Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.01.1916
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1916-01-25
- Erscheinungsdatum
- 25.01.1916
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19160125
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-191601257
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19160125
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1916
- Monat1916-01
- Tag1916-01-25
- Monat1916-01
- Jahr1916
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. ^ 19, 25. Januar 1916. 26. ging es aber in der altgewohnten Weise wieder los. Von der in den Weihnachtsgaben der Zeitungen und Zeitschriften so schön und rührend geschilderten Weihnachtsstimmung im Schützengraben habe ich gar nichts gemerkt: vielleicht war sie im Nebenabschnitt oder sonstwo zu finden. Für uns sollte erst nach der Rückkehr aus dem Graben, also am 29., Weihnachten sein. Wohlgemut ging's ins Quartier. Die Baracken waren weihnachtlich geschmückt, die Tische mit Liebesgaben aus der Heimat belegt. Aber . . . Der Feldwebel stand schon bereit und ließ, noch che wir richtig Zeit gesunden hatten, uns des »Affen« und der verlausten Kittel zu entledigen, sein »Stille Nacht« ertönen. Für mich lagen allerhand Pakete da; so je eins von der »Hilfe«, eins von der »Dichter-Gedächtnis-Stiftung« für die Kompagnie-Bücherei; dann hatte eine Mädchenschule ein großes Paket zum Verteilen an meine Korporalschast gesandt. Ich packte im Schweiße meines Angesichts aus, und als ich endlich soweit war und mich mit meiner Gitarre zu meiner Korporalschaft begeben konnte, um mit ihr noch einmal recht sinnig -»Stille Nacht« zu singen, da hatte der von der Kompagnie verabreichte Weingrog schon mächtig gewirkt. Das »Stille Nacht«, das erklang, war die reinste Ironie auf die Stille Nacht; mir dröhnten die Ohren, und der Klang der Saiten ging völlig im »Gesang« unter. Erst am späten Abend fand ich mich mit einigen Kameraden noch gemütlich zu sammen. Vielleicht hätte sich das Fest günstiger gestaltet, wenn wir an den Weihnachtstagen selbst in Ruhe gelegen hätten; die vorige Weih nachtsfeier war jedenfalls besser geraten. Die Heimat hatte es ja an nichts fehlen lassen; wir waren alle erstaunt und gerührt über die Menge der Gaben, die auf den Tischen lagen. Ich konnte auch hie und da merken, daß die Sehn sucht nach Weib und Kind angesichts des Christbaumes und der Gaben tische recht mächtig wurde. Inzwischen sind wir wieder einmal im Graben gewesen, und ich habe heute die Bücherei wieder ordentlich in Schwung gebracht. Da konnte ich feststellen, daß ziemlich viel Bücher zu Weihnachten ver schenkt worden waren. Unsere Bücherei hat bereits einen Umfang von 490 Büchern aus allen Gebieten erreicht und wächst sich allmählich zu einer Musterbücherei aus. Mit Ausnahme von einigen älteren vergessenen Autoren sind nur gute Namen vertreten. Die ständige Leserzahl umfaßt etwa 80 Kameraden meiner Kompagnie; ich hoffe, sie noch bedeutend zu erhöhen, wenn erst etwas mehr volkstümlich ge schriebene wissenschaftliche Werke vorhanden sind. Bei verschiedenen Kameraden bin ich immer noch der »Jndianerbäukerverkäuper«. Der eine sagte mir z. B.: »Go mi af mit dat Schiet von Romane, dat Leben is Roman noug, wenn du en Baut äwer Elektrizität Heft, dat will ek gern lesen, da kann eck wat ut lieren«. (Ein harter Ausspruch für Romanvcrlegcr.) Die Kompagnie unterstützt meine Bestrebungen insofern, als sie mir in einer Baracke einen kleinen Raum überließ. Es leckt zwar etwas sehr durch; für das Bücherregal habe ich aber doch eine trockene Stelle gefunden. Die gehefteten Bücher habe ich selbst kartoniert, d. h., ich habe sie mit Karton eingefaßt und so das Zerfallen hinausgeschoben; die kleinen Bändchen sind dadurch auch etwas ansehnlicher geworden. Arbeit gibt es ja in Hülle und Fülle; von den Ruhetagen habe ich nicht viel, da ich als Korporal jeden Dienst mitmachen muß. Der Zettelkatalog ist mir zugleich das Ausleihbuch. Nun will ich noch ein richtiges Bücherverzeichnis machen und es unserem Bataillons- arzt, der sich sehr für meine Bücherei interessiert, vorlegen; vielleicht erfährt sie dann noch Förderung und Erweiterung von oben her. Ausdrücklich fcststellen möchte ich nochmals, daß die liebe Heimat das Möglichste getan hat, uns eine schöne Weihnacht zu bereiten. Wenn das — wenigstens bei mir — nichts Rechtes wurde, so lag es an der Ungunst der Umstände, die uns an den Festtagen selbst in den Graben schickte. Bei uns ist hier Lichterglanz und Liederklang im Schützen graben nicht möglich; ob das anderwärts zu machen ist und gemacht wurde, oder ob die rührenden Bilder und Schilderungen lediglich auf nicht durch die rauhe Wirklichkeit getrübten Phantasien beruhen, kann ich allerdings nicht beurteilen. Ein Umstand verdient jedoch her vorgehoben zu werden: das flandrische Klima. Die Wiesen, die auch im Winter ihr saftiges Grün behalten, brachten schon kurz vor Weih nachten Gänseblümchen hervor, und heute, nachdem ein mächtiger Nordsturm, der uns durch die zahlreichen Ritzen der Barackenwände fast aus dem Bett wehte (ein bißchen übertrieben ist das, ich gestehe es ein), die großen Wassermengen wieder vertrieben hat, scheint eine milde Sonne auf schöne saftige, dunkelgrüne, von zahlreichen Früh lingsblumen gesprenkelte Wiesen. Schwärme von Zugvögeln durcheilen die Lüfte; die Hecken haben teilweise schon große Blätter, und gestern abend sah ich sogar die Mücken spielen. Hätten wir einen reellen Winter, so wie wir Deutsche ihn gewöhnt sind, dann hätte sich sicher die Weihnachtsstimmung auch bei uns, trotz der Verschiebung der Festtage, in höherem Maße eingestellt. Untcroffiz. d. Res. Lanzen berge r. IX. Daheim und im Lazarett. Ein gütiges Geschick hatte mich im Felde bewahrt, die Wunde war seit Oktober geheilt, und der Stabsarzt gab mir vor Weihnachten täglich Urlaub, sodaß ich am Mittag bereits in der nur wenige Kilo meter vom Lazarett liegenden Heimat war. In der Frühe Heißluftbehand- lung und Massage des kranken Beines, und gleich nach dem Mittagessen humpelte ich schon als Feldgrauer hinter dem Ladentische und stellte anfangs Dezember Betrachtungen an, wie wohl das Geschäft werden würde. Ende November und Anfang Dezember war es infolge der vielen Büchersendungen ins Feld sehr gut. Ich hatte durch Briefe an alle in Frage kommenden Kunden auf den Wert des guten Buches hingewiescn, einen Aufsatz in unserem Lokalblättchen geschrieben, und der Erfolg war über Erwarten zufriedenstellend. Telegraphisch mußte nachbestellt werden, und es war eine Freude zu verkaufen. Auf Grund eigener Erfahrungen konnte ich manches Buch empfehlen. Ich verkaufte gute Kriegsbttcher und gute ältere Bücher: Hedin und Storm, Küchler und Keller. Die kleinen Neclamschcn Novellenbände waren oft aus- vcrkauft. Und als das Geschäft abflaute, begann ich die billigen Weih nachtsheftchen von Saathoff usw. zu verkaufen, empfahl gute Kalender, wie den Gesundbrunnen und den von Fendrich, für die letzten Feldpost päckchen, und so wurden einige Tausend Kalender ins Feld gesandt, und wieder war der Erfolg größer, als ich glaubte. Was blieb da noch fürs