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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.11.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1934-11-10
- Erscheinungsdatum
- 10.11.1934
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- Deutsch
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263, 10. November 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. DtschN Buchhandel. Woche des deutschen Buches Vom Wesen der Dichtkunst Ansprache gehalten am 2. November beim Empfang der Neichsschrifttumskammer zur Buchwoche von Lerrn Dr. Heinz Wismann stellvertr. Präsident der Neichsschrifttumskammer, Leiter der Abt. VIII im Neichsministerium f. Volksaufklärung u. Propaganda q «r Die nationalsozialistische Revolution ist wesentlich vom ge sprochenen Wort getragen und vorgetrieben worden. Die Tatsache an sich hat man oft schon vermerkt, die Frage nach ihrem Sinn aber noch kaum gestellt. Und doch verlohnt es der Mühe, sich gerade mit dieser Frage einmal eingehender zu beschäftigen, nicht nur weil die Prävalenz des gesprochenen Wortes vor dem geschrie benen in einer Zeit voll entfalteten und mit allen Mitteln moder ner Technik unterbauten Schrifttums erstaunlich ist, sondern weil die Antwort aus jene Frage unmittelbar in das Zentrum des ungeheuren Geschehens unserer Tage führt. Wir lebten bis zur Machtergreifung in einer trotz aller Ge schäftigkeit und sensationsgepeitschten Aufgeregtheit müden und überalterten Welt, einer Welt, die alle Kraft in ihre Werke ver strömt hatte und deshalb in ihrem innersten Bezirk nichts mehr besaß, was die Vielfalt des Geschaffenen von innen her binden und zu einem Ganzen zusammenschließen konnte. In einer solchen Zeit aber wird jedes künstlerische Werk, und sei es das wesentlichste und inhaltsreichste, selber kraftlos, weil die Lebensmitte nicht mehr da ist, auf die es zurückwirken und neue Lebens- und Schaffens impulse auslösen kann. Es fehlt gleichsam der archimedische Punkt, es fehlt die letzte Sinnbezogenheit aller Werke, es fehlt der von der sinnsetzenden Mitte her kraftdurchstrahlte seelisch-geistige Raum, in dem Werke allein wirken können. Ist aber die Entwicklung einmal auf diesen Punkt gekommen, so hilft keine Übersteigerung der technischen Verbreitungsmittel, kein noch so durchdachter und glänzend aufgebauter organisato rischer Apparat, keine Fülle der Gesichte und kein noch so entwickel tes artistisches Können mehr, der Kreislauf der Gezeiten des Schaf fens ist gestört, es tritt zwar nicht die Stille des Friedhofs, aber etwas viel Schlimmeres ein, jene lärmende, sich selber über stürzende Geschäftigkeit, die, von Hybris und Weltangst gleicher maßen angetrieben, alles vollends zum Chaos werden läßt. Nur eins kann aus diesem Chaos retten: jenseits der künst lerischen Schaffensbezirke muß, wenn das menschengeschaffene Werk nicht mehr die Kraft und den Raum hat, um zu wirken, der Mensch selber in die Bresche springen und durch Tat und Rede, das heißt, nicht durch das Mittel eines gestalteten Werkes, sondern durch persönlichen Einsatz das Volk im Innersten wieder zur Ge meinschaft zusammenschweißen. Und erst wenn unter den Hammer schlägen des großen Volksbildners das gestürzte und entweihte Pal ladion mit dem Zeichen des neuen Sieges wieder aufgerichtet ist, kann der schaffende Geist sich im Werke wieder entfalten. Denn jedes künstlerische Werk ist in Sinn und Auftrag so tief und untrennbar an die Gemeinschaft gebunden, daß es welken und absterbcn muß, wenn es aus den Kräften der Gemeinschaft nicht gespeist wird. Zwar lebt auch die Gemeinschaft von den Werken der Schaffenden und ist nichts ohne sie, aber doch nur so wie ein Baum, der die Blätter braucht, weil er durch sie atmet und ohne sie daher nicht leben kann. Wenn aber die Wurzel krank ist, so können auch die von den Blättern herströmenden