auch in diesen Kreisen ein, daß der Richter zu den breiten Schichten des Volkes eine andere Stellung einnehmen muß. Die deutsche Richterwelt sieht ein, daß sie in erster Linie für die Aufklärung über das Recht in weitesten Kreisen sorgen soll. Gewiß, der Richter soll sich in den Dienst der Aufklärung bei den Volksgenossen stellen. Wenn er das aber will, dann muß er auch in den großen Kulturfragen und besonders in der Kunst Bescheid wissen. Es klingt wie eine Äußerung moralischen Katers, wenn ein Richter in einer der letzten Nummern der »Deutschen Richterzeitung« schreibt: Sehen doch selbst unsere Gebildeten in unseren Richtern kaum mehr als kalte, seelenlose Paragraphenmenschen, die im Strafprozesse nur das Bestreben haben, den armen Unglücklichen vollends zu zer treten, während sie im Zivilprozesse einfach das Gesetzbuch her nehmen und daraus, wie aus einem Sönnecken-Briefordner, den Fall entnehmen. Und das große Volk — so schreibt der Richter — schätzt uns noch viel tiefer ein. Das sind herbe Worte der Selbsterkenntnis und der Selbstkritik, die aber zusammenhängen mit der Erkenntnis in deutschen Nichterkreisen von einer gewissen Einseitigkeit der Ausbildung auch unserer Richter. Die Richter müssen dem Volk durch rege Anteilnahme auch am Rechts leben zeigen, daß sich unsere deutsche Justiz immer — von einzelnen, hochbedauerlichen Ausnahmen abgesehen — in der ganzen Welt als rein und unbestechlich sehen lassen kann. Der Richter muß sich wieder mehr am öffentlichen Leben beteiligen (Sehr richtig! links), wenn er seine frühere hervorragende Stellung wieder zurückgewinnen will, wenn er wieder der Vertrauensmann des ganzen deutschen Volkes sein will. Ich stimme dem Herrn Kollegen Landsberg durchaus zu: inner lich unabhängig, frei von allen Vorurteilen soll der deutsche Richter sein! Selbst aus deutschen Nichterkreisen heißt es in der »Deutschen Richtcrzeitnng«: »Heraus aus dem Turm! Vor die Front des ganzen deutschen Volkes!« . . . »Anerkennung unserer redlichen Arbeit — das wollen wir, die deutschen Richter!« Meine Herren, wir unsererseits wollen die redliche Arbeit des deutschen Nichterstandcs gern anerkennen und unterstützen. Wir wollen weiter alles tun, um ihn zu befähigen, die hervorragende Stellung wieder cinznnchmcn, die er als wahrhaft königlicher, d. h. nach unten und oben völlig unabhängiger Richter früher tatsächlich eingenommen hat, und die absolut notwendig ist im Interesse der Rechtspflege, ja, im Interesse der Fortentwicklung unseres ganzen Staatsgedankcns- (Lebhafter Beifall links.) Vizepräsident Or. Paasche: Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Reichsjnstizamts. Or. Lisco, Wirklicher Geheimer Rat, Staatssekretär des Neichs- jnstizamts, Bevollmächtigter zum Bundesrat: Meine Herren, der Herr
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