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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.11.1928
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- 1928-11-03
- Erscheinungsdatum
- 03.11.1928
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X: 257, 3. November 1928. Redaktioneller Teil. gehenden Satz nochmals zurückgelesen und uns klargemacht haben: Wo ist denn da nun ein Wort, auf das sich das -deren« beziehen kann? Also ein rein konstruktives Gebilde ohne jegliche Bildkraft und ohne jegliche Möglichkeit, es dem' einfachen Mann aus dem Volke begreiflich zu machen! Wir müssen übersetzen, wie wenn es aus einer fremden Sprache käme, wenn wir es doch begreiflich machen wollen. Ich glaube, daß wir auch aus anderen Gebieten ganz Ähn liches haben. Ich bin der Überzeugung, daß manche Romane trotz ihrer stilistischen Höhe für die breiten Massen des Volkes vollkommen unverständlich sind. Es wird dort in einer Sprache geredet, in einer Denkart —> man entschuldige, wenn ich das etwas zuspitze — einherstolziert, daß es demjenigen, der von dem ganz unbewußten lebendigen Spracherlcbnis hcrkommt, ganz unmöglich ist, zu folgen. Er hat den Kothurn nicht, der dort gang und gäbe ist. Hier aber sehe ich — das möchte ich ausdrücklich betonen — den Punkt, wo wirtlich bei uns die Dinge am meisten darauf hingewirkt haben, daß die Bedeutung der Literatur nicht mehr das ist, was sie einmal war. Und wenn ich daran erinnere, daß heute schon der Roman nicht mehr Zeitausdruck ist, sondern daß wir über die Epoche der Novelle hinweg heute bei der kleinen Skizze angelangt sind, und daß wir, wenn wir in der Eisenbahn fahren, dort nicht mehr einen Mann oder eine Frau mit einem Roman sitzen sehen, sondern mit irgendeinem Magazin, woraus man einmal da und einmal dort eine Kleinigkeit in sich aus nehmen kann, dann will ich görn zugeben, daß auf diesem Ge biete manches geleistet wird, was durchaus Anspruch auch auf höhere Kunst hat; aber wir sehen: das literarische Wort hört auf, mit nachhaltiger Wirkung den Menschen wirklich zu packen. Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, — nicht etwa über das Warum allein, sondern vor allen Dingen habe ich mir die Frage vorgelegt: Wie kommt es, daß z. B. ein Roman, der uns heute schon so weltenfern erscheint wie der Werther-Roman, damals eine so ungeheure Wirkung ausüben konnte?, und ich kam zu dem Schluß, daß eben auch unsere Literatur gleich dem, Kino dazu übergegangen ist, eindeutig, für den Leser phantasielos zu werden. Es ist nur noch die Phantasie des Schriftstellers, die tatsächlich packt und nicht mehr die eigene Tätigkeit. Ich glaube nicht, daß heute ein Roman in diesem Zeitausdruck genannt werden könnte, wie das beim Werther-Roman der Fall war, und ich bin überzeugt, daß auch gar keine Möglichkeit besteht, nun da irgendwie den Weg zurückzulaufen. Wir haben uns nur allzu lange darüber getäuscht: der Buch- bcsitz, also der Besitz an Literatur, bedeutete noch vor nicht allzu langer Zeit — und er bedeutet es heute noch zum Teil — einen gewissen Ausdruck für die soziale Stellung. Es gehörte zum gebildeten Menschen, daß er eine große Reihe von Klassikern im Schrank stehen hatte; es gehörte dazu, daß man gewisse Sachen gelesen hatte. Das waren — ich möchte sagen: — soziale Forderungen. Täuschen wir uns nicht: die Jugend, die jetzt heranwächst, sagt: -Diese Verlogenheit hat gar keinen Zweck, wir wollen nicht Bücher, und deshalb sagen wir auch gar nicht, daß man sie besitzen muß!» Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, wohin das alles führen soll, so bitte ich, sich einmal einen Augenblick gründlich umzustellen. Genau so, wie es etwa bei der Krisis in einer Krankheit für deren weitere Entwicklung von größter Bedeutung ist, wie der Mensch persönlich sich einstellt, wie weit er den Willen hat, positives Vorzeichen zu geben, genau so gilt es auch hier. Es ist gerade für uns Buchhändler die größte Gefahr, nun ein fach zu sagen: Das ist alles schlecht, und das ist alles eine Ent wicklung, die gar nicht scharf genug bekämpft werden kann, und das ist alles ein Zeichen unseres kulturellen Niederganges. — Damit, daß ein Arzt an einem Krankenbett sagt: -Die Lage ist hoffnungslos-, ist noch nie gedient gewesen, und wie häufig ist schon damit Großes erreicht worden, daß man gesagt hat: »Nein, die ist nicht hoffnungslos; es gibt eine Entwicklung, die heraus führen kann!