X- 106, 9. Mm 1933, Redaktioneller Teil, Börsenblatt f. d. DtschnBuchhandel. weiteres deutlich wird, woraus es gerade beim literarischen Aus druck ankommt. Wieder möchte ich das Bild des Filters ver wenden, Der Gedanke, dem ein schaffender Künstler Ausdruck geben will, durchläuft eine Reihe von Filtern, von denen jeder nur bestimmte Teile des Gedankens durchläßl: Ein Gedanke, der etwa in Form einer Malerei Gestalt gewinnen soll, kann nicht körperlich, sondern nur flächig in Erscheinung treten. Sein Er scheinen wird ferner abhängig davon sein, ob Ol- oder Tempera farben verwandt werden. Vor allem aber zeigt sich deutlich, daß die Idealvorstellung des Künstlers eine weitere Scheidung, und zwar nach Weltmaßstäben, vorninnnt. Diese Wertmaßstäbe sind nicht nur in der Person des Künstlers gelegen, denn sie »liegen in der Zeit«, werden also nicht zum wenigsten bestimmt von den Mitmenschen, auf die der Künstler wirken will, Kunst um der Kunst willen verdient gar nicht in den Kreis der Betrachtung ein bezogen zu werden. Das Bild eines solchen Filtervorgangs stellt sich vereinsacht so dar: L-t-t // Ausdrucksart Ausdrucks mittet (Werkstoff) Inhalt: Geistiger Gehalt Ideal: Kunstart: Baukunst Bildhauerei Malerei Tonkunst Tanz Redekunst Schrifttum (Architektur) (Plastik) Zeichenkunst (Musik) Aus diesem Bild, das für sich selbst sprechen mag, geht noch folgendes hervor: Form allein ist nicht möglich! Sie muß einen Inhalt haben. Beide zusammen ergeben zunächst nur Gestalt; ein Kunstwerk entsteht erst unter Einschaltung jenes Filters, das ich mit Ideal bezeichnet habe. Lediglich um das Filterbild noch mehr zu verdeutlichen, füge ich ein weiteres Bild an, das die Art der Filter in bewegte und ruhende teilt, weil dadurch sichtbar wird, daß eben der literarische Ausdruck zu jenen Arten gehört, die einen doppelten Filter durchlaufen. M-r /// Die Form als Filter Ruhende Filter Bewegte Filter Form gedanke statisch im Gleich- -"E°' drei- tonlich ,P-°ch»ch Werk stoff Werk zeug Holz, Eisen usf. Axt. Kelle Papier Bleistift usf. Erz usf. Spachtel, Meißel usf. In- (Geige, Blas- usf.) Sprache Gesang (Tanz) (Redekunst) Ruhende Filter schrift Noten- schrift schrift Aus drucks art Baukunst Archi- tektur (Zeichen- kunst) Bild- Plastik Musik T°n.,an,. GchrMwm Das Filterbild mag mehr oder weniger richtig sein, eines zeigt es deutlich auf: der Weg zum künstlerischen Ausdruck er fordert Opfer an Werkstoff und Werkzeug, Er erfordert aber auch 340 im Ideal einen Zivilwillen zum Wesentlichen, zu dem, was eigentlich allein wert ist, den Mitmenschen dargebracht zu werden. Worin aber unterscheidet sich der literarische Ausdruck von allen anderen Arten? Zweierlei ist hier mit Nachdruck zu be tonen: Vor allem ist die Vorstufe des literarischen Ausdrucks der sprachliche, lind zweitens: die Festlegung des sprachlichen Aus drucks in schriftlicher Form erfordert noch einmal eine Ab trennung, wie sie jeder Filter mit sich bringt. Nun aber — und das scheint mir das Wichtigste — besteht zwischen Denken und Sprache eine innere Wechselwirkung, Ich habe sie in Bild II durch gestrichelte Pfeile angedeutet. Schon W, v, Humboldt hat eindringlich darauf hingewiesen, daß unser Denken wesentlich bestimmt ist von der Sprache, die wir spre chen, und das Werk von Schmidt-Rohr geht diesem Gedankengang mit einer Gründlichkeit nach, die es mir unnötig erscheinen läßt, hier auf Einzelheiten einzugehen. Ganz primitiv ausgedrückt kann man etwa so sagen: Denken kann man nur in Begriffen, diese aber erhält man mit der Sprache, diese aber ist -— wie Humboldt sagt — »kein freies Erzeugnis des einzelnen Menschen, sondern gehört immer der ganzen Nation an«. In dem Augenblick aber, wo wir erkennen, daß zwischen Sprache und Denken eine Wechselwirkung besteht, haben wir den Schlüssel dafür, daß der Ausdruck in der Rede von so ganz anderer Wirkung ist als andere Ausdrucksarten, Mit vollkommener Sicherheit können wir feststellen, in welcher Gemeinschaft der Sprecher zu Hause ist: Wir erkennen nicht nur, ob er Deutscher oder Franzose, Bayer oder Sachse ist, sondern auch, ob er den unteren Schichten des Volkes oder etwa der Gelehrtenzunft mit Mandarinenfprache angehört. Darum aber fällt beim sprachlichen Ausdruck Denken und Ausdruck in so merkwürdiger Weise in eins zusammen, daß uns Übersetzung nur höchst unvollkommen mög-