Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.02.1885
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- 1885-02-27
- Erscheinungsdatum
- 27.02.1885
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48, 27. Februar. vermischte Anzeigen. 967 Die deutschen Familienblätter. 110615j Meerkatzen: Wir kocken breite Bettclsuppen. Mephistopheles: Da habt Ihr ein groß' Publikum. Goethes „Faust", I. Teil. Seit etwa zehn Jahren ist sowohl in den Reihen des Publikums als der Kritik eine kräf tige Reaktion gegen die sogenannten Familien- blätter eingetreten. Ich sage absichtlich gegen die sogenannten; denn es fällt niemandem ein, zu behaupten, daß es keine Journale sür die Familie geben soll. Im Gegenteil, eben weil wir die Familienblätter für gut und nützlich halten, machen wir gegen jene unter ihnen, welche nur die Karikatur eines Familien- journals darstellen, Opposition. Nach unserem Dasürhalten haben die Familienblätter eine große Aufgabe zu erfüllen; sie wirken vorzüg lich aus die mittleren und unteren Schichten des Volkes, und hier wieder vor allem auf die Frauen, welche ihrerseits den ersten und viel leicht maßgebendsten Einfluß auf das neue, Heranwachsende Geschlecht üben. Dieser großen, nationalen Mission können die Familienblätter nur dann gerecht werden, wenn sie einerseits auf die Erhaltung der Ideale und der Moral im Volke hinwirkcn, andererseits in Text und Bild nur litterarisch und künstlerisch Gutes und Bedeutendes bringen; denn das Beste ist sür unser Volk, unsere Frauen, unsere Jugend eben gut genug. Leider huldigt die überwiegende Mehrzahl der Familienblätter zu sehr dem jesuitischen Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel. Der gute Zweck, den sie alle haben, soll dazu dienen, die schlechten und verwerflichen Mittel, welche sie auwendeu, zu beschönigen und zu rechtfer tigen. Wie aber, wen» durch solche Mittel der Zweck nicht erreicht, wenn vielmehr eine ganz andere, schädliche Wirkung geübt wird? Daß dies bei der Mehrzahl unserer Fami lienblätter der Fall, braucht nicht erst bewiesen zu werden; das weiß heute jedermann und deshalb der Kampf gegen diese Journale. Die Familienblätler wollen vor allem eine gute, veredelnd wirkende Litteratur verbreiten. Hier stoßen wir auf das erste Mißverständnis. Im Bemühen, nur solche Produkte zu bringen, welche das moralische Gefühl nicht verletzen, sind sie infolge einer unseligen Feigheit Schritt für Schritt dahin gekommen, alles auszuschließen, was den Anstand, die Etikette, die Vorurteile, ja die Philifterhaftigkeit und die Heuchelei nur im mindesten tangiert. So sind in denselben die Begriffe moralisch und zahm identisch geworden, und da der wirkliche Poet, der wirk liche Schriststeller seine Kraft nicht zu verbergen vermag, ist endlich jede litterarische Kraft in Acht und Bann gethan worden. Die Zeit, wo unsere ersten Autoren für die Familienblätter schrieben, ist längst vorbei und damit auch die Zeit, wo der Familie, dem Volke wirklich Gutes geboten wurde. Heute findet man in der Mehrzahl der Familienbättcr durchaus Romane und Novellen, welche außer halb der Litteratur stehen, schwache, sarblose, mittelmäßige Produkte, kurz den Abschaum unserer erzählenden Produktion und so sind die Familienblätter heute fast durchaus eine Gefahr sür die Litteratur und die nationale Bildung geworden. Nicht minder gefährlich ist die populär wissenschaftliche Richtung der Familien blätter. Es gab eine Zeit, wo die ersten Ge lehrten in den Familienjournalen die Erobe rungen der Wissenschaft dem Volke in einer ge meinverständlichen Sprache zugänglich machte». Auch dies ist lange vorbei. Die Wissenschaft vermag noch weniger die Vorurteile zu schonen, als die schöne Litteratur, und deshalb erscheint sie nicht „familicnfähig". An bie Stelle der Gelehrten sind längst halbwissende Dilettanten getreten, welche des Gegenstandes, den sie be handeln, selbst nicht vollkommen sicher sind, und was ihnen an Kenntnissen fehlt, durch eine geist reich sein sollende, witzelnde Darstellung zu er setzen versuchen. Die Familienblätter degradieren somit auch die Wissenschaft und verbreiten unter dem Vor wände zu lehren, Lüge und Humbug, und dies alles Namens der Moral. Ja, ist denn diese Moral, um derentwillen pnsere Familie ver urteilt wird, ausschließlicb schlechte Litteratur und wissenschaftliche Frivolität zu verdauen, wiklich so echt und unversälscht? Diese Frage dars wohl endlich einmal gestellt und beant wortet werden. Nein, die Moral der Familienblätter ist dieses Opfer an Geschmack und Bildung nicht wert; die echte Moral ist ein Ausdruck starker Kräfte des Geistes und des Gemütes, und Kraft kann wieder nur durch Kraft geweckt werden; die Schwäche aber ist idcnlisch mit äußerlicher Heuchelei und innerlicher Verdorbenheit. Unsere Familienblätter sind gar nicht so moralisch als sie thun; sie heucheln nur, sie meiden ängstlich jede Scene, jede Gestalt, jedes Wort, an dem das Pharisäertum Anstoß nehmen könnte; aber sie thun nichts, absolut nichts, um das sittliche Gefühl zu wecken, zu heben, zu stärken. Für die Familienblätter giebt es überhaupt nur eine streng moralische