Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 22.03.1933
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1933-03-22
- Erscheinungsdatum
- 22.03.1933
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19330322
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-193303220
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19330322
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1933
- Monat1933-03
- Tag1933-03-22
- Monat1933-03
- Jahr1933
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Fr 88/88, 22. März 1838. Redaktioneller Teil Börsenblatt s. d. Dtschn Buchhandel. »Während wir nämlich im Zeitalter der .Persönlichkeit', der Freiheit und Gleichheit uns mit einer reichlich äußerlich ge plapperten Brüderlichkeit über die Notwendigkeiten des Zu sammenlebens hinwegtäuschten, empfinden wir heute nach all den Erschütterungen des Krieges, den wirtschaftlichen und sozia len Kämpfen, daß solche Brüderlichkeit leerer Schall und Rauch ist, wenn wir nicht eine gemeinsame Zielsetzung finden, die ge eignet ist, uns als Einzelpersönlichkeiten so zu führen, daß nicht mehr jede unserer Bewegungen eine Schädigung des Lcbens- raumes unseres Nachbarn ist. Damit ist in unserer Betrachtung der Punkt gewonnen, der deutlich zeigt, daß es sich um eine Frage des Lebens handelt, des Lebens in des Wortes ernstester Bedeutung; denn nicht nur der wirkliche, sondern auch dex geistige Raum ist für den einzelnen fragwürdig, wenn sein Nebenmensch in keiner Weise hinsichtlich seiner persönlichen Auswirkung ge bunden ist. In diesem Sinne aber ist der Lebensraum im wohl verstandenen eigenen Lebenswillen des einzelnen eine Frage der Gemeinschaft. Das aber bedeutet nichts anderes als die Notwen digkeit, dem einzelnen ein Ziel zu geben derart, daß dieses Ziel einerseits diesem einzelnen Lcbensersüllung bedeuten kann, daß es aber gleichzeitig seinen Mitmenschen den nötigen Lebensraum für ihr Zielstreben gibt.« Es handelt sich um das Bildungsziel. So unternimmt vr. Oldcnbourg aus dessen Geschichte den Nachweis zu erbringen, weshalb die Entwicklung bis zur Gegenwart unbefriedigend aus gegangen und weshalb also heute eine Neuorientierung unum gänglich nötig geworden ist. Wir können nicht auf alle Einzel heiten eingehen. Das mag man in der Schrift selbst Nachlesen, vr. Oldenbourg faßt das Ergebnis dahin kurz zusammen: »Auf der einen Seite wurde'ein Bildungsziel ausgestellt, dessen Wesenszüge im Grunde mehr gefühlsmäßig dem griechischen Schönheitsideal, wie man es sich damals vorstellte, entsprach. Dieses Ideal — so wurde angenommen — kann in seinen Einzel zügen von jedem Menschen selbst gestaltet werden, denn man zweifelte nicht an der Möglichkeit der Humanität, an dem Ein- geborenscin des Idealbildes vom Menschen. Auf der anderen Seite stand die Lehre, daß jeder Mensch nur die Gelegenheit haben müsse, ohne Störung durch böse Einflüsse sich zu ent wickeln, dann kann nichts fehlen, denn an sich ist jeder Mensch gut«. Dieser allzu idealistische Optimismus mit der Abstellung auf allzu umfassende Allgemeingültigkeit des Bildungsideals ist gescheitert. Die positiven Leistungen werden keineswegs verkannt noch geleugnet oder unterschätzt. Das ändert aber am Gesamt urteil nichts. Worin Or. Oldenbourg letzten Endes den Haupt mangel sieht, läßt er vielleicht am einfachsten erkennen, wenn er in dem Abschnitt über die Schulfragen schreibt: »Man gab zwar dem Volk eine Schule und nannte sie Volksschule, aber man pflegte in ihr, abgesehen von den reinen Zweckfächern für das Bestehen des einzelnen im Kampf ums Dasein, nur jenes Per sönlichkeitsideal, d. h. man suchte dem in seinen Anlagen ja ,guten' Menschen die Möglichkeit zu jener Entfaltung seiner An lagen zu geben, die dann zu jenem Ideal führt, das .schlank und leicht aus dem Nichts entsprungen' jedem Menschen, so setzte man voraus, als gegebenes Ziel winkte. Die bewußte Volk bildung dagegen spielte keine oder nur eine untergeordnete Rolle und nur in Kämpfen wie etwa dem für und gegen die Simultanschule liebte man es, deren Notwendigkeit zu betonen. Man sprach von Volksbildung, nicht von Volkbildung und in jenem ,s' liegt die ganze Tragik der Entwicklung: fälschlich sah man in ihm eine Kennzeichnung des zweiten Falles, wie das ja so häufig bei uns geschieht, statt die Bildung eines neuen Begriffes aus zwei Wortstämmcn. So entstand die Vorstellung, daß es sich bei der Volkschule um eine dem Volke gehörige Bildung, nicht aber um eine solche zum Volk handle«. »Dazu kommt ein weiteres: Auch die vorhandenen Störun gen unseres Lebens als Volk sind zu einem nicht geringen Teil dadurch entstanden, daß das Ideal der