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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.01.1916
- Strukturtyp
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- 1916-01-11
- Erscheinungsdatum
- 11.01.1916
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- Deutsch
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^ 7, II. Januar 1916. Redaktioneller Teil. dings die russische» Telegramme voll Jubel darüber, daß die Deutschen zurückgeworfcn seien, aber die alte Mutter hatte doch Bedenken und sagte, man könne ja nicht wissen, ob das Wahrheit sei, was in den Telegrammen stehe. Die letzte Strecke der Fahrt war besonders unangenehm! es hatte aufgehört zu schneien, aber der Nordwind blies eisiger und heftiger als zuvor uus gerade ins Gesicht. Angesichts der Lichter von Tobolsk dauerte es Wohl noch eine Stunde, ehe der Kutscher eine» sicheren Weg über den Fluß gefunden hatte. Der war zwar zugefroren, es gab aber viel Aufwasser, und die Passage war an- scheinend noch nicht ganz gefahrlos. Vollständig durchfroren ka men wir bei der Polizeiverwaltung in Tobolsk an. Von höheren Beamten war keiner anwesend, ich mußte also warten. Ein Schutzmann erbot sich, meine Frau zu benachrichtigen. Der war noch nicht lange fort, da kam der Polizeimeister selbst, ließ sich er zählen, wer ich sei, und kam dann zu mir und sagte, ich könne gleich nach Hause fahren. Nun mußte ich aber auf meine Frau warten, sonst hätten wir uns ja verfehlt. Es dauerte auch gar nicht lange, so kam sie mit meiner Tochter an. Schon von der Tür aus rief sie mir zu: Anny (meine älteste Tochter) ist in Deutsch land in Sicherheit! Da wollten mir die Tränen vor Glllcksge- flihl aus den Augen stürzen, nur mit Mühe konnte ich sie zurück halten und den Meinigen zurufen: »Kommt mir nicht zu nahe, ich bin voller Ungeziefer!« Das hat aber nichts geholfen, denn ehe ich sie hindern konnte, hatten sie mich umarmt und geküßt. Mein Landpolizist holte zwei Schlitten, packte in den einen meine Frau und Tochter, in den anderen meine Sachen und mich, und nach einem herzlichen Händedruck schied ich von ihm, voll Dankes, denn er hatte seine» Auftrag wirklich mit großer Freundlichkeit aus- gcführt. Tobolsk ist nicht groß, aber doch ansehnlich genug (ca. 20 000 Einwohner); cs liegt ziemlich flach an der Mündung des Tobol in den Jrtysch, der es in einem Bogen von Osten nach Westen umströmt. Im Norden wird es durch steil ansteigende Hügel, die ehemalige Festung, überragt, auf denen außer zahlreichen sehr umfangreichen Gefängnissen sich die Kaserne und die Kathe drale befinden. Tobolsk soll die gefängnisreichste Stadt Ruß lands sein, und das will immerhin etwas bedeuten. Seit unge fähr 150 Jahren ist es der Hauptverbannungsort für politische Verbrecher, an denen Rußland so überaus reich ist. Die Dcka- bristen waren hierher verbannt, auch so mancher in Ungnade ge fallene Minister oder sonstige Günstling zarischer Selbstherr lichkeit mußte hier den Wechsel alles Irdischen erfahren. Die Einwohner von Tobolsk sind zum nicht geringen Teile Nachkom men von Verschickten, und es läßt sich vielleicht ihre größere In telligenz und die fortgeschrittene Kultur, im Gegensatz zu andern Mittelstädten Rußlands, aus diesem Umstande herleiten. Die untere Stadt, in der die Gouvernements-Verwaltung und fast alle Behörden und Geschäftshäuser gelegen sind, hat über 20 orthodoxe Kirchen, die mit ihren glänzenden Zwiebcl- kuppeln das richtige Bild einer echtrussischen Stadt bieten und vom Berge aus gesehen einen hübschen Anblick gewähren. Auch eine evangelische Kirche ist da, ein unscheinbarer kleiner Holzbau mit niedlichem Türmchen. Der Pastor, ein noch junger Mann, hat das ganze Gouvernement (größer als das Deutsche Reich) zu bedienen, das nur ganz wenige Eisenbahnen im Süden ans- weist; er ist deshalb fast das ganze Jahr unterwegs. Seine Frau begleitet ihn auf seinen Fahrten, die besonders im Herbst sehr be schwerlich sind. Die Gemeinde in Tobolsk hat kaum ein Dutzend Glieder, Deutsche, Letten und Esten, aber jetzt, während des Krieges, waren durch die hierher verschickten Reichsdeutschen die Räume des Kirchleins oft zu eng, um an den Sonntagen, wenn Gottesdienst stattfand, die nach Trost und Erbauung Lech zenden zu fassen. Meine Frau hatte in der oberen Stadt ein Häuschen gemietet, in einer Straße, die den ominösen Namen »Ostroshnaja«, zu deutsch »Gefängnisstraße«, führte. Wir kamen an, und es em pfing mich eine angenehm durchwärmte Wohnung und ein freund lich gedeckter Tisch. Für mich war aber das Wichtigste die Reinigung. Meine Wäsche und Unterkleidung