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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.10.1915
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1915-10-19
- Erscheinungsdatum
- 19.10.1915
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- Deutsch
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.V 243, 19. Oktober 1915. Redaktioneller Teil. Keinem der liebsten Kameraden hatte ich mehr die Hand drücken können. Sie standen in der Arbeit und ahnten nichts von meinem Abschied. Die prächtigen Menschen, die mir da draußen den deutschen Charakter so herrlich gezeigt hatten, verlassen zu niüssen, das schmerzte — dennoch. Dazu rieselte jetzt der Regen. Unablässig rann er aus dem grauen Himmel in die Unendlichkeit des jungen Schlachtfeldes; er scheuerte die rauchgeschwärzten Ruinen und wusch die frischen Narben der Kriegserde. Unter ihm hervor krochen lange Reihen klappernder Kolonnenwagen. Die Soldaten hatten sich in Mäntel gemummt; eintöniges Hüh-hott mischte sich in das drängende Drehen von tausend Achsen. Der Wald klatschte. Wir kauerten auf dem kurzen Leiterwagen und fröstelten. Niemand sprach. Es war mir recht so. — Endlich langten wir in Radsowilischki an. Ich ging zum Stabe, der in einem langgestreckten hölzernen Villenbau unter gebracht war, und meldete mich. Meine Pässe lagen bereit; als Marschrichtung wurde mir Tilsit bedeutet. Man empfahl mir den Bataillonspostwagen bis Schaulen; der führe am andern Tage, frühmorgens. So hatte ich Zeit, mich in der Stadt umzusehen. Ein junger Freund, der liebenswürdige Stabskoch, begleitete mich. Der Himmel hatte sich aufgeklärt. Wir gingen zum Kirchhof. Die lebhafte Buntheit des russischen Grabschmucks beeinträchtigt das Friedensgesühl; wir fanden aber auch viele Gräber deutscher Familien, die die Inschriften in einfachen granitenen Sockeln trugen. Im Schattenwinkel der hohen Umfassungsmauern schlummerten russische Soldaten. Ein altes Mütterchen stand mit dem Rosenkranz dabei und weinte Tränen auf die sandigen Rothügel. Als wir aus der Pforte traten, kam ein trauriger Zug Ver wundeter an. Deutsche und Russen lagen auf dem Stroh ge dämpft fahrender Leiterwagen. Sie waren lange, lange Tage schon unterwegs; so weit war ja die Front. Nun wurden sie von Armierungssoldaten in die Wartehalle des Bahnhofs ge bettet. Die deutschen Kameraden fragten uns immer wieder: »Wann geht es weiter?« Wir mußten mit den Achseln zucken, denn wir wußten, daß Verbände unseres Bataillons noch an der Strecke arbeiteten. In der Nacht aber hörten wir das Wun der eines Lokomotivpfiffs, da rollte der erste Zug mit den Ver wundeten über die Schienen. Gott hatte sich erbarmt. In den ungepflasterten Straßen von Radsowilischki hatte einmal elektrisches Licht gebrannt; hohe Masten trugen noch die letzten Reste; das Werk war unbrauchbar gemacht worden. Nun leuchtete uns nur noch die späte Sonne. Sie warf das Abbild der Wolken gelbbrennend in die Wegpfützen. Der Abend stieg schnell aus den Häuserschatten; Rußlands frühe Nacht kroch aus den Wäldern. Der Markt lebte, in schwarzen Rechtecken stand Infanterie. Kein Blinken, kein Lachen. Es waren Junge aus der Heimat; blonde Menschen. Sie klirrten sachte mit den Waffen. Wir gingen an ihnen vorüber. Sie gaben uns Briefe, Karten. »Vom Himmel den Mut — vom Vaterland den Willen« schrieb einer. Dann ruckten Gewehre über tausend Schultern. Der Gleich schritt verhallte frontwärts .... In der ersten Frühsonne rumpelte der Batatllonspostwagen mit mir ab. Der Weg wurde schlechter, zerschossener. Armie rungssoldaten waren damit beschäftigt, ihn durch Balkenbelag und Beschotterung fahrbar zu halten und auszubessern. Sie sahen unfern Wagen täglich mit einer Pünktlichkeit vorüber fahren, nach der sie ihre Uhren stellen konnten. Sie kannten Heinrich, den Postgefreiten, mit Namen, den Kutscher und die Be deckung vom Ansehen. In mir vermuteten sie den Urlauber, den jedes Bataillon in bestimmten Zeitabständen zur Heimat schickt. So sah ich's ihnen an den Blicken an, und gelegentlich