Weihnachtsgeschäft, da mehr als die Hälfte der Kunden draußen war und man sich sagen mußte: Wenn auch noch soviel Geld verdient wird, so gibt es doch viel mehr Familien, die sparen müssen? Das bis Mitte des Monats ungünstige Wetter kam dazu, daß es im Laden manchmal leer war, aber auf einmal setzte das schönste Weihnachtsgeschäft ein, der Kassenzettel wurde er freulich lang, und am Ende war alles viel, viel besser, als ich gehofft hatte. Wohl waren wenig Romane gekauft worden und manche Fächer noch reichlich voll, aber die Jugendschriftcn waren fort, und ein paar große Werke waren auch bestellt worden. Wir konnten dankbar und zufrieden sein. Und war es auch nicht so viel, wie es hätte sein können, so durften doch die Verhältnisse, die dieses Weihnachtsgeschäft be gleiteten, nicht übersehen werden. Im Lazarett waren alle bestrebt, den Verwundeten und Kranken das Fest zu verschönen. Wir hatten ein paar vaterländische Abende veranstaltet, die uns reichlich Mittel brachten, viel liebe Gaben waren gekommen, und der Gabentisch war für jeden Insassen des Lazaretts reichlich gedeckt. Gleichwohl wurde aus dem geplanten Abende nichts. Zwei Kameraden hatten ausgelitten. Sie sollten den Heiligen Abend nicht überleben. Der Tod hatte sich zwischen uns gedrängt, und sein Schatten wollte nicht weichen. Die Festfreude wollte in mir nicht auf- kommen. Ich sah wohl die Lichter des Weihnachtsbaumes, aber das »Friede auf Erden« fand im Herzen keinen Widerhall. Den Schwer verwundeten konnte der Wunsch, die Festtage mit den Angehörigen zu verbringen, leider nicht erfüllt werden; sie sahen von ihrem Bette aus den Baum, lasen die Briefe, die ihnen Grüße brachten, und freuten sich der Gaben des Festes. Wir Leichtverwundeten waren über die Festtage frei, und ich kam zum ersten Male nach der Verwundung aus der Heimatstadt hinaus auf das Land, um Bekannte zu besuchen, wo ich Gelegenheit hatte zu sehen, wie wenig Erfolg dem Aushungerungsplan Englands beschieden ist und wie auch das Backverbot das Fest nicht verderben konnte. In mir war oft der Gedanke, wie wenig wir im Lande doch den Krieg spüren. Wohl müssen wir anders leben, müssen uns hier und da etwas versagen, aber von Not wissen wir nichts. Was heißen fett lose Tage gegenüber dem Leben im Felde, wo der Regen zu Weih nachten den Soldaten gewiß arg zu schaffen machte! »Krieg und Christentum« — wie schwer lasten die Gedanken darüber gerade zum Feste auf dem denkenden Menschen! Mit tiefer Dankbarkeit, fast mit dem Vorwurf eigener Drückebergerei dachte ich der Kameraden, die draußen nun den zweiten Winter erlebten und immer noch ausharren müssen im Stellungskriege, im Feuer des Feindes, im Kampfe, in Regen, Sturm und Kälte — und wir? — Wie gut haben wir es, wie wenig tun wir, die Mühen und Sorgen der Kameraden draußen zu lindern! Im Lazarett müssen wir warten und warten, bis wir wieder hinaus können oder bis wir als D. U. ent lassen werden. Auf dem Ehrenfriedhofe der Heimat sind schon ein Dutzend Grä ber, und in einem liegt der Bruder, der blutjunge Kriegsfreiwillige, schon über ein Jahr. Halb hat Efeu sein Grab bedeckt. Wir brachten ihm seinen Weihnachtsbanm und haben ihn mit dem schwarzweißen und blauweißen Bande geziert. Ein Kranz liegt auf jedem Grabe, und in den Stolz über die Helden, die da in der Heimat schlummern, in das besänftigende Gefühl, daß die Kämpfer es drunten in der Erde gut haben, mischt sich der bittere Schmerz um das Weh der Eltern, um die vielen unerfüllten Hoffnungen. — Wieder kam der Gedanke 82
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder