Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.12.1869
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- 1869-12-15
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- 15.12.1869
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4170 Nichtamtlicher Theil. ^1« 291, 15. December- Das Flick'schc Geschäft, welches nun „Heinrich Remigius Sauerländer" firmirte, nahm bekanntlich einen unerwartet blühen den Aufschwung. Das kleine Landstädtchcn Aarau war mit einem Male der Ccn- tralpunkt eines politischen Lebens geworden, an welchen sich in jener stark bewegten, aber auch großen Anschauungen zugänglichen Zeit ein reiches geistiges Leben aulchnte. Außer Heinrich Zschokkc hatten ihren ständigen Wohnsitz dort aufgeschlagen: der Napoleonische Ge neral Rapp, der vertriebene König Gustav Wasa von Schweden, die Naturforscher Schmibt-Phiscldeck und Vater Meier, der Philosoph Trorler und andere Männer von hoher Begabung. Eine Fülle von solchen Capacitätcn auf einen so engen Boden zusammcngedrängt, auf sich selbst und auf den Verkehr mit der jun gen Verlagshandlung angewiesen, welche die geistigen Beziehungen mit dem Weltmärkte offen zu halten berufen war, mußte natürlich auf einen strebsamen Jüngling, der mit leichter Auffassungsgabe, frischen Sinnen und kräftigem Naturell ausgestattet war, einen auf das ganze Leben nachhaltigen Einfluß ausübcn. Aus einer solchen Schule ging Joh. David Sauerländcr hervor, der im späteren Leben nie vcrleugnele, daß seine heitere Lebeusanschauung, sein kräftiger Manncsmuth und seine liberale Ueberzeugung ein unveräußerliches Erbtheil jener Tage war. Nachdem Johann David Sauerländer als dann während des Jahres 1815 bei Mohr & Zimmer in Heidel berg conditionirt hatte, ging er 1816 nach Frankfurt, woselbst er die väterliche Buchdruckerei übernahm und mit derselben das von ihm gegründete Verlags- und Sortimcntsgeschäft verband. Sein Verlag hatte keine besondere Richtung, und wir begeg nen in ihm wissenschaftlichen neben populären Werken, dem belle tristischen Erzeugnisse neben dem Andachtsbuche, der Kindcrschrift neben dem politischen Libell. Die ganze Natur des Verlegers war danach angethan, entfernt von jeder Einseitigkeit das Lcbcnnach allen Richtungen hin zu ergreifen und sich zu eigen zu machen. Thätigkcit War sein Bedürfuiß; „Leben und leben lassen" der Wahlspruch, den er beständig im Munde führte, und den wir so recht als den leben digen Ausdruck seiner humanen Gcistcsrichtung hiunchmcn können. Eine eingehende Beleuchtung des Sauerländcr'schen Vcrlagsgeschäf- tes mag hier nicht am Platze sein; dennoch aber mögen einige Epi soden zur Jllustriruug des Verlegers und der Zcitcpochc dienen, welcher seine Thätigkcit angehörte. Kaum ctablirt, erwarb er von Lcske in Darmstadt den Hessi schen Hofkalendcr, Welchen er alsdann unter dem Titel: „Rheini sches Taschenbuch" herausgab. Als nun der erste Jahrgang als Novität den „Narr des 19. Jahrhunderts" von Zschokke brachte, rescribirtc das Ministerium du Thil an den Verleger, daß die seither unter dem Scparattitel „Hessischer Hofkalender" von dem großhcrzoglichcn Hofe zu Darmstadt bezogenen 75 Exemplare von nun an gekündigt, auch dem Verleger aufgegcben werde, sich künftig der Bezeichnung „Hessischer Hofkalender" zu enthalten und die Genealogie des hessischen Hofes, welche seither an der Spitze stand, nunmehr nach der Rangordnung der regierenden Häuser einzureihen. Diese verderbenschwangere Maßregel war dadurch motivirt, daß der Hofkalendcr im „Auslande" (nämlich sechs Stunden entfernt von der Residenzstadt Darmstadt) erscheine und offenbar „destruk tive Tendenzen" verfolge, wie aus der „der Narr des 19. Jahr hunderts" betitelten Erzählung eines „gewissen" Zschokke hervor gehe. Wie man sich erinnern wird, waren damals die Auflagen klein und die Ladenpreise hoch. Um so schmerzlicher erschien der Verlust von 75 zum vollen Ladenpreis direct bezogenen Exemplaren. Dessenungeachtet sollte der junge Verleger gleich bei seinem ersten Debüt die Erfahrung machen, daß die Gunst der deutschen Nation