Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.01.1916
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- 1916-01-07
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- 07.01.1916
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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Redaktioneller Teil. ich möchte in meinem Gesuch, das ich an den Gendarmerie-General nm Rückgabe der beschlagnahmten Briefe usw. richten solle, beson ders darauf Hinweisen. Damit wurde ich wieder entlassen. Am Dienstag, den 8. September wurde mir mitgeteilt, ich möge meine Sachen abholen. Als ich sie erhalten hatte, at mete ich auf, denn ich hielt die ganze Angelegenheit nunmehr für erledigt, auch Rechtsanwälte und andere Juristen waren derselben Ansicht. Auch heute noch bin ich der festen Überzeugung, daß ein or dentliches Gericht mich damals bestimmt nicht verurteilt hätte. Die Gendarmerie ist aber eine Einrichtung, die sich um juristische Begriffe nicht zu kümmern braucht, daher ist sie in Rußland so überaus gefürchtet und verhaßt. Sie steht sogar über den Gou- berneuren, die nur ihre Anordnungen auszuführen haben. In meinem Falle war, wie ich später erfuhr, vom Ministerium in Petersburg der Befehl ergangen, mit aller Schärfe gegen mich vorzugehen. Zwei Tage darauf wurde ich vormittags um ll Uhr im Ge schäft verhaftet. Gern hätte ich noch einige geschäftliche Anord nungen getroffen, die Erlaubnis dazu wurde mir verweigert. Auf der Fahrt zur Revierpolizei teilte mir der Beamte mit, daß ich zur Verschickung nach Tobolsk verurteilt sei. Man stelle sich mein Entsetzen vor. Auf der Polizei war man so menschlich, mir zu gestatten, meine Familie telephonisch herbeizurufen, damit ich mich doch von meinen Lieben verabschieden konnte. Meine Frau und Töch ter waren, Gott sei Dank, tapfer und gefaßt und wollten alles tun, um mir die Etappe zu ersparen und die Reise auf eigene Kosten zu ermöglichen. Sie durften mich sogar ins Polizeige fängnis begleiten, das in der Vorstadt jenseits der Düna gelegen ist. Auf dem Wege dorthin mußten wir die innere Stadt pas sieren; geschlossene Droschken gibt es in Riga nicht, wir waren also allen neugierigen Blicken preisgegeben. Im Gefängnis wurden mir zuerst alle Wertsachen, Brief tasche, Portemonnaie, Uhr, selbst der Trauring abgenommen, aber meiner Frau übergeben. Der Inspektor des Gefängnisses erschien, und, o Schicksal!, es war ein früherer Diener aus meinem Geschäft, der Polizist ge worden war und eine für seine Verhältnisse glänzende Karriere gemacht hatte. Er benahm sich sehr anständig, stellte mir seine beste Zelle und einen neuen Strohsack zur Verfügung und erlaubte meiner Familie, mich täglich zu besuchen und mir das Essen zu bringen, auch mich mit Betten zu versehen. Die Bemühungen meiner Angehörigen, mein Schicksal zu bessern, waren erfolglos. Der amerikanische Konsul gab sich red liche Mühe, der General-Superintendent von Livland und mein Pastor verbürgten sich in einer Eingabe an den Gouverneur für meine rechtzeitige Ankunft in Tobolsk, wenn mir gestattet würde, auf eigene Kosten zu reisen. Alles vergebens! Die Grausamkeit der Gendarmerie tritt besonders hervor, wenn man sich vorstellt, daß ich ein kranker Mann bin, dem ein schweres, schmerzendes Hllftleiden nur gestattet, sich mühsam an zwei Stöcken fortzubewegen, und der von Rheumatismus und Ischias gequält wird. Das wußte die Gendarmerie, denn ich war ja wiederholt bei ihr in diesem Zustand erschienen. Die Spitzen der Gendarmerie erklärten meiner Frau, daß es ihnen ganz egal sei, wie ich nach Tobolsk käme, darüber habe der Gouverneur zu entscheiden; dieser dagegen sagte, er könne dabei nichts tun, die Gendarmerie habe cs so bestimmt; eine Erleichte rung im angestrebten Sinne könne höchstens vom Minister in Petersburg selbst angeordnet werden. Das war am Sonnabend, den 18. September. Eine Stunde darauf erfuhr meine Frau vom amerikanischen Konsul, daß ich schon am nächsten Tage frühzeitig mit der Etappe verschickt wer den würde. Der Gefängnisarzt hatte sein Gutachten dahin abgegeben, daß ich eine Beförderung durch Etappe nicht ertragen würde, und vorgeschlagen, mich ins Lazarett des Zentral-Gefängnisses zu bringen. Auch das wurde verweigert und ich am 17. Sep tember ins