klassischen Zeit lediglich 204 abgestellt war aus den geistigen Menschen, auf die Schicht des Volles, die sowohl ihrer ganzen Natur nach wie auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage jenen Flug in die Gefilde des Idealen machen konnte, für die breite Masse des Voltes tonnte dies Wag nis nicht in Betracht kommen. Der Erfolg solcher Zielsetzung für die Gesamtheit des Volkes war aber so lange außer Zweifel, als eben jene Schicht in jeder Hinsicht wirklich führend war, führend nicht nur in dem Sinne, daß sie im wesentlichen die Kräfte des öffentlichen Lebens beherrschte, sondern auch nach der Richtung, daß die Masse des Volkes diese Führung anerkannte. Solange solcher Zusammenklan-g von Volk und Führung einiger maßen gegeben war, mußte das Ideal der Führenden mittelbar auch auf die Masse des Volkes zurückwirken. Es ist gleichgültig, aus welchen Gründen diese Voraussetzung in den letzten hundert Jahren verlorenging, an der Tatsache selbst kann niemand zwei feln. Dabei handelt es sich keineswegs nur um die Entwicklung auf der politischen Ebene. Die Entfremdung von Kunst und Wissenschaft gegenüber dem Volk in seiner Breite ist noch viel augenfälliger. Man vergegenwärtige sich z. B., wie alle Kunst- äußerungen bis zur Romantik zweifellos .verständlich' in einem volksmäßig weiteren Sinn waren und wie schließlich Impres sionismus und Expressionismus dem Volk in seiner Masse unver ständlich blieben, nicht etwa nur wegen ihres bewußten Abwei- chens von naturalistischer Darstellung, sondern hauptsächlich wegen des oben dargelegten Rückzugs auf das Reinpersönliche, das naturnotwendig im Gegensatz zum Volkstümlichen stehen muß. Und daß die Wissenschaft sich sozusagen vom Volke ganz abgelöst hat, ließe sich allein schon aus ihrer sprachlichen Eigen- und Unart beweisen. Es ist gewiß richtig, daß zu allen Zeiten die höchsten Geistesleistungen im geringeren oder stärkeren Maße für die breite Masse unverständlich waren, darauf aber kommt es weniger an als aus das Vertrauen, das die breite Masse zu jener Geistigkeit besitzt. Dieses aber ist zur Zeit gestört, und darum kann die.Bildung', die unsere Geistigkeit bisher beherrscht hat, nicht weiter in Frage kommen. Diefe Bildung ist aber be herrscht gewesen und weitgehend noch beherrscht von einem ganz allgemein gehaltenen Menschlichkeitsideal, das nicht die geringste Berwirklichungsmöglichkeit hat, eben weil es die Vielgestaltigkeit der menschlichen Ausgaben mißachtet: Ich deutete dies schon an in der mangelnden Trennung des Ideals für Mann und Frau. Man könnte aber fast für alle Arten menschlichen Wirkens feststellen, daß einer so allgemeinen Zielsetzung aus dem Schön- heitsbegrisf heraus, wie sie uns die Bildung der klassischen Zeit gegeben hat, für die Wirklichkeit zu wenig zu entnehmen ist: Die allgemeine Forderung nach geistiger, seelischer und körper licher Vollendung ist so lange unzureichend, als nicht gleichzeitig die besondere Forderung auf jene Eigenschaften und Fähigkeiten damit in Einklang gebracht wird, die eben in der Wirklichkeit lebensnotwendig sind. Die .Bildung' eines Arbeiters muß anders geartet sein als die eines Gelehrten, die eines Seelsorgers anders als die eines Soldaten, die einer Mutter anders als die eines Vaters, und wenn auch eine Menge körperlicher, geistiger und besonders sittlicher Eigenschaften ihnen allen gemeinsam sein muß, so kann man aus diesen Eigenschaften doch nicht allein ein Idealbild als Ziel formen, will man nicht wieder das gleiche schmerzhafte Erlebnis haben, an dem unsere Zeit so schwer trägt: Die Zerstörung des Ideals durch die Wirklichkeit.« Das sind Gedanken, wie sie gerade dem Buchhändler nahe liegen. Or. Oldenbourg belegt die Zwiespältigkeit und Zerrissen heit unserer Bildungswelt mit Erscheinungen und Beobachtun gen der verschiedensten Art, findet darin dann aber auch den Ansatz für die in die Zukunft weisenden Forderungen, deren Er füllung Not und Unzufriedenheit überwinden sollen. Ohne sich von dem Bisherigen völlig abzukehren, evolutionär also, nicht revolutionär, sucht er aufzubauen. »Wir müssen vom Persönlich keitsideal weiterschreiten zu dem der menschlichen Beziehungen und der Gesellschaft. Nicht mehr der einzelne Mensch unmittelbar darf mehr im Mittelpunkt stehen, sondern mittelbar über die Aufstellung höchster Ziele für die menschlichen Gemeinschaften müssen die Eigenschaften des Einzelmenschen entwickelt werden, die solcher Zielstrebigkeit dienen können. Die Aufgabe ist also: An Stelle des Persönlichkeitsideals müssen Ideale des mensch lichen Zusammenschlusses treten.«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder