Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.08.1879
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- 1879-08-11
- Erscheinungsdatum
- 11.08.1879
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184, 11. August. Nichtamtlicher Theil. 3143 aber nicht etwa durch den Ches verschlossen gehaltenes — Fach ge stellt. Dieses Fach war jederzeit den bekannteren Kunden des Ge schäfts zugänglich, selbstverständlich auch den Gehilfen und Lehr lingen. Nur selten, wenn einmal ein Buch durch seinen Inhalt Auf sehen in den höher» Kreisen erregt hatte (wie es z. B. mit dem Custine'schen Werke über Rußland der Fall war), und darüber eine besondere, verschärfte Instruction an das Censur-Comitb erlassen worden war — fand der Buchhändler es für nothwendig, etwas vorsichtiger zu sein; daß aber infolge einer solchen Instruction eine schärscreControleausgeübtworden wäre, war durchaus nicht der Fall. Damit nun aber das ausländische Censurcomite nicht gänzlich ohne Beschäftigung sei, verlangte man, daß der Buchhändler von Zeit zu Zeit, etwa 2 bis 4 Wochen nach Empfang jeder Sendung, eine Liste mit Angabe des Inhalts derselben einreiche. Selbstver ständlich konnte diese Liste, deren Jnhajt ja keiner Controle unter worfen war, ganz willkürlich zusammengestellt werden. Die Bücher, welche als verbotene bereits bekannt waren, nahm man natürlich gar nicht darin auf. Diese Listen wurden nun im ausländischen CensurcoinitL durchgesehen und die „unbekannten" Bücher roth an gestrichen. Von diesen angestrichenen Büchern hatte der Buchhändler nun je ein Exemplar einzuliefern und wurden dieselben an die Cen- soren zum Lesen vertheilt. Das Resultat dieser Lectllre stellte die Kanzlei des Censurcomitls monatlich, oder auch in länger» Zeit räumen in Listen der „erlaubten", „mit Modificationen erlaubten" und „verbotenen" Bücher zusammen, ließ dieselben drucken und theilte sie den Buchhändlern zur Kenntnißnahme mit. Publicirt wurde dergleichen nicht, das Publicum brauchte nicht zu wissen, daß es überhaupt verbotene Bücher gibt. Die von den Censoren gelesenen Bücher erhielten die Buchhändler wieder zurück, falls nicht etwa einer oder der andere Ccnsor eins für seine Privatbibliothek zurück behielt (das dann natürlich auch nicht reclamirt wurde). Beim Herannahen der Leipziger Ostermcsse und während das Remittiren und Disponiren besorgt wurde, ließ sich der Buchhändler seine, im Lause des vergangenen Jahres eingereichten Listen zurück- geben; einer der Gehilsen zog die roth angestrichenen Bücher heraus, vorzugsweise natürlich diejenigen, welche inzwischen verboten worden waren, fertigte darüber eine besondere Liste an und diese wurde nun dem Herrn Obcrcensor überreicht als das Verzeichniß derjenigen Bücher, welche sich in den zur Remission bestimmten, bereits fertig gepackten Kisten befinden. Hr. v. Rochesort, der damals Obcrcensor des ausländischen Censurcomitbs war, hattte dann gewöhnlich die Freundlichkeit, mit dem Siegel seiner Behörde versehen, ins Ge schäft zu kommen; das Siegel wurde einem derGehilsen übergeben, der damit die Kisten, in denen sich die Remittenden befanden, ver siegelte, während der Herr Obcrcensor beim Prinzipal saß und ein Glas Wein mit ihm trank — es ist wohl nicht unwahrscheinlich, daß bei dieser Gelegenheit auch noch andere Freundschaftsbezeugungen ausgetauscht wurden. Schließlich bescheinigte Hr. v. Rochesort auf einem Duplicat der oben erwähnten Liste, daß wirklich in den so und so bezeichneten und numerirten, mit dem Siegel der Censur- behörde verschlossenen Kisten sich die in dem vorliegenden Verzeich niß aufgesührten Bücher befänden. Bei Abfertigung dieser Kisten durch das Zollamt wurde nun die so bescheinigte Liste mit eingereicht, ein Beamter mußte das Ein schiffen der Kisten überwachen und dieselben auf dem Schiffe bis jenseit der Brandwache begleiten. Dann kehrte er aus einem Bote zurück und bescheinigte seinerseits, daß die mit dem Siegel der Censur- behörde verschlossenen Kisten, in welchen sich laut Zeugniß des Herrn Obercensors die auf der Liste verzeichnetcn Bücher befinden, wirk lich den Bereich der Petersburger