Kräfte das Übel nicht heilen und das Ganze nicht retten. Es war eine tragische Notwendigkeit, daß all die heroischen Versuche, vom Werke her die in der Wurzel kranke Volksgemein schaft wiederherzustellen, — ich nenne nur drei große Namen: Wagner, in seiner Gefolgschaft der junge Nietzsche und Stefan 982 George —, scheiterten. Die Gemeinschaft, die durch die Auflösung aller überkommenen Bindungen in ein Gebilde von völlig anderer soziologischer Struktur, in die atomisierte, lediglich als Summe von Individuen existierende Gesellschaft auseinandergefallen war, konnte kein noch so glühendes, noch so leidenschaftliches künstle risches Wollen als Gemeinschaft wieder zusammenführen. Denn was ist Sinn und Auftrag alles künstlerischen Schaffens? Die Kunst formt und macht sichtbar, was an Werten in einer Gemein schaft lebt, schaffen kann sie diese Werte nicht. Es wäre ein ver hängnisvoller Irrtum, Hölderlins schönes und tiefes Wort: »Was aber bleibt, stiften die Dichter« so zu verstehen, als ob der Dichter das Bleibende in seinem Gehalt sich selbst entränge; er empfängt es vielmehr aus dem Volk, in dem er steht, und gibt ihm durch seine Gestaltung über die Gegenwart hinaus dauernden Bestand. Alles künstlerische Schaffen hat diesen demiurgischen Charakter: es braucht den Stoff, an dem es sich bildnerisch betätigt und verfällt in demselben Augenblick der hohen unfruchtbaren Artistik, in dem es nicht empfangen und formen, sondern aus dem Nichts, aus der bloßen Abstraktion des Gedankens oder gar niederer, nie im Werke zu verewigender Stimmungen und Triebe produzieren will, wie es die Literaten unseligen Angedenkens taten, die Vorgaben, Dichter und Schaffende zu sein und doch nichts anderes waren als der geist- und sinnentblößten Materie und damit dem ewig Leeren verfallene armselige Kreaturen. Es ist ebenso aufschlußreich wie erschütternd zu sehen, wie mit dem Fortschreiten der Verfallszeit das Wissen um die tiefe Gebun denheit alles Werkschaffens den Schaffenden selbst immer klarer, immer eindringlicher zum Bewußtsein kam: Wenn Wagner noch von dem fanatischen und ungebrochenen Glauben an den Erfolg beseelt war, so finden sich schon beim späten Nietzsche in »Jenseits von Gut und Böse« in jener Analyse des Vorspiels zu den Meister singern, die Nietzsche selbst seine zwei ungeheuren Seiten genannt, die Sätze ... Was für Säfte und Kräfte, was für Jahreszeiten und Himmelsstriche sind hier nicht gemischt! Das mutet uns bald alter tümlich, bald fremd, herb und überjung an, das ist ebenso will kürlich als pomphaft-herkömmlich, das ist nicht selten schelmisch, noch öfter derb und grob, — das hat Feuer und Mut und zugleich die schlaffe falbe Haut von Früchten, welche zu spät reif gewor den ... Ein rechtes echtes Wahrzeichen der deutschen Seele, die zu gleich jung und veraltet, übermürbe und überreich noch an Zukunft ist. Diese Art Musik drückt am besten ans, was ich von den Deut schen halte, sie sind von vorgestern und von übermorgen, sie haben noch kein heute. — Mit anderen Worten: die damalige deutsche Gegenwart enthielt — das ist Nietzsches Meinung — nichts, was ungebrochen im Werke hätte gestaltet werden können. In der Zwie spältigkeit eines großen Werkes spiegelt sich der Verfalls- und Übergangscharakter der Epoche, weil nicht dem Werk, aber der Gemeinschaft die Sinnmitte und mit ihr der Raum und die gestal tete Gegenwart fehlten, in dem sich die jungen und zukunftsweisen den Kräfte hätten voll entfalten können. Von letzter aber und tiefster Tragik umwittert ist jenes Ge dicht Stefan Georges, das »Die Spange« überschrieben ist und in dem George mit acht Verszeilen mehr über sein Werk und Wollen aussagt, als alle noch so klugen, von Kritik oder Begeisterung getragenen Abhandlungen jemals darüber auszusagen vermöchten.
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