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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.11.1928
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- 1928-11-03
- Erscheinungsdatum
- 03.11.1928
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- Deutsch
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X 257, 3, November 1928, Redaktioneller Teil, der möglichst gegenwartslüstern ist, der ausgesprochenermaßen eindeutig ist in seiner ganzen Entwicklung, der der Leserphantasie keinen großen Spielraum gibt, der also ein behagliches Sich- wiegen in der Phantasie gar nicht mehr zuläßt, sondern der tyrannisch zupackt. Und so auf allen Gebieten! Dazu kommt, daß die von mir vorhin geschilderte Zeitschriften- und Zeitungs- cntwicklung ganz zweifellos eine vollkommen andere Lesetechnik mit sich gebracht hat. Es wird gelesen wie in einer Zeitung: überschriftenmäßig. Es wird nicht etwa an dem schönen Ton fall, an dem Rhythmus eines Satzes irgendwie betrachtend ver weilt, sondern es wird rasch darüber hinweggeglittcn, um zu sehen, was die nächsten Zeilen an großen Neuigkeiten und Sen sationen bringen, — zweifellos ein Grund, warum z, B, die Tatsache der Entwicklung, die wir auf dem Gebiete des Zeit schriften- und Zeitungswesens im letzten Jahrhundert gehabt haben, nicht dazu geführt hat, daß deshalb die Buchproduktion zurückgcgangcn ist. Man konnte mit dieser Technik viel größere Berge von Büchern hinter sich bringen, als das früher möglich war, und diese Wandlung, die natürlich — das sei ruhig aus gesprochen — eine gewisse Verflachung mit sich gebracht hat, ist nun einmal nicht wegzudiskutieren. Es ist nur die große Frage, was man damit anfangen kann. Und damit komme ich an den Punkt, wo ich — höchst Per sönlich natürlich — den Versuch machen muß, alle diese Dinge einigermaßen zu werten. Ich erwähnte ja vorhin schon: nicht ein Stand ist schuld, sondern in unendlicher Wechselwirkung und Verkettung zwischen den verschiedensten Schichten der Bevölke rung und zwischen Leser und Schriftsteller einerseits, anderer seits aber auch zwischen der Ware Buch und ihrem Markt, zeigt sich ganz deutlich, daß wir auch auf diesem Gebiet sagen können: jedes Volk hat die Literatur, die es verdient, ebenso wie es die Regierung hat, die es verdient. Wir sind alle, wenn man so sagen will, schuld daran, wobei ich ganz dahingestellt sein lassen will, ob diese Schuld auch eine Verurteilung erheischt. Wir müssen uns, wenn wir an die Wertung herantreten wollen, nicht nur das vor Augen halten, sondern wir müssen sozusagen ganz in die Tiefe gehen und uns fragen: Was ist eigentlich die Grundlage des literarischen Ausdrucks? Darin liegt für mich — das möchte ich gleich voranstellen — der springende Punkt, Wir müssen uns klar darüber sein, daß hinter jedem literarischen Schassen als Erstes die Sprache steht, und wenn wir eine Wertung unserer heutigen Zustände aus litera rischem Gebiet überhaupt versuchen wollen, so müssen wir un bedingt dort einsetzen, und da seien ein paar kleine, kurze Ge dankengänge gegeben, die, wie ich sagen möchte, höchst persön licher Art sind; aber einstweilen glaube ich tatsächlich, daß ich damit doch einen gewissen Schlüssel gefunden habe. Es ist doch so, daß Sprache etwas ist, was man nicht etwa aus der Grammatik erlernt. Die Sprache eines Volkes wächst in der Kinderstube, im persönlichen Verkehr, im Beruf, überall ganz wild, unbeaufsichtigt, nicht reglementiert, und erst dann ganz spät kommen kluge Leute und machen eine Grammatik daraus. Das unbewußte Spracherlebnis, wie es beim Kind cin- setzt und sich dann durch das ganze Leben hindurch fortsetzt, das ist es, was sprachzeugend ist. Die Aufstellung einer Grammatik kann höchstens analysierend, zerstörend sein. Aber diese Sprache dient, wenn sie sich entwickelt hat, nicht etwa bloß dem Verkehr von Mensch zu Mensch, sondern — und das ist eben das Eigen tümliche — sie ist das Instrument, mit dem wir denken. Keiner von uns ist imstande, ohne Sprache zu denken. Er denkt in seiner Sprache, und darum ist es eben z, B, so, daß es unmöglich ist, sich eine fremde Sprache später als Erwachsener so anzueignen, daß man ihr wirklich vollkommen gerecht wird, — ich meine: im tiefsten Sinne gerecht wird. Wir können den Inhalt über setzen, wir können alles mögliche bis in große Feinheiten hinein, wenn der Übersetzer gut ist, aus einer fremden Sprache ver mitteln; aber wir können das eigentliche Werk nicht vermitteln. Es ist zweifellos, daß der Gedanke einer Weltliteratur, wie er etwa bei Goethe gedacht ist, die Idee ist, die nur gedacht werden konnte