Zollgrenze verlassen haben. So war es vor 30 bis 40 Jahren, und ähnliche Zustände dauerten, wie gesagt, bis ins Ende der fünfziger und in den Anjang der sechziger Jahre hinein. Denn wie wäre es sonst zu erklären, daß bis zum Ausbruche der letzten Polnischen Jnsurrection die, vor zugsweise in England gedruckten, verbotenen Schriften Herzen's und seiner Gesinnungsgenossen so massenhaft in Rußland verbreitet waren, daß cs damals gewiß nur Wenige unter den gebildeten Elasten gab, die nicht Herzen's „Glocke" lasen. Es muß durchaus angenommen werden, daß im Anfänge der Regierung Alexander's II. die Behörden um den Schmuggel verbotener Bücher und Zeitschrif ten wußten und denselben tolerirten. Wenn man in Betracht zieht, daß Kaiser Alexander seit der Beendigung des Krimkrieges auf die Befreiung der Leibeigenen hinarbeitete, und daß er darin von Herzen und Genossen unterstützt wurde, sowie auch daß nur seine hohe Aristokratie ihm darin entgegenarbeitete, so liegt die Vermu- thung nahe, daß die Verbreitung der „Glocke" und anderer propagan distischer Schriften — die es sich ja zur Regel machten, nie die Per son des Kaisers selbst, sondern nur seine Minister und Würden träger anzugreisen — nicht ohne höhere stillschweigende Geneh migung geduldet wurde. Der russische Beamtenstand hatte damals eine jstarke Ader liberalen Blutes in sich, es war Modesache geworden, volksfrennd- liche (um nicht zu sagen demokratische) Gesinnungen zur Schau zu tragen. Wir wollen allerdings nicht untersuchen, ob diese Gesinnun gen in der Wolle gefärbt, oder bloß durch den Lustzug, der von den allerhöchsten Regionen ausging, angehaucht waren. Notorisch ist, daß die Bestechlichkeit und Kasnokradstwo*) noch in voller Blüthe standen, und mit diesen Eigenschaften lassen sich doch liberale Ideen nur durch sophistische Trugschlüsse vereinen. Wir wollen auf de» Buchhandel von damals keinen Schatten werfen, der oben erwähnte Luftzug muß doch wohl auch aus die Culturträger Petersburgs den Einfluß geäußert haben, daß sie auf die Gesetze, welche von oben her so lax gehandhabt wurden, auch kein großes Gewicht mehr legten. Es kamen allerdings Denuuciationen und infolge dessen Haussuchungen vor, dieselben endeten aber gewöhnlich ohne Resul tat, wenigstens kam ein solches selten zu Tage — die betreffenden Beamten und die betroffenen Buchhändler mögen wohl sich gegen seitig unter vier Augen verständigt haben. Wir erinnern uns nur dreier Fälle, die zur Bestrafung von Buchhändlern führten. Der eine betraf den sranzösischen Buch händler L., bei dem auf Grund einer Denunciation eines College» eine Untersuchung stattfand, welche verbotene Bücher zu Tage förderte — er wurde administrativ aus eine Reihe von Jahre» nach Perm verschickt, ging von dort aus nach Paris und lebte später als Banquier in Petersburg. Der zweite Fall betras den deutschen Buch händler Schm., der einige Wochen oder Monate Festungshast bekam und infolge dessen sein Geschäft aufgeben mußte. Der dritte war ein russischer Buchhändler in Moskau. Derselbe halte eine große renominirte Leihbibliothek und bezog u. a. viele Exemplare der monatlichen russischen Revuen für seine Abonnenten. Einst wurde nun eines dieser Monatshefte, nachträglich, nachdem es schon wochenlang cursirt hatte, verboten und die Polizei hatte den Auf trag bekommen, die in den Buchhandlungen und Leihbibliotheken noch vorhandenen Exemplare zu confisciren. Dies geschah auch bei dem erwähnten Buchhändler — der übrigens schon deshalb im Gerüche der Unzuverlässigkeit stand, weil er junge, gebildete Damen in seinem Laden beschäftigte. Nun war aber zur Zeit der Confis- cation ein Exemplar der betreffenden Nummer ansgeliehen, kam später wieder zurück und wurde aus Unachtsamkeit des Bibliothekars nicht an die Polizei abgeliesert, sondern an seinen Platz gestellt. ') Ein elastisches, im Russischen vielgebrauchtes Wort, welches Wohl in keiner Sprache der Welt seinesgleichen hat und nur durch „Diebstahl, der an den dem Staate gehörenden Geldern und Gegenständen verübt wird" umschrieben werden kann. 428*
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