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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.04.1929
- Strukturtyp
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- 1929-04-27
- Erscheinungsdatum
- 27.04.1929
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- Deutsch
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raten anlegcn darf. Aber wir haben inzwischen das Mittel ge sunden, um die verwöhnten Leser zu befriedigen, ohne die Masse vom Genuß des Gebotenen auszuschließen. Es ist nämlich bei großen Verlagsanstaltcn die Sitte aufgekommen, diese Prüfung durch Frauen vornehmen zu lassen, und zwar deshalb, weil diese im wesentlichen als Leser in Frage kommen. Ich wenigstens kenne unter meinen Bekannten keinen Mann, der einen Fort setzungsroman liest, — außer wenn ihm von einer Frau etwas besonderes signalisiert ist (Heiterkeit), oder wenn er sich von einem Schlüsselroman etwas besonders Pikantes aus seinem Be rufskreis verspricht. Die Leser — lehrt mich meine Lebenserfahrung — schreiben niemals häufiger an die Zeitung, als wenn sie sich von dem Roman ihrer Zeitung beschwert fühlen. Ich habe früher einmal einen solchen Klagebrief gelesen; er trug die Unterschrift eines älteren Herrn, von dem ich wußte, daß er in seinem Privatleben ein recht frohgemutes, abwechslungsreiches Leben bevorzugte. (Heiterkeit.) Er sagte in diesem Brief: »Ich habe im Interesse meiner Heranwachsenden Töchter geschrieben«. Nun, die Heran wachsenden Töchter sterben nicht aus, sie kommen heute noch in den Klagebriefen der Abonnenten genau so vor wie früher. Ich habe den Eindruck, daß sich von allen Menschenrassen gerade die Heranwachsenden Haustöchter am wesentlichsten gewandelt haben, — wesentlicher als andere Menschengruppen. Und wenn die älteren Herren, die solche Briese schreiben, erst einmal mit ihren Heranwachsenden Töchtern darüber sprechen würden, dann wür den sie viel duldsamer werden, sie würden unter Umständey ihr blaues Wunder erleben! (Große Heiterkeit.) Eins steht jeden falls fest: die Haustöchter selbst schreiben nicht, — aber die haben früher auch nicht geschrieben. Daß wir trotz solcher Bedenken unserem Publikum Romane mit den heikelsten stofflichen Wagnissen znmuten dürfen, das lehrt — wenn ich einmal von der Arbeit der Zeitung sprechen darf, bei der ich selbst bin — das Buch »Im Westen nichts Neues«. Be vor der Vorabdruck begann, habe ich einer Reihe von besonders qualifizierten Lesern und Leserinnen unserer Zeitung die Frage vorgelegt, ob wir einen Kriegsroman bringen sollten. Sie haben alle gesagt: Um Gotteswillen, nein! Aber wenn die Leistung dieses Romans, die ich hier nicht zu werten habe, alle Bedenken ausgeräumt hat, so hat sein Erfolg bewiesen, daß das deutsche Leserpublikum, was Wagnis und Experiment betrifft, allen Prü fungen gewachsen ist, und daß die Presse sehr Unrecht tut, das Niveau ihrer eigenen Leser zu unterschätzen. Es ist ferner noch ein anderes Vorurteil ack absuräum ge führt worden, nämlich daß sich nur Bücher mit einer besonderen Spannung für den Zeitungsabdruck eigneten. Nun wird natür lich kein Mensch daran denken, ebensowenig wie eine verantwor tungsbewußte Zeitung daran denken wird, ihren Lesern ausge dehnte Naturschilderungen vorzusetzen oder ihnen Lyrik, die zu fällig in Erzählungsform gegossen ist, als Roman zu bringen. Aber daß auch eine breite Milieuschilderung den Zeitungsleser fesseln kann, das lehrt der Erfolg eines Romans, der uns wäh rend des Abdrucks ebenfalls sehr viele Briefe ins Haus gebracht hat: nämlich des Romans »Jettchcn Gebert« von Georg Her mann. Die Frage, ob ein Vorabdruck schaden kann — man be fürchtet ja, daß die Neugier des Publikums schon im voraus zu früh befriedigt wird —, ist durch die Entwicklung längst im nega tiven Sinne entschieden. Schaden könnte ein Vorabdruck nur, wenn alle Deutschen dieselbe Zeitung lesen würden, — eine Ge fahr, von deren Verwirklichung wir im Augenblick noch etwas entfernt sind. (Heiterkeit.) Viertens und letztens die Buchkritik! Wenn man selbst als Rezensent durch ein nicht immer mit Rosen bestreutes Leben wandelt, dann weiß man, welche Vorurteile sich der Kritik ent gegenstellen und wie unbeliebt sie im allgemeinen ist. Die Mei nung ist nicht anszurotten, daß der Kritiker ein Mensch ist, der abschlachtet oder verreißt. Ich brauche hier nicht das Gegenteil zu beweisen, daß nämlich die Kritik sehr oft produktiv wirkt, und daß durch die