Gouvernements-Gefängnis übergefllhrt. Jetzt gab es keine eigene Verpflegung, keine Besuche der Alleinigen mehr. Nach abermaliger Leibesuntersuchnng kam ich in eine enge 14 ^ 4, 7. Januar 1918. Zelle, die schon drei Mann beherbergte, in der ich als vierter den Raum unbillig beengte. Am Abend wurden vier schmale, schmutzige Strohsäckc hereingebracht, auf denen wir, wie die Heringe ancinandergepreßt, die Nacht zubringen mußten. Dort lernte ich meinen Leidensgenossen und späteren Reise gefährten, Herrn von S., einen kurländischen Edelmann, kennen, der sich meiner von der ersten Stunde an in aufopferndster Weise annahm. Den Bemühungen des Gefängnisarztes hatte ich es zu dan ken, daß ich am nächsten Tage, Freitag, in das sogenannte Kran kenzimmer übergeführt wurde, dort sollte ich vom Sonnabend ab Krankenkost, d. h. Weißbrot und Milch, erhalten, doch dazu kam es nicht mehr. Als am Sonnabend früh das Brot ausgeteilt wurde, erhielt ich wieder meine Portion Grobbrot und Tcewasser, aber keine Milch. Auf meine Beschwerde erwiderte der Wärter, das habe ja keinen Zweck mehr, weil ich doch morgen mit der Etappe fort geschickt würde. Am Abend besuchte mich der Gefängnispastor, schenkte mir ein Neues Testament für die Reise und bedauerte, daß es ihm nicht gelungen sei, für mich die Erlaubnis zur Mitnahme von etwas Geld zu erwirken. Er versprach mir, sofort zu meiner Frau zu fahren und ihr zu sagen, daß sie mir das Nötigste zur Reise ins Gefängnis bringen möge, als Strümpfe, Wäsche, Tee, Zucker, Butter, eine Dauerwurst und das Wichtigste, Teekessel und Trinkbecher nicht zu vergessen. Wenige Tage daruf wurde auch dieser Pastor ins Innere des Reiches verbannt, allerdings durfte er auf eigene Kosten fahren. Diese letzten drei Tage in Riga verbrachte ich wie im Traum. Das gräßliche Erleben wirkte betäubend auf mich; daher beachtete ich es nicht, daß mich meine Genossen im Krankenzimmer, ab gefeimte Verbrecher, gründlich bestahlen. Zahnbürsten, Seife, Hausschuhe usw. verschwanden mir unter den Händen — mir war alles ganz gleichgültig. Am Sonntag, den 20. September, wurde ich um V-5 Uhr früh geweckt, meine Sachen wurden zusammcngepackt und auf den Gefängnishof gebracht; ich mußte auch dorthin. Auf dem Hofe waren etwa 50 Gefangene versammelt, die unter Aufficht eines Offiziers von etwa 30 Konvoi-Soldaten einer gründlichen Leibesuntersuchung unterzogen wurden; die Stiefel zog man ihnen aus, befühlte und quetschte die Kleider nach allen Richtungen, um etwa eingenähtes Geld zu finden. Ein junger Mensch, dem Anscheine nach ein Schwachsinniger, wurde sogar ganz nackt aus- gezogen und unter Prügeln und Geschrei auf dem Hofe herum gejagt, zur großen Freude der Soldaten. Mich ließ man ganz in Ruhe, und weder meine Sachen noch ich selbst wurden unter sucht. Nach acht Uhr wurden den Schwerverbrechern die Fesseln angelegt, die übrigen Gefangenen aber zu zweien mit den Hän den aneinandergekettet; nur wenige blieben davon verschont. Meine Frau hatte mir in der Tat die vom Pastor bezeich- neten Sachen und Lebensmittel früh um V-8 Uhr ins Gefängnis gebracht; man wollte sie zwar zurückweifen, da es schon zu spät wäre, aber ihrem energischen Auftreten hatte ich es zu danken, daß ich doch alles bekam. Aus der Straße, vor der Gefängnistür, ordnete sich der Zug: voran die kettenklirrenden Verbrecher, dann die administrativ Verschickten. Für das Gepäck der Gefangenen stand ein federloser Lastwagen bereit, der auch bestimmt war, mich zu befördern. Meine Frau war da, sie hatte eine Droschke für mich besorgt und bat, daß man mir doch die Fahrt in der Droschke gestatten möge — vergebens. Ich wurde auf den Lastwagen gehoben, und halb liegend, halb sitzend, zwischen und auf den Gepäckstücken, mutzte ich unter gräßlichen Schmerzen am Sonntag früh um 9 Uhr durch die zum Glück nur wenig belebte Stadt zum Bahnhof fahren. Hundertmal waren mir früher ähnliche Züge begegnet, mit scheuer Neugier und schauderndem Mitleid hatte ich sie an mir vorüberziehen lassen — jetzt war ich selber einer dieser »Unglück lichen«, wie sie der Russe so bezeichnend nennt. Auf dem Bahnsteig sah ich meine Familie. Frau W. und einige gute Freunde hatten es sich trotz der augenscheinlichen Ge-
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