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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.01.1915
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1915-01-18
- Erscheinungsdatum
- 18.01.1915
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- Deutsch
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- Saxonica
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^ 13, 18. Januar ISIS. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Auffrischung in Form von Jhcrings »Kampf ums Recht«. Da liegt er nun im Schützengraben im Westen und wurzelt vertrackte Fälle auseinander, die französische Artillerie spielt ihm dazu auf, und wenn es ihm zu toll wird, weiß ich genau, daß er sagen wird »So'n Quatsch, nicht einmal ruhig arbeiten kann man, und gerade dieser Fall über Enteignungsverfahren war so inter essant«. Nun, wie ist es mit John Burns?, höre ich den Leser fragen. Folgendermaßen: John Burns war ein blauäugiger, blonder Tommy, der ebenfalls die Pfeife zwischen den Zähnen seinem Heerbann Vale! sagte und dachte »lieber 10 Minuten feige, als das ganze Leben lang tot«. Besagter Tommy lief auf das Ma schinengewehr zu, hinter dem mein guter Freund schmunzelnd lag. Der sprang auf, Packte ihn und lud ihn mit entsprechender Hand- bcwegung hinter das Deckungsschild seines Maschinengewehrs ein. Zunächst glaubte John Bums, daß sein letztes Stllndlein gekommen sei. Dem war aber nicht so, im Gegenteil, mein Freund knüpfte ihm mit wohlgesetzten englischen Worten erst ein mal seinen Dolch ab, darauf ermunterte er ihn zum Austausch der Shag-Pfeifen, und zwar hatte John Burns die seine schön angeraucht, während die meines Kameraden tadellos neu war und tadellos schlecht schmeckte. Nun, es half dem Tommy nichts, und zum Andenken mußte er die beiden Buchstaben I. k. hinein schnitzen. So erzählte mir mein Freund, und die belgische Familie horchte ängstlich zu und zuckte jedesmal zusammen, wenn er dröh nend mit der Faust auf die Tischplatte schlug und dazu auf gut Deutsch herausschmetterte: »Der Kaffee ist mir zu stark, ich will dünnen Kaffee, recht viel, aber dünne muß er sein«. Die Folge war, daß Frau Wirtin den Kaffee doppelt so stark kochte, bis es ihr schließlich doch klar wurde und sie ein Getränk lieferte, das dem berühmten Blümchen-Kaffee an Wohlgeschmack nicht nach stand. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und in unsere Behag lichkeit hinein kam ein lebendiges Etwas geflogen, dahinter eine dröhnende Stimme: »Dem aber habe ich vielleicht eine gezischt, der Balg wollte mir an die Gurgel!« Was stand nun vor uns? Ein verkrüppelt Männlein mit langen, affenartigen Armen; seine Augen rollten von einem zum andern, dazu sang er mit kreischen der Stimme und sprang an uns empor, um uns in seine schmutz starrenden Arme zu schließen. Das war ein Höllenspektakel, bis sich unser Wirt ins Mittel legte und mir erklärte, daß wir einen Idioten vor uns hätten, der in einem Bergwerk abgestürzt sei und seinen Verstand verloren hätte. Na, das merkten wir ja auch, und mein Freund meinte: »Wie im OlckOuriositz-Sbox bei Dickens, wo sich der ehrenwerte Herr Quilp und sein frommer Diener und Knecht gegenseitig mit Stockschlägen traktieren«. Mit vereinten Kräften warfen wir schließlich den Unglück lichen zur Tür hinaus mitten in den schönsten Mondschein hin ein. Das war ein groteskes Bild: der schimpfende idiotische Krüppel, der sich wütend gegen solche Behandlung sträubte und sich nun in wüsten Schmähreden über uns erging. Dem Posten wurde die Sache zu bunt und: Die Hand Infolge der Erregung Geriet in schwingende Bewegung. Das wirkte, denn eine zweite wollte der Kobold sich nicht »zischen« lassen, und er verschwand so krumm und abscheulich wie »Rumpelstilzchen« im Dunkel der Gassen. Auch uns kam die Müdigkeit in die Augen, wir krochen ins Stroh und versanken in Schlaf. Mitternacht war Wohl schon vorüber, als ich von einem fürchterlichen Tumult aufwachte; ich sprang auf, und was ich da sah, schnürte mir doch das Herz zu sammen. Die vier Belgier lagen auf den Knien und heulten und jammerten in den verschiedenartigsten Tönen »kitiö, l'itiv!