5052 259, 5. November 1832. Fertige Bücher. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. io?i > s" - Nr. 517 I-1!1-!I'1,LO, 28. OKIOIlbl! 1YZ2 HI0kr6KN-LI186L8k Politik im Buch Simonds r „Kann Europa Frieden hatten?" Ein Buch? Ja, ein Buch! Ein Buch von einer un geheuren Kraft rcalpolitischen Denkens. Die Stimmung des leidenschaftlichen Mannes, der dieses Buch geschrieben hat, ist durch und durch tragisch. Er steht unter dem Eindruck, daß Europa fast unvermeidlich einer neuen Katastrophe entgegengehe und schon mitten darin sei. Als Amerikaner wendet er sich an die Angelsachsen: glaubt nicht, daß mit eurer sentimentalen Moral der Kriegs gefahr in Europa beizukommen ist! Habt ihr, ruft er seinen Landsleuten zu, nicht euren Freiheitskrieg, nicht euren Bürgerkrieg geführt? Aber jetzt, wo bei euch alles in Ordnung ist und kein Mensch eure Grenze bedroht, könnt ihr euch den Krieg nur noch als böse Leidenschaft der Europäer denken, der man mit moralischer Be lehrung und Entrüstung beikommt. Der Krieg der Europäer Hing aber und geht und wird gehen um die selben heiligen Güter, um die ihr selbst einst gekämpft habt: nationale Freiheit, Einigkeit Sicherheit. Uns Deutschen und den anderen Besiegten des Weltkrieges ruft SimondS zu: Täuscht euch nicht. Macht ihr Krieg, so heißt das nichts anderes als: ihr spielt die Rolle Simsons, des Juden, der das Haus niederriß, um unter den Trümmern nicht nur sich, sondern auch die anderen zu begraben. Knüpft wieder an Locarno an, und laßt eure gerechte Sache reifen. Daß Deutschlands Sache gerecht ist, erkennt Si mondS an. Aber nun beweist sich der Mensch mit dem Blick für das Tragische, der Realist, vom dem wir so viel lernen können. Er stellt fest: auch die Sache der anderen ist „gerecht". Frankreich hat Todesangst vor den 8o Millionen Deutschen in Europa. Allem hält sich Frankreich aber trotz seiner Waffenüberlegenheit nicht für stark genug. Die Militärmacht Frankreichs, Polens und der kleinen Entente ist jeder anderen Kom bination in Europa überlegen. Rußland braucht noch lange den Frieden. England ist zur Zeit „guaiititS tiägligenbls". Alle die IYIY geschaffenen und von Frankreich unterstützten neuen Nationalstaaten glauben an ihr Recht und sind entschlossen, dafür zu kämpfen. Hier muß man SimondS Beweisführung in vielem widersprechen. Er kann bei allem Streben nach Un parteilichkeit seine Vorliebe für Frankreich nicht ver bergen, und die Einwände gegen seine Ostthesen ar beitet der Übersetzer Karl Federn in einem knappen Kommentar ausgezeichnet heraus. Die drei Punkte, daß Frankreich unerbittlich ent schlossen ist, seine Vorherrschaft und sein Bündnis system aufrechtzuerhalten, daß England, Italien und Amerika zu schwach sind, dem französischen System entgegenzutreten, und daß demnach Deutschland nur die Wahl hat, sich einzugliedern oder in einem hoff nungslosen Krieg noch einmal zusammengeschlagen zu werden, das ist der wesentliche Inhalt dieses Buches (Historisch-Politischer Verlag, Berlin). Des Schicksals ganze Grausamkeit faßt uns an, wenn wir uns unter die Wahrheiten, die SimondS predigt, beugen sollen. SimondS sagt uns: den Glauben an unser Recht und die Hoffnung auf die Zukunft sollen wir im Herzen behalten, wie die Franzosen ihren Glauben und ihre Hoffnung nach 1871 behalten haben, aber nicht davon sprechen und nichts tun, was die Gegner herausfordert. Ist, muß man fragen, ein Volk denkbar, das nach Ge bietsverlusten, materiellen Opfern und Kränkungen, mit denen die Leiden Frankreichs 1870 nicht in Vergleich kommen, solcher Entsagung fähig ist? ES scheint nicht. Dann aber, wenn nur der Entsagung nicht fähig sind, führt Deutschlands Weg noch tiefer ms Dunkel, wenn — ja, wenn Europa nicht aus der Behextheit heraus findet. Diese erschütternde Wahrheit lehrt das Buch von Frank H. SimondS. Würde cs beachtet und verstanden, eö könnte einen ganzen Erdteil umwenden und retten. Ein Buch? 2a, ein Buch ... Dr. Eugen Fischer-Baling. l-I. f>.v. 8kkl.Ik^ O.M.K.I-I. / ksfilin 5WÜ8 / l.incjsnsll'ciDe 71-/2