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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.03.1915
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- 1915-03-06
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- 06.03.1915
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53, k. März 1915. Redaktioneller Teil. kcn könne. Er wußte also, daß seine Gesinnungen nicht Wider französisches oder belgisches oder englisches oder serbisches, son dern daß sie gerade Wider deutsches Empfinden gingen, daß ihre »mannhafte, wahrhafte« Äußerung die Deutschen gegen ihn empören mußte. Indem er dieses wußte und erklärte, tat er seine antideutschen Äußerungen: So tief wühlte in ihm das Bedürfnis nach offener Aussprache seines anti deutschen Fuhlens. Wer kommt noch her und wirft sich irgendwie zu dieses Mannes, zu dieses antideutschen Gei st es Fürsprecher auf? — Ein deutscher Verleger? V. Ein Dichter deutscher Zunge, der in undeutschen Begriffen denkt, und gar in antideutschen? So quälend es wirkt, es ist plausible Wahrheit; und Eugen Diederichs hat Wohl nicht ganz unrecht, wenn er so etwas wie Tragik in ber Erscheinung dieses schweizerischen Dichters wittert. Als Spitteler sein »olympisches« Epos geschrieben hatte, trat er vor ein französisch sprechendes Publikum in Neuveville und erklärte nicht ohne das lächelnde Selbstgefühl des Menschen, der sich originell weiß, gewiß sei »einzig im deutschen Sprachgebiet« solch ein »sonderbarer Kauz« wie er selber denkbar, der in ent sagender Einsamkeit ein großes Stück seines kurzen Lebens an ein mythologisches Versepos wenden müsse. Dennoch werde man in Frankreich einem gereimten Götter-Epos eher Gerechtigkeit und Ehrerbietung widerfahren lassen als in Deutschland. In Deutschland rechne er auf ein scholastisch voreingenommenes Ge schrei: »Ein Epos schreibt man heutzutage nicht!« — obwohl Walküre und Götterdämmerung, obwohl Wotan und Fricka, Welt esche, Zwerge und sprechende Waldögel das gegenwärtige Er götzen aller deutschen Bühnen seien. — Der Mann übersah, daß Jupiter uns nicht Wotan, daß Juno uns nicht Fricka ist; er über sah, daß Wagner — ebenso wie Hebbel — mit dem Siegfried- und dem Nibelungenstoffe deutsch-nationale Schöpfungen gegeben ha ben. Einzig diesen Sinn hat die germanische Mythologie für uns: daß ihr Urgrund auch der unseres völkischen Wesens ist. Darum ist selbst der Lindwurm Fafner uns mehr als Hekuba! Die Göt terwelt, die Spitteler zu gestalten und zu verlebendigen suchte, war nicht die unsere. Wohl aber ist sie längst in Frankreich hei misch. Von Poussin und Claude Gelse bis Puvis de Chavannes und Gustave Moreau, von Corneille und Racine bis Pierre Louys, Jean Morsas und Andre Gide hat die Welt des Olymps in Frank reich nie das Szepter fahren lassen; schon vor mehr als sechzig Jahren gab Baudelaire seinem Ekel vor den »neuen Heiden« Ausdruck, und in Paris geschah es auch, daß sich das kunstdrapicrle moderne Heidentum in Daumier und Jacques Offenbach selbst all absuräuin führte. Nicht national, sondern rein menschlich verklärt hat Spitteler seine Göttergestalten geben wollen und auch nur geben können, und nicht die deutschen, sondern die griechisch-lateinischen Götter haben ihn zu seinem Versuch gereizt. Das wies ihn mit seinem Epos — nicht zu Unrecht empfand er's — nach Frankreich mehr als zu uns. Auch war es in dem undeutschesten, dem klassisch fran zösischen Versmaß des Alexandriners geschrieben. Freilich: er hatte in deutscher Sprache gedichtet, und deutsch schien manchem auch der untergründige Gedankenreichtum: die Allegorie — ob wohl nichts wie die Allegorie französisch ist, während dem Deut schen durchaus nicht das Mythologisch-Allegorische, sondern bas Mythisch-Mystische im Wesen liegt. Immerhin fand so durch den Zufall der deutschen Sprache und durch ein Mißverständnis deutschen Verleger- und Kritikerurteils der Schweizer Dichter nun doch einzig in Deutschland sein gläubiges, freudiges Publi kum — »das ihn umjubelte und nie verstand«, wie Herr Diede richs sagt, der selber zu den Gläubigen gehört und feinen Autor einem Dante beigesellt. Ich denke nicht daran, gegen die dichterische Urkraft Dantes, die aus Lava Gedanken und Gestalten für die Ewigkeit gemeißelt hat, irgendwelche epigonalen Dichterkrämpfc in Vergleich zu setzen. Aber vielleicht ist es im Zusammenhänge dieser Spitteler-Betrach« tung kein unverzeihliches Sakrileg an Dante, wenn ich mir einen mehr ins Gebiet des