in einem idealistischen Zeitalter, in dem man sagte: die Persönlichkeit ist das Höchste, und es kommt nur darauf an, was diese Persönlichkeit erfaßt hat, — und man dachte nicht 1216 daran, daß der literarische Ausdruck ja doch davon abhängig ist, wie diese Sprache auf das Du wirkt. So kommt es, daß wir bei der Sprache als Denkwerkzcug schon das Merkwürdige er leben, daß eine gewisse Verflachung des sprachlichen Ausdrucks dadurch bedingt wird. Wir sehen, wie der Einzelne die Möglich keit hat, sich sozusagen mit sich selber zu unterhalten, und es ist klar: wenn er nicht mit außerhalb seiner Person stehenden Kräf ten sich reibt, sondern nur in sich selber zurückstrahlt, so kann keine Vermehrung des geistigen Besitzes dabei vor sich gehen, sondern es tritt eine Art ciroulus vitiosus ein: die Unterhaltung mit der eigenen Skepsis an Stelle der lebendigen Unterhaltung, Und nun schreitet diese Sprache weiter und legt sich im litera rischen Ausdruck fest. Zweifellos kommt es nun gerade da zum Vorschein, wieweit diese Sprache lebendig und wieweit sie tot ist. Es ist nicht von ungefähr, daß ein Mann wie Leo Weis mantel in ganz deutlicher Weise in seinem Buche »Der Geist als Sprache- ausspricht: »Sprache lebt, und Sprache ist tot, wie alles, was durch die Erde geht-. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die Denkmäler einer Sprache dauernder als Erz wären. Sie sind es nicht. Ich erinnere daran, wie wir heute etwa zum Nibelungenliede stehen. Gewiß, viele von uns werden es mit großem Genuß lesen, aber trotzdem immer nur mit einer ge wissen historischen Einstellung, und der eigentliche Kern, das, was seinerzeit gepackt hat, ist nicht mehr so lebendig. Und wenn wir uns überprüfen, was für jeden einzelnen von uns an Goethe lebendig ist, so kann man sich nicht verhehlen, daß das, was unter den Tisch fällt, von Tag zu Tag mehr wird, je weiter wir uns von jener Zeit entfernen. Aber das Wichtigste ist eben doch, sich zu vergegenwärtigen, wie sehr diese Sprache die Grundlage ist für alles literarische Schassen, und wir Buchhändler können uns gar nicht genug da mit beschäftigen, unsere Ware darauf zu prüfen, ob sie lebendigen Gegenwartswert hat, oder ob sie nur mit historischem Sinn an gesehen werden kann. Die Einstellung der vergangenen Zeit zur Sprache — ich erwähnte das ja schon kurz — ist eine höchst persönliche gewesen. Es ist originell, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Ge lehrten in Deutschland — die besten Namen — sich Ende des vorigen Jahrhunderts gegen jeden Kampf gegen das Fremd wort gewehrt haben, — nicht etwa deshalb, weil man der Fremd wortfrage kleinlich gegenübcrgestandcn hätte, sondern aus einer ganz merkwürdigen Einstellung, Sie sagten ausdrücklich, das Fremdwort gebe erst die Möglichkeit, wirkliche Abstraktion durch zuführen, Also das Abreißen der lebendigen Sprache und das Hinübergleiten in eine Sprache — wenn ich so sagen soll — des Solipsismus, der Loslösung, das schien ihnen sogar das für den Fortschritt Beste, was geschehen kann. Man sah in jedem neuen Fachausdruck eine Bereicherung, auch wenn der Fachausdruck noch so wenig bildhafte Kraft hatte und noch so wenig wirkliches Spracherlebnis zeigte, sondern lediglich eine grammatische und damit eben aus der Denksprache heraus stammende Konstruk tion war. Somit stehen wir heute vor der Tatsache — und wir wollen das nicht verkennen —, daß zwischen der Sprache des Gebildeten, des Humanisten, und der Sprache des Volks eine Lücke klafft, die vielleicht viel einschneidender ist als die Trennung aus Grund der politischen Anschauung oder des religiösen Bekenntnisses, Es ist außer Zweifel, daß wir verlernt haben, wirklich Sprache zu treiben; wir konstruieren Sprache, und wenn'man sich vor stellt, wohin das getrieben hat, so kann man nur sagen, daß es z, B, in der Wissenschaft nahezu zu einem Geheimidiom, zu einer Geheimsprache geführt hat. Ich möchte da nur ein Beispiel geben. Ein Soziologe, also ein Mann, der es eigentlich mit Beziehungen von Mensch zu Mensch, mit der gemeinwissen- schllftlichen Bildung zu tun hat, hat es fertiggebracht, unter anderm folgenden Satz zu schreiben: Die Immigration ist ein völkergeschichtliches Problem, deren Diminution zu dieser Epoche ein beachtliches Phänomen darstellt. Es sind nicht etwa nur die Fremdworte, die befremdend darin herumwimmcln, sondern das Charakteristische ist die Art des Beziehungssatzcs, Es ist ganz unmöglich, diesen Satz zu verstehen; denn das Wort -deren» können wir erst dann richtig beziehen, wenn wir den voraus-
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