Buchkritik schon so mancher Bucherfolg gemacht worden ist. Die Buchkritik ist in einer merkwürdigen Lage. Ihr wird nämlich nicht vorgeworfen, daß sie zu breit sei, sondern im Gegen teil: man wirft ihr vor, daß sie einen zu schmalen Raum ein nehme, während die Theaterkritik einen so ungeheuer großen Raum für sich in Anspruch nimmt. Ich kann die Kolumbusse nicht alle auszählen, die diese Entdeckung gemacht haben. Es ist etwas Wahres daran. Aber ich bitte Sie doch zu bedenken, daß die Buchproduktion in Deutschland im letzten Friedcnsjahrc 3b 000 Novitäten gezählt hat, — eine Zahl, welche die Zahl der aufgeführten Theaterstücke — wohlgemcrkt: der aufgeführ ten Theaterstücke — wesentlich überschreitet. Es ist klar, daß jeder Theaterdichter, der einen Herbergsvater, d. h. einen Thcatcrdirektor gefunden hat, damit das Recht erworben hat, von der Presse berücksichtigt zu werden, während der Buchautor dieses Recht nicht genießt. Aber man braucht nicht Optimist zu sein, wenn man auch in dieser Hinsicht Fortschritte erkennt. Zunächst einmal hat die Theaterkritik von dem großen Raum, den sie früher einnahm, viel abgegeben, und zwar aus einem sehr ein fachen Grunde: nämlich aus Rücksicht auf die Leser. Ich entsinne mich, von einem politischen Kollegen einmal die schnöden Worte gehört zu haben: -Im heutigen Abendblatt muß außer der Theaterkritik auch noch etwas zum Lesen stehen!» (Große Heiter keit.) Also die Theaterkritik breitet sich nicht mehr so aus wie früher. Ich habe neulich einmal eine Zeitung in die Hand be kommen, in der eine Theaterkritik von 3b0 Zeilen stand; sie nahm fast eine ganze Seite ein! Solche Ausschreitungen kommen heute nicht mehr vor. Dann macht sich aber auch immer mehr der Gedanke geltend, daß es durchaus nicht nötig ist, unter allen Umständen die Voll ständigkeit einzuhalten. Wir würden uns kein Gewissen daraus machen, unter Umständen auch einmal ein Theaterstück nichtzu besprechen. Denn eine Auslese muß natürlich getroffen werden; daß nicht alle 35 000 Bücher besprochen werden können, ist klar. Aber ich bin der Meinung — was den praktischen Zeitungsbe trieb angeht —, daß in der Buchkritik nicht immer bloß erwähnt werden soll, was der Leser nicht lesen soll, sondern daß durch aus auch darauf hingcwiesen werden sollte, was er lesen soll. Damit ist durchaus nicht einem Süßholzraspeln das Wort ge redet. Denn wenn die Kritik nicht ihr Recht wahren würde, Schädlinge auszurottcn und wirklich schlechte Bücher als solche zu kennzeichnen, dann wäre sie des großen Mannes nicht wert, der sie gelehrt hat: »Das Schlechte herabzusetzen ist Pflicht gegen das Gute«. Schopenhauer hat uns auch aufgefordert, »ohne Mit leid die mediokren Poeten zu geißeln, bis sie zu ihrem eigenen Besten dahin gebracht würden, ihre Muße lieber anzu- wendcn, Gutes zu lesen, als Schlechtes zu schreiben«. (Heiterkeit.) Nun, wenn die Buchkritik aus lauter Schopenhauers bestände, dann würde der schlechte Schriftsteller wahrscheinlich sehr bald aufhören, zu schreiben! Es wird aber nicht bloß darüber ge scholten, daß die Buchkritik zu wenig geübt wird, sondern es wird auch ihre Qualität oft genug in Frage gezogen. Alfred Döblin hat so etwas angedeutet. Ich gebe ohne weiteres zu, daß vieles faul ist im Staate Dänemark, und daß zum Teil immer noch die alte Ansicht in Geltung ist, das Referat über Bücher sei ein Reservat von Anfängern. Die Jugend hat sich jedoch inzwischen entwickelt, es ist eine Generation von Buchkritikern entstanden, die der Qualität nach den Anforderungen genügt, die Alfred Döblin an sie stellt, — allerdings nicht überall, das weiß ich am besten. Sehr oft handelt es sich nicht so sehr darum, wer eine Kritik schreibt, sondern wo er sie veröffentlicht. Gestatten Sie mir, auch diese Tatsache mit einem kleinen Erlebnis zu glossieren. Ich habe vor ein paar Jahren einen Theaterdirektor gefragt, welche Berliner Zeitungen seiner Meinung nach für die Entschei dungen über seine Theaterstücke wichtig wären. Er nannte vier Zeitungen und, da die Theaterdirektoren alle sehr scharmante Leute sind (Heiterkeit), war auch die Zeitung, bei der ich arbeite, darunter. Ich vermißte aber einen Kritiker, der inzwischen sehr berühmt geworden ist, der aber damals an einem kleinen und ein flußlosen Blatt arbeitete. Ich fragte also, ob die Kritiken dieses Herrn ihn nicht in seinem Geschäfte störten oder förderten. Da l'
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