höher steht, als die Protection der Höfe. Um jene Zeit entstand in der Kalkulation belletristischer Werke eine Revolution. War man seither gewöhnt, den Absatz nach dem notwendigen Bedürfnisse der Leihbibliotheken und dem Luxus weniger hochstehenden Personen zu bemessen, die nach dem Preise eines Buches sich gar nicht erkundigten, so gründete man jetzt die Berechnung auf das Bedürfniß des gesummten Publicums, wobei man den Absatz statt nach Hunderten, nach Tausenden, und bald nachHundert- tauscnden berechnen durste. Walter Scott eröffncte den Reigen. Sauerländcr folgte mit den Ucbersetzungen der Amerikaner Cooper, Irving, Paulding, Bird. Diese Art von Edition und Calcu lation erreichte ihren Höhepunkt in den zwanziger Jahren, deren Geschichte dadurch einigermaßen ausgezeichnetest. Aber schon in den dreißiger Jahren, mit dem Wiederer wachen des nationalen Bewußtseins, wollte die fremde Kost nicht mehr ausschließlich genügen. Es kam die Zeit des jungen Deutsch lands. Duller, Gutzkow, Grabbe und Andere siedelten sich in Frankfurt an. Bei Sauerländer erschien der „Phönix", cinebellctristisch-litera- risch-artistische Zeitschrift, welche den Bestrebungen des jungen Deutsch lands als Ccutralorgan diente, und füglich als einer jener Sturm vögel betrachtet werden durfte, welche den Anzug einer Katastrophe zu signalisiren pflegen. So kam das Jahr 1848, welches der beim Ausbruch der ersten französischen Revolution 1789 geborene Sauerländer noch in voller Manncskraft erlebte. Bei ihm erschienen die stenographischen Berichte über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung. Das in unmittelbarer Nähe derPaulskirche liegende Geschäftshaus war der natürliche Sammelplatz aller jener hervorragenden Geister, die damals in Frankfurt verkehrten; — ein Zeitabschnitt von kurzer Dauer in der politischen Geschichte Deutsch lands, heute, durch den Gang, welchen die Ereignisse nahmen, kühl beseitigt, und doch unvergeßlich allen Denen, welche das Heil der Nation nur auf dem Wege einer aus dem Schoße der Nation un mittelbar sich kundgcbcnden Kraft erwarten. Mit herannahendcm Alter zog sich Sauerländer mehr und mehr von den Geschäften zurück. Dochcrlcbte ernochdicGcnugthuung, daß zwei Perlen deutscher Dichtung aus seinem Verlage hervorgin gen: die gesammelten Werke von Clemens Brentano und von Fried rich Rückert. Auch war cs ihm als angehenden Siebziger noch einmal vergönnt, durchHcrausgabc der Prachtausgabe von Rückert's Liebesfrühling dem deutschen Vcrlagsbuchhandcl einen Impuls zu geben, der nicht ohne Beifall und Nachahmung blieb. Am 26. November 1869, dem Buß- und Beilage, schloß sich ein reiches, viclbewcgtes Leben, das manche Parallele mit dein um wenige Monate früher verstorbenen Freunde und Kollegen CarlJügel zu ziehen erlaubt. Waren doch die Beiden nicht bloß durch ihren Wohnort eng verbunden; war vielmehr die kernige Natur des Einen so recht zur Ergänzung der milden Denkweise des Andern angelegt. Jügcl war um 7Jahrc älter und hielt sich länger aufrecht. AlsAn- fang 1869 die Lebenskraft Sauerländer's zu erlöschen drohte, sandte ihm Zügel aus seinem Keller ein paar Flaschew alten Wein als Lebenselirir mit der Mahnung, daß ihm, als Aelterem, der Vortritt gebühre und daß der junge Sauerländer warten möge, bis der alte Zügel ihm das Quartier im Jenseits bestellt habe. Sauerländcr trank den Wein und wartete geduldig. Müde und matt bis zum Sterben war er noch immer gefällig, denn dies war der Grund ton seiner ganzen Persönlichkeit. Unter Prüfungen des Schicksals niemals verzagend, bei Gunstbezeugungen des Glückes niemals über- müthig, war er im bürgerlichen Leben mit Herz und Hand zu jedem gemeinnützigen Wirken bereit, als Haupt seiner Familie von innig ster Liebe umruugen, im Freundeskreise seiner frischen Laune wegen hochgeschätzt. Seinen Grabstein schmückt der Denkvcrs aus Rückert's Weisheit des Brahmanen: Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht; Doch dies: von Gott zu Gott! ist meine Zuversicht.
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