Politisch-Nationalen schlagenden kurzen Hinweis gestatte. Gleichwie von Wagner, dessen lauten Ruhm Carl Spitteler beim ersten Vortrag seiner mythologischen Dich tung mit guter Absicht erwähnte, trennt auch von Dante den Ver fasser des »Olympischen Frühlings« — wie gesagt: von allem ande ren selbstverständlich abgesehen — der Mangel nationaler Urkraft in seinem Werk. Im Dante lebt bas Italien seiner Zeit; in Dan- tes Geist brennt die Leidenschaft des Vaterstadt-Verwiesenen. Carl Spitteler thront in olympischer Höhe über solchen Mensch lichkeiten — thront fern der germanischen Geistesgebundenheit des Dante als freier schweizerischer Eidgenosse. Was ich hier andeute, weist geradezu auf das Problem der schweizerischen Kunst. Die engen politischen Grenzen der Schweiz halten nicht stand vor dem Machtbegehr des Künstlergeistes, der sich auswirken will. Die Gottfried Keller und Ferdinand Meyer, die Böcklin, Welti, Stauffer-Bern und Hobler haben immer wieder zu uns nach Deutschland herübergelangt und -lange» müssen, um für ihr Schaffen eine breitere völkische Basis zu fin den, als sie die Schweiz ihnen bot. Carl Spitteler aber war und blieb der Mann der Enge, den seine Mutter zwischen zwei Stühlen geboren hat, — der deutsch schrieb und in Frankreich Geltung suchte, in Deutschland Geltung fand und bei dem allen undeutsch in seinem Fühlen blieb. Heute, da Baseler und Züricher Zeitungen die Sache Deutsch lands gerecht zu würdigen vermögen und Ernst Zahn so gut wie Berlepsch-Valendas ihres deutschen F-ühlens sich bewußt sind - spricht sich Carl Spitteler in einer verbissenen Neutralität — denn einzig mit solcher avntracliotio in ackjeeto ist seine innerlich un freie Stellungnahme treffend zu bezeichnen — Wider deutschen Geist und deutsches Wesen aus. Mag diese vorgebliche Neutrali tät eine Altersäutzerung seiner persönlichen »Einsamkeit« sein, so ist es doch ein Irrtum, die persönliche Einsamkeit eines schwei zerischen Menschen mit der künstlerischen Einsamkeit eines schöpfe rischen Geistes zu verwechseln. Und warum mutzte die vorgeb liche Neutralität in hämischer Verbissenheit Wider deutsche An schauungen sich äußern? — Es ist schon so: Solange Spitteler Dichter war und blieb, ha! mancher deutsche Kritikus einen deutschen Dichter in diesem tieffinnig scheinenden Geiste ver ehren zu sollen geglaubt; — er mußte erst politisieren, damit man eine Ahnung davon bekam, daß Spitteler kein deutscher Dichter ist. Ein Pech! Für wen das größere: für den Dichter oder für seine Verehrer? — das bleibe persönlichem Geschmack zu beant worten überlassen. Ich sage also keineswegs, Carl Spitteler habe sein geistiges Vaterland verraten; — und auch von seinem geistigen Mutter land will ich nichts sagen. Aber der Dichter Spitteler hatte auch ein geistiges Kinderland gefunden: ein Heimatland für seine Werke, ein Land der Freunde und der Verehrer, ein Land der Treue, der Sympathie, ein Land der seelischen Verbundenheit. An dieses Land trat die äußerste Rot heran: die Frage der Würde, der Ehre, der Existenz. Was sollte Spitteler tun, wenn dieses Landes Not ihn aus politischen Gründen nicht interessieren durfte? Sollte er die Politik seines Landes verraten um seines dichterischen Kinderlandes willen? Die Frage heischt keinerlei Beantwortung, — sie selber brauchte schon nicht aufzutauchen. Mußte denn Spitteler etwas tun, mußte der Dichter deut scher Zunge sich als Politiker des neutralen Staates äußern? Nein: er mußte es nicht — und e r, gerade er durfte es auch nicht, wenn er das Land seiner Geistesfreunde achten wollte. Er wußte, daß es ein Band zu zerschneiden galt, das sich zum Herzen seiner Werke hin geknüpft hatte. Er h at es zerschnitten, ohne Not und Zwang. Wer wollte jetzt nach Naht und Faden schreien? VI. Wir wollen Politik und Kunst durchaus nicht verwechseln. Ich als strebender deutscher Dichter kann Erscheinungen wie Maeterlinck und d'Annunzio nicht übersehen (Wells ist. ein schwä cheres Kllnstlertcmperament, obwohl er im Phantastischen gelegent lich höchst originell gewesen ist). Es hat durchaus keinen Wert, der Auslandsliteratur den Fehdehandschuh hinzuwerfen und sich an patriotisch verbrämten deutschen Kitsch zu halten. Ich kann die seelische Gemeinschaft mit dem Dichter des gegenwärtig feindli chen oder zum Teil feindselig gestimmten fremden Landes mei den, solange seine Gehässigkeiten mir stärker ins Ohr gellen, als 305
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