X- 242, 17. Oktober 1929. Fertige Bücher. Börsenblatt f.ö.Dtschn.Buchhandel. 8185 / Dieser offene Brief wird bis zum 17. Oktober, der Tagung der Deutschen Notgemeinschaft in Jena, durch die Zeitungen gehen! Offener Brief an den Staatsminister a. D. Schmidt-Ott Verantwortlicher Leiter der Notgemeinschaft für deutsche Wissenschaft Sehr geehrter Herr! Segensreich haben Sie bisher die 8 Millionen, die der Reichstag dem Durchhalten der deutschen Wissenschaft zur Verfügung stellte und die er kürzlich unter dem Druck der Zeit um i Million minderte, für die deutsche Wissenschaft betreut im Verantwor tungsgefühl für die Wichtigkeit Ihrer Aufgabe. Sie haben, unterstützt von einem Stab Gutachter, die einzelnen Interessen der deutschen Wissenschaftsgebiete gewissenhaft ver waltet. Aber es gibt auch wissenschaftliche Entwicklungen, deren Beur teilung nur durch eine persönliche Entscheidung geschehen kann. Es gibt Fälle, die nicht durch Gutachten beurteilt werden können. Nehmen wir in der Ver gangenheit den Fall Nietzsche! Nietzsche wurde ein Dutzend Jahre lang von der Univer- sitätöwissenschaft völlig totgeschwiegen. Er wäre verhungert, wenn nicht aus Versehen die Baseler Universität ihm nach seiner Erkrankung bis zu seinem Tode eine Pension bezahlt hätte, auf die er keinen Anspruch hatte. Ein zweiter Fall Nietzsche, wenn auch anders geartet, liegt jetzt wieder in Deutschland vor. Es besteht die gleiche Gefahr, daß ein Genie unter dem Druck der wirtschaftlichen Not nicht seine Lebensaufgabe durchführen kann. Mein Autor Herman Wirth hat in seinem Buch „Der Aufgang der Menschheit" die fast unmögliche Aufgabe übernommen, in einer Synthese der gesamten Geisteswiffen- schaften die Wurzeln der Menschheit zu ergründen, damit ihre Zukunstsziele um so deut licher herauskommen. Es gibt wohl keinen Gelehrten in der Welt, der so viel Wissens gebiete beherrscht wie Herman Wirth. Er will jetzt seinem Buch ein zweites Werk über den Urglauben der Menschheit Nachfolgen lassen, aber die wirtschaftliche Not läßt dieses nicht zum letzten Ausreisen kommen. Er müßte Reisen in die Museen des Auslands machen, er müßte zahlreiche ausländische Literatur durchstudieren, aber er hat kein Geld. Mehr als ein Wissenschaftler hat ihn hochmütig abgelehnt mit dem Wort: „Er ist ein Phantast." Als ich ihm das erste Exemplar seines Umfangreichen Werkes „Der Aufgang der Menschheit" fertig überreichte, sagte er nur wehmütig: „In diesem Werk liegt meine Jugend begraben." Ist das die Sprache eines Phantasten? Schon daß dieses Buch, so gewaltig an Umfang, in einem Jahr entstand, diese ganz einzig dastehende phänomenale Leistung sollte zu denken geben. Da zeigte sich etwas ganz Unerwartetes. Die Laien kaufen das Buch in überraschender Weise. Politische und Weltanschauungsgruppen nehmen für und wider das Buch Stellung, und es ergeben sich Wirkungen auf das gegenwärtige Leben, die sonst wissenschaftlichen Büchern fern sind. So geht mein Ruf an Sie, lassen Sie den Mann nicht an Lebensnot scheitern! Es wird auf Jahrzehnte hinaus kein zweiter Deutscher erscheinen, der seine Aufgabe durch zuführen vermag. Er muß leben! Kein Mensch kann aber ewig von Vorschüssen leben. Ich darf wohl diese Mahnung an Sie als sein Verleger richten, weil ich ihm Jahre hindurch die Fortführung seiner Forschungen in einer Weise ermöglichte, die einer Vorausbezahlung von io Jahren Honorar und darüber hinaus gleichkommt. Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft kann mir nicht zumuten, auf die Dauer das zu tun, was ihre eigene Pflicht ist. Denn sie nennt sich „Gemeinschaft". Eugen DiederichS, vr. Ii. c.