kamen sie auch und gaben mir Briefsachen mit »nach Deutschland«. Diesmal aber war ein Unteroffizier »der Urlauber«; er saß neben mir und wir plauderten — »plaudern« kann der Soldat nur, wenn er die Heimat Wiedersehen soll. Und das sollten wir ja l Aber wir fuhren durch das Gebiet der furchenden Schützen gräben um Schaulen, über das weite Erntefeld des Todes. Da konnten wir unserer Freude nicht froh werden, da mußten wir an die denken, die niemals, niemals mehr heimwärts kommen, und über sie sprachen wir. Schaulen lag vor uns. Es kroch über eine Hügelkette. »Kriegstrug«, sagte der Unteroffizier, «Schaulen ist nicht mehr.« Ich wollte es nicht glauben. »Warten, warten!« entschied er, »was Sie sehen, täuscht.« Unser Wagen rollte talwärts in die Stadt. Ärmliche Holzhütten standen am Pflasterweg; listige Judenhände hatten »Seuchengefahr« an die Türen geschrieben. <Ob diese Hände schon sibirische Ketten tragen?) »Das ist der Füßling der Stadt da oben«, erklärte der Unteroffizier, »diese unbewohnbaren Häuser sind geblieben. Alles andere .... Sie werden sehen .... Schande des Schicksals!« Es ging wieder bergan; wir ließen das jüdische Viertel hinter uns. . Da sah ich — daß Schaulen nicht mehr war. Trümmer, Brandmauern, Schornsteine war alles, was noch davon zeugte. Wir hielten am Rande und sprangen vom Wagen. Neben uns ragten die gerade noch erhaltenen Speicher einer riesigen Lederfabrik, deren wertvolle, bedeutende Vorräte den Deutschen in die Hände gefallen waren. Aus dem Hauptportal wehte die Rotekreuzflagge eines Lazaretts für russische Gefangene. Ein Sanitätsgefreiter verriet uns, daß in wenigen Minuten vom Pionierpark da und da ein Kolonnenauto zur deutschen Grenze führe. Dieses »da und da« liegt am entgegengesetzten Ende von Schaulen, und das Auto sei die unbedingt letzte Verbindung der nächsten Tage; wir mutzten also eilen — Im Laufschritt rannten wir beide los, am Sparrenskelett der Kirche vorbei, durch Trümmer, Trümmer, Trümmer. Wir mutzten das Auto noch erreichen: der Weg bis Tilsit war noch rund hundert Kilometer. Soldaten wiesen uns den nächsten Weg. Wir durchliefen den Bahnhof, kletterten über Schienen stränge, quetschten uns durch angefahrene Güterwagen . . . . und kamen zum Pionierpark, als das Auto donnernd anfuhr. Wir winkten: »Sie fahren nach Tilsit —!« — »Nein!!« — »Doch, Sie fahren nach Tilsit, wir wissen es!« — »Von wem?« — »Von dem und dem!« — »Dann wird's stimmen«. Der Wagen bremste; der ganz schwarz gefettete Führer lachte mit seinen Weißen Zähnen. »Stei gen Sie schnell hinten auf, aber sagen Sie niemandem, wo es hingeht; Hunderte warten auf mich . . . aber es geht nicht, der Wagen ist schon überlastet I Ja, ja: der Krieg und der Urlaub ... hier von Rußland aus! (Er schnalzte mit den Fingern.) Ver teufelte Sache das!« Froh kletterten wir unter die Plane. Zwischen den Kisten konnten wir gerade noch den nötigsten Platz finden, nur mußten wir uns mit beiden Händen festhalten und die Beine gegen das Hinterbrett stemmen. Acht Stunden würden wir fahren, das hörten wir noch; dann nahm uns das Getöse jegliches Gespräch. Dicker Staub umhüllte uns, wir wurden grau wie Feldmäuse; im Gesicht ver stopften sich die Poren, und die Lunge hustete. Bald saßen wir, bald standen wir; wie es aber war: in den Löchern und Rinnen der zerfahrenen Chaussee hüpfte das Auto, hüpften die Kisten und hüpften wir, daß es zum Gotterbarmen war. Doch es ging ja nach Deutschland! nach Deutschland!! In Kjelmie suchten wir unsere Glieder zusammen. Wir hielten. Wir setzten langsam ein Bein vor das andere und schlichen um das Wagenungetüm. Wieder lachte der Führer mit seinen Weißen Zähnen: »Schaut schon schwarz genug aus, ihr Achsenreiter I« Wahrhaftig, unser Platz war gerade über der federlosen Hin terachse. Aber was halfst Besser schlecht gefahren, als gut gelaufen — mußte man hier sagen. Wir sahen uns etwas um. Kjelmie hatte Markttag. Bei- derseits des Weges standen die Verkaufsstände; ein Infanterie- 1403
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