- Es ist hier genau so, wie etwa die Ablehnung der Jazzmusik gerade dort am lautesten ertönt, wo man sich mit mindestens ebenso schlechter Musik manchmal im Gleichschritt bewegt hat. Ich stehe nicht im Verdacht, ein Antimilitarist zu sein, ich bin auch nicht ein Bolschewist; aber ich bin so ehrlich, zu gestehen, daß manchmal der Militärmarsch, der uns zum Gleichtritt geführt hat, musikalisch gewertet, ein höchst merk würdiges Erzeugnis war, und wir haben gar keinen Grund, weil wir selber nichts an die Stelle rücken können, zu lächeln über das gemeinschaftliche Rhythmuserleben. Darauf kommt es ja an! Der Rhythmus ist für die Einzelperson gänzlich wertlos. Der Rhythmus hat überhaupt nur Sinn, wenn er Bezug hat. Das Glcichschwingen einer Gemeinschaft ist das Wesentliche, nicht daß man selbst sich im Rhythmus bewegt. Das neue Buch, das ich vorhin ja schon erwähnt habe, von dem jungen Gräser, der sich mit dem neuen Körpersinn besonders befaßt hat, war mir in dieser Hinsicht außerordentlich lehrreich. Er hat für meine Begriffe ganz richtig erkannt, was da für positive Vorzeichen einer Entwicklung vorhanden sind; aber er meinte immer noch, die Tätigkeit des Einzelmenschen, die Tätigkeit gymnastischer, tänzerischer Art des Einzelmenschen, sei das, was befreie, und er hat nicht erkannt, daß es gerade der Zusammenhang mit der Gemeinschaft ist, der diesen Dingen erst Sinn gibt, und so ist er selbst auch zusammengebrochen, wie wir ja wissen. Der Rhythmus bei der Jazzmusik, den ich eben erwähnte, zeigt uns ganz deutlich, daß wir eben gewisse Gemeinschasts- erlebnisse unbedingt brauchen, auch wenn sie noch so primitiver Art sind und wenn sie letzten Endes aus dein Negerdorf bezogen werden. Wir müssen uns darüber klar sein, oder wir können uns darüber klar werden, wenn wir einmal in ein Lokal gehen, in dem Jugend tanzt. Gewiß, da läßt sich im einen oder anderen Fall ein ziemlich eindeutiger erotischer Sinn feststellen; aber im allgemeinen ist es geradezu auffallend, wie das Tanzen dem Ge sichtsausdruck nach, der ganzen Haltung der Leute nach nahezu wie etwas ganz Sakrales behandelt wird. Die Leute sind ganz wie in einem Taumel, merkwürdig geht durch die ganze Menge, die in einem Lokal ist, eine gewisse gemeinsame Schwingung hin durch, eine Schwingung, die zweifellos nicht etwa von dem Ein zelnen gewollt ist, sondern bei der er einfach nur einem Natur trieb solgt. Das Vorhandensein dieses Naturtriebs kann nicht bestritten werden. Ich kenne in München einen alten Geheimrat, einen Philologen, der nie beim Militär gewesen ist, der aber, sobald er einem Militärzüge begegnet, bis zur Kaserne mit marschiert, — einfach weil es ihm Bedürfnis ist, in diesem Gleich- tritt, in dieser allgemeinen Schwingung mitzugshen. Ich komme da wieder zu dem jungen Gräser zurück. Was dieser aussührt, hat sehr viel für sich und ist von einer ganz hohen Warte aus geschrieben. Er war ein Mann, der chinesische Philosophie in der Ursprache gelesen hat, ein Mann, der, wie wir wissen, die »Kunst der Fuge- von Bach in gewissem Sinne bewältigt hat, er war ein Mann, der sich in der höheren Mathe matik bewegt hat wie — wir wollen einmal sagen: — ein guter Buchhändler in seinen Barkonten. Dieser Mann drückt es so aus: »Gymnastik hat das Joch des Intellekts abgeschüttelt-, und an anderer Stelle: »Erstarrt die Form, so muß sie von einem Lebendigen zerstört und zerrieben werden-, und wieder an einer anderen Stelle: »In der neuen Körperlichkeit sind die Wege auf gedeckt, die in unmittelbarem geeintem und naturverbundenem Fühlen wieder hindurchfühcen können. Aus uns selbst quillt es, spricht in unserem Leibe zu uns, wenn wir darauf horchen, uns offen und bereit machen». Also er ist sich klar darüber, daß es zunächst darauf ankommt, den Naturzusammenhang wieder einigermaßen zurückzugewinnen, wiederzuerleben, nicht zu kon struieren. Ich möchte gleich hinzusetzen: Ihm ist es nicht ge lungen. Das Buch ist nur an manchen Stellen von einem un geheuren Persönlichkeitsschwung und infolgedessen auch von er greifender Wucht. An den meisten Stellen hat es durchaus den analytischen Stil unserer Wissenschaft und bewegt sich in einer Sprache, die eben tatsächlich nicht lebendig ist. Aber immerhin, wir sehen, das, was wir so zu verwerfen gewohnt sind: die Hin neigung zum Körperlichen, das wird dort in ganz bewußt gei stiger Weise umgedeutet, und es wird ganz ausgesprochenermaßen darauf hingewiesen, wie nur von dieser Seite her, also von dem unbewußten Erlebnis her wieder das Heil kommen kann. Er spricht das ganz ruhig aus: die Wissenschaft, die hinter uns liegt, ist zu Ende, mit der können wir nicht weiter; wir müssen ganz 1217
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