«; vor ihnen stand ebenso fassungslos einer meiner Leute, der nicht wußte, was das heißen sollte. Er sagte: »Ich wollte doch man bloß mein Gewehr reinigen, und da rutschen die vom Stuhle her unter und fangen an zu flennen«. So war es auch: die Familie hatte fest geglaubt, daß einer beauftragt wäre, ihnen das Lebens licht auszublasen. Mir jedoch gingen die Worte durch den Sinn: r-Ein furchtbar Schrecknis ist der Krieg«. Andern Tages verließen wir in aller Herrgottsfrühe dieses abenteuerliche Quartier, mein Freund und ich tauschten einen flüchtigen, aber tüchtigen Händedruck, und ein jeder zog seines Weges. Den Engländern brannte der Boden unter den Füßen. Wir saßen ihnen auf den Fersen und folgten ihnen unmittelbar; es war der reinste Wettlauf. In der Mittagshitze überschritten wir die französische Grenze. Die Dörfer öde und verlassen; die Lebensmittel, an den Seiten der Straßen zu Bergen aufgehäuft, waren von den Engländern verbrannt. Oh, was uns da für eine Wut packte! Das schöne Broi eine einzige schwelende Masse, wäh rend uns der Hunger in den Eingeweiden saß. Wir marschierten von früh bis abends, und endlich packten wir sie und ließen sie nicht wieder aus den Fängen. Eisern hielten wir die »Tom mies« umschlossen, regimenterwsise streckten sie die Waffen: ihre Schützengräben waren zu Gräbern für die Schützen geworden. Man sieht an solchen Ruhmestagen immer nach einer Er innerung, bei deren Betrachtung einem später die Dinge doppelt klar vor Augen treten. So auch ich. Da lag das Soldbuch eines Engländers: »8olcliors Small Looir. Lik reck Stratton, Oorps IMclälssöx« stand darauf. Das nahm ich mir mit, vielleicht hält es einer meines Stammes in 50 oder 100 Jahren einmal ehrfürch tig in den Händen und spricht dazu: »das har mein alter, wun derlicher Urgrotzonkel damals aus der Schlacht bei St. Quentin heimgcbracht; müssen das Zeiten gewesen sein!« Vielleicht sitze ich zu der Leit in dem von Börries von Münchhausen im Him mel eingerichteten Landsknechtstübel beim schäumenden bayeri- scheu Bier und lobe den Tag vor dem Abend. Jeder aber trägt dann von uns Kriegsgenossen das Sprüchlein: »Frisch frei frumb ist der Landsknecht Reichthumb«. Ja, ja, leider, oder besser Gott sei Dank, sitze ich noch nicht im Himmel, sondern bin gerade mit den Gedanken im tollsten Kampfgetllmmel der Engländer- schlackst. Bis zum Abend währte der Kampf; die englischen Lyditgranaten krachten und sausten gefährlich, die Dum Dum- Geschosse Pfiffen und sangen höchst ungemütlich, und manch bra ver deutscher Mann deckte den Rasen. Dunkelheit gebot endlich dem Kampfe gebieterisch Halt, dem Kampfe, aber nicht unseren Beinen; diese kämpften weiter, indem sie marschierten, marschier ten bis Mitternacht. Lange konnten wir uns nicht des Schlummers erfreuen; um 4 Uhr früh schon wurde zur Essensausgabe angetreten, den Tag vorher konnte nichts ausgeteilt werden. Also gab es jetzt die gestrige Ration: Erbsen und Speck. Das war prachtvoll und schmeckte delikat, aber es mußte Wohl zu wenig gewesen sein, denn urplötzlich schickte uns der Feind noch blaue Bohnen dazu, und das verträgt sich nicht miteinander. Da gerieten wir ganz ge hörig in Wut ob des rücksichtslosen Gegners, der uns unsere wohl verdiente Erbssuppe versalzte. Wir stürmten aus dem Dorfe heraus, entwickelten Schützenlinien, und binnen einer halben Stunde hatten wir 400 Engländer gefangen genommen. Die hielten alle die Hände hoch und hatten in der kurzen Zeit viel Tote und Verwundete. Aus einem englischen Rucksack war ein »Neues Testament« herausgefallen; ich blätterte darinnen. Es enthielt auf dem ersten Blatte eine mehrzeilige Widmung. Ich klappte das schwarze Buch wieder zu und schleuderte es einem ver wundeten Engländer hin, der in den Rüben jammerte und win selte. Mitleid hatte ich keins mehr, in mir war damals alles zu Stein geworden, und wenn ich jetzt daran denke, halte ich mich für roh, als ich ihm zurief: »Uoott at bsro, »Ick kollov, tlmt's s prnz-in^ boolr«. Mögen andere in solchen Fällen von Barmher zigkeit reden, es gibt Augenblicke, wo man draußen im Kriege von einer anderen Natur geleitet wird, vom Haß gegen das Jnselvolk, das soviel namenloses Leid, soviel Kummer und Trüb sal in die Welt getragen hat. Fünf Monate sind seitdem vergangen, fünf Monate Krieg; manch einer meiner Kameraden schläft schon längst in fremder Erde, manch einer, der noch vor Jahreswende fröhlich und über mütig »heute ist heut« gesungen hat. Unermeßliche Heldenscharen kämpfen im Osten und Westen, übermenschliches ist geleistet worden und wird noch geleistet wer- 87
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