wandelten sofort ins Ofenfcuer. Nach gründlicher Waschung des ganzen Körpers — eine Wanne gab cs leider nicht —, mit reiner Wäsche bekleidet, konnte ich mich, zum erstenmal nach zehn Wochen, in einem wei- ^ chen, sauberen Bett, treu behütet von den Meinigen, wohlig aus- strcckcn. Am nächsten Morgen dauerte es längere Zeit, ehe mir klar wurde, daß ich ja nicht mehr im Gefängnis sei. Das Wohl gefühl ivar herrlich. Jetzt erst erfuhr ich, an welchem Abgrund meine älteste Tochter glücklich vorbeigekommen war. Wie ich schon geahnt hatte, war ihr Verkehr mit dem Konvoi-Soldaten in Dünaburg von einem Schaffner bemerkt worden, und dieser hatte beschlossen, sie bei der Ankunft in Smolensk verhaften zu lassen. Seine Ab sicht hatte er einem Kollegen mitgeteilt. Dieser, ein Pole, kam verstohlen zu meiner Tochter und sagte ihr: »Fräulein, mein Kol lege, der Russe ist, hat bemerkt, daß Sie mit einem Gefangenen Briefe wechselten, und er will Sie in Smolensk verhaften lassen; er ist wütend auf die Deutschen und hat erklärt, er würde Sie eher totschlagen, als daß er zugäbe, daß Sie in Smolensk unge hindert den Bahnhof verlassen. Ich selbst bin Pole und habe eine Tochter in Ihrem Alter. Sie tun mir leid, und ich möchte Sie retten, wenn es irgend möglich ist. Mein Rat ist der, Sie steigen auf einer Station vor Smolensk aus; damit er Sie nicht bemerkt, verlassen Sic den Wagen auf der von der Station ab gewendeten Seite, ich werde ihn bis zur Abfahrt des Zuges beschäftigen.« Meine Tochter bekam natürlich einen furchtbare» Schreck, faßte sich aber bald und versprach dem menschenfreund lichen Schaffner, seinen Anweisungen gemäß zu handeln. Der Plan glückte auch, und sie gelangte unbemerkt aus dem Zuge. Anstatt nun gleich den nächsten Zug zur Rückfahrt zu benutzen, ging sie mit dem Diener in das bei der Station gelegene Dorf, kleidete sich etwas anders, um nicht gleich kenntlich zu sein, mietete ein Bauernwägelchen und fuhr nach Smolensk. Es war inzwischen Abend geworden, und sie war gezwungen, in ein Gasthaus zu gehen. In der Nacht fand die in Kricgszciten üb liche Revision der Gasthäuser statt, und der Diener stand Todes angst aus, als die Pässe geprüft wurden, während meine Tochter ruhig schlief. Die Polizei fand die Pässe in Ordnung und ent sernte sich. Am nächsten Morgen versuchte meine Tochter, mich im Gefängnis auszusuchen. Zuerst wurde sie an der Pforte ganz glatt abgewiesen, sie ließ aber nicht nach mit Bitten, und endlich schien der Pförtner erweicht und ging, um sich nach mir zu er kundigen. Bald kam er wieder und sagte meiner Tochter, ich sei krank ins Lazarett gebracht worden, sie könne mir doch nicht Hel sen und solle lieber sofort nach Hause fahren. Hier konnte sie mir in der Tat von gar keinem Nutzen sein; in der Stadt wimmelte es von Militär, Zivilpersonen sah sie fast gar nicht, es wurde ihr unheimlich, und sie entschloß sich schweren Herzens, mit dem Diener nach Riga zurückzukehren. Als sie in Riga ankam, war es meiner Frau sofort klar, daß sie dort nicht bleiben könne, aber wohin? Glücklicherweise hatte ich schon vor meiner Verhaf tung für beide Töchter Pässe zur Reise ins Ausland besorgt, denn ich wollte sie vor den Gefahren eines etwaigen Deutschen- Pogroms bewahren. Zufällig fuhr ein Freund unserer Familie in Geschäften nach Petersburg, der sich erbot, sie bis dorthin unter seinen Schutz zu nehmen. Gern wurde sein Anerbieten ange nommen; er brachte sie in Petersburg noch auf den Finnischen Bahnhof, und sie gelangte glücklich über Raums nach Stockholm. Von dort aus telegraphierte sie an meine Frau, und nun erst war diese, die sich schrecklich beunruhigt hatte, von ihrer Angst erlöst. Jetzt aber trat ihr die Sorge um mich wieder näher, da erbot sich ein junger Mann aus dem Geschäft, nach Smolensk zu fahren und über mich Erkundigungen einzuziehen. Das schien freilich auch für ihn nicht ohne Gefahr, trotzdem trat er guten Mutes seine Reise an. Im Gefängnis zu Smolensk war man gegen ihn ehrlicher, als gegen meine Tochter; er bekam Zutritt ins Kontor, es wurde ini Register nachgeschlagen und ihm mit geteilt, daß ich nicht iin Lazarett gewesen, Wohl aber bereits am 23. September nach Tobolsk weiterbefördert worden sei. Sein Zweck war erreicht; in Smolensk selbst wurde cs auch ihm unheimlich, jeder seiner Schritte wurde beobachtet, er fuhr deshalb sofort nach Riga zurück. Nun entschloß sich meine Frau, in Begleitung meiner jüngsten Tochter nach Tobolsk abzureisen, um mir, wenn irgend möglich, zuvorzukommcn und dort in meinem Interesse zu wirken. 27
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