Welt, nicht einmal die philisterhaste Moral im Sinne des bürgerlichen Schauspiels eines Schröder und Jffland, die Schiller so köstlich mit den Worten geißelte: „Wenn sich das Laster er bricht, setzt sich die Tugend zu Tisch", existiert sür sie mehr. Wie sollen sie das Laster ab schreckend und die Tugend nachahmenswert hin- stellcn, da das Laster aus ihren Spalten ein fach verbannt ist, und die Tugend, die niemals in ernste Versuchung geführt werden darf, keine Gelegenheit hat, sich zu bethätigen? Nein, die Familienblätter dieser Art sind nicht nur nicht moralisch, sondern in viel schlimmerem Sinne frivol und unmoralisch, als ob sie uns in die schmutzigsten Höhlen des Lasters führen würden; denn sie schmeicheln der Familie, den Frauen, der Jugend eine Welt der Lüge vor, machen sie blind gegen die Ge fahren, welche sie umgeben, und verhüllen ihnen die Abgründe ihres Weges mit Blumen, statt ihnen Brücken darüber zu bauen. Zu welchen Lächerlichkeiten übrigens schon die sogenannte Moral der sogenannten Familien blätter geführt hat, mögen einige heitere Bei spiele illustrieren. Ein Familienjournal lehnte z. B. eine Erzählung nur deshalb ab, weil in derselben die bekannte Scene vorkam, wie die Kaiserin Maria Theresia im Park zu Laxenburg dem halbverhungerten Kinde einer armen Frau die Brust gab. Es fürchtete, seine Leser könnten an dieser Scene Anstoß nehmen. Das wäre ja herrlich, da hätten es die Familienblätter ja mit ihrer Jesuitenmoral glücklich dahin ge bracht, daß die schönste Mutterpflicht bereits als unanständig gelten würde. Wahrlich, ärger kann man die Dinge nicht auf den Kopf stellen. Heißt das für die Familie schreiben, wenn man die erste, wichtigste und heiligste Grund lage der Familie, die Mutterliebe, durch den Stempel der Obscönität brandmarkt? Man hat Zola die häßliche Entbindungsgeschichte in .,kot bouillu" so übelgcnommen. Nun, weiß Gott, wenn cs in Deutschland bereits als un anständig gilt, einem Kinde die Brust zu geben, haben wir kein Recht, so laut gegen Zola zu protestieren. Unsere Prüderie, unsere Familien blätter sind dann genau zu demselben Ziele gelangt, wie die französische Sittenfreiheit und der französische Naturalismus; nur der Weg war ein anderer. Die Frauenbrust scheint den Familien blättern übrigens ganz besonders ein Greuel zu sein; eines derselben hat die bekannte spin nende Zigeunerin von Vastag reproduziert, jedoch erst, nachdem der Redaktionsschneider derselben die entblößte Brust sittsam verhüllt hatte. Ein anderes Familienblatt strich in dem Satze: „Julia war eine majestätische Er scheinung mit stolzem Blick und einer üppigen Büste" das Wort „üppig". Der Satz erinnerte in seiner moralisch redigierten Fassung „Julia war eine majestätische Erscheinung mit stolzem Blick und einer Büste" an jenen österreichischen Censor, welcher in einem geographischen Lehr buch in dem Satze: „Die Kosaken sind ein Reitervolk und reiten aus kleinen Pserden" das Wort , klein" strich, weil cs ihm der Würde des Czaren abträglich schien, die Kosaken auf kleine» Pserden reiten zu lassen. Der Satz lautete hieraus: „Die Kosaken sind ein Reiter volk und reiten aus Pserden". Wie wenn es Reitervölker geben würde, die auf Hunden oder Eseln reiten. Auch bloße Arme sind verfemt, ja Arme überhaupt. In einem Roman wurde die Steller „Ein kleiner Fuß schlüpfte in das Zimmer, und ein schöner, bloßer Arm verlöschte das Licht" in der Eile so kräftig redigiert, daß es in dem betreffenden Familienblatte sodann hieß: „Ein kleiner Fuß schlüpfte in das Zimmer und ver löschte das Licht". Die Dame, die dieses Kunststück zuwege brachte, muß früher minde stens dem Corps de Ballet angehört haben. Ähnliche Excmpel ließen sich zu Hunderten anführen. Doch cs genügt nicht, über den Blödsinn der Familienblätter zu lachen, und es genügt auch nicht, dieselbe» kritisch zu befehden; cs muß thatsächlich Besseres geboten werden, um dieser moralischen Seuche vollständig Herr zu werden. Dies scheint I. H. Schorer in Berlin erkannt zu haben, indem erFranzHirsch zur Redaktion seines „Familienblattcs" berief. „SchorersFamilienblatt" hatvon Anfang an eine vornehme Ausnahmestellung eingenom men; doch ist erst seitdem Hirsch die Leitung desselben übernommen hat, in jeder Richtung ein neues, frisches, kräftiges und eigenartiges Leben in dem Blatte zu spüren. Dem treff lichen Texte stehen durchaus vorzügliche Illu strationen zur Seite. Einen besonderen Rei^ verleihen dem Blatte die demselben beigegcbenen Bildermappen; die in denselben enthaltenen Blätter sind in Kupferstichnianicr gehalten und haben sowohl in Bezug auf die Wahl als die Ausführung der Bilder entschiedenen Kunstwert. So wollen wir denn hoffen, daß Schoners Familienblatt mehr und mehr mit den alten verrotteten Traditionen unserer Familienjour- uale bricht und nicht im Sinne mattherziger Buchhändlerspekulaiion, sondern edler, kräftiger Volkscrziehung ein Blatt für die deutsche Familie wird. Es wird dann keinen Rivalen haben und in kurzer Zeit jede Konkurrenz sieg reich überwinden. Abdruck aus der Zeitschrift „Auf der Höhe"-
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