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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.11.1869
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1869-11-17
- Erscheinungsdatum
- 17.11.1869
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- Deutsch
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HL 268, 17. Novcmbcr. Nichtamtlicher Thcil. 3789 was man darin nicht findet. Wenn der Frenide, der nach Deutsch land kommt, aus den Büchern, die ihm auf unseren Perrons angebo ren werden, sich ein Bild von dem gegenwärtigen Zustand der deut schen Literatur machen wollte, so würde dasselbe über alle Begriffe beschämend für uns ausfallen. Der Engländer wie der Franzose sind gewohnt, auf ihren Bahnhöfen alle bemerkenswerthen Erzeug nisse der Periode vorzusinden, die Romane, die Reisebeschreibungen, die populär gehaltenen Werke der Naturwissenschaft, der Geschichts schreibung rc. Aus keiner englischen Station wird man die Bücher von Dickens, von Thackeray, von Macaulay, von Stuart Mill, von Lyell, von Darwin; und aus keiner französischen die von Victor Hugo, George Sand, Dumas Fils, Octave Feuillct, Renan, Michclet, Maury u. A. vergeblich suche». Mögen immerhin diese „st^ndaiä Lutbors", diese Muster-Autoren umgeben sein von ganzen Haufen werthlosercr Unterhaltungslcctürc, die den Tag nicht überlebt: das Gute fehlt doch nicht und cs findet überall seine Liebhaber. Sogar die Dichter — unerhörte Sache für ein deutsches Eisenbahnpublicum! — sind vertreten; in schönen, wiewohl billigen Ausgaben leuchten uns die 'Rainen Shakspcare und Milton, Burns und Byron — die Na men Corneille, Racine, Voltaire und Böranger diesseits und jenseits des Canals aus den dichtgeprcßtcn Bücherreihen der Stationsbiblio- thckcn entgegen. Ja, man ist sicherer, auf einem französischen oder englischen Bahnhof einen Band von Goethe zu finden, als auf einem deutschen. Und doch kann man längst nicht mehr zur Verteidigung dieser Thatsache den Umstand anführen, daß die Bücher in England und Frankreich wohlfeiler wären, als bei uns. Wir haben die besten, die schönsten und die billigsten Classikerausgabcn; warum sieht man sic nicht auf unseren Bahnhöfen? Warum wagt man es, uns fort während noch diesen Schund an die Fenster der Coupäs zu reichen, dieses niedrigste Fabrikat der Gcrichtszeitungsmanufaetur, diese gemei nen und witzlosen sogenannten „humoristischen" Schriften, diese Belei digung für unseregute, deutsche Literatur? Man mustere die Bücher schränke aus den weitaus meisten und größten unserer deutschen Bahnhöfe und gebe sich Rechenschaft über das Resultat! Wir wollen weder Titel noch 'Namen nennen, wissen auch nicht, an welche Adresse wir diescwohlbegründete Klage zu richten haben; aber irgendwo muß doch die Hand und der Kopf sein, welcher diesen wahrlich nicht zu unterschätzenden Nebenzweig des deutschen Buchhandels lenkt und ihm seine Richtung gibt. Es ist ein Markt, welcher, vernünftig ge leitet, für alle Beteiligten von der größten Bedeutung werden könnte; welcher nicht nur seine Grenzen täglich erweitern und an Ausdehnung immer gewinnen, sondern auch ein Regulator des Geschmacks werden und den Verkauf wirklich guter Bücher massenhaft befördern würde. Von dem erbärmlichen Zeug, wclckes uns jetzt mcistentheils präscn- tirt wird, wendet jeder gebildete Reisende sich entrüstet zurück, der schlimmeren Fälle gar nicht zu gedenken, wo Titel oder Titelbild von einer Art sind, daß man sie in Gegenwart einer Dame nicht anschen kann, ohne sich zu genircn. 61,neun son goüt. Wir wollen nicht so prüde sein, um gleich den Londoner,, diese Sorte von Literatur auf eine eigene Straße zu verweisen: mag sie feilgcboten werden, so lange sie Käufer findet. Die Kritik ist kein Areopag und hat mit diesem Lorcttcnkram, der den Herodes von Paris in seinem ungelen ken Deutsch über-herodisirt, einfach nichts zu thun. Aber er sollte doch wenigstens nicht der cinzigc Repräsentant deutscher Literatur auf unseren Bahnhöfen sein. Wenn man einmal prätendirt, dort Bücher zu verkaufen, so sollte man doch auch die guten nicht geradezu ver bannen. Wir haben die vorzüglichsten Ausgaben deutscher Clasfiker der Firmen von Cotta, von Brockhaus, von Hempel, von Payne; wir haben die reizenden illustrirten Bändchen von Grote, die sich mit irgend einem Product des außcrdcutschcn Buchhandels messen können; wir habendie ausländischenElassiker in den musterhaftenUebersehun- gcn des Bibliographischen Instituts und von A. Hofmann L Co. Wir haben alles dies, so gut und noch besser, wie Frankreich und England; wir haben sogar, was Frankreich und England nicht hat' in der Sammlung gemeinverständlicher Vorträge von Holtzcndorff und Virchow einen Schatz populärer Belehrung, die sich über alle Gebiete menschlichen Wissens und Forschens in der anziehendsten Weise ver breitet. Wir schweigen von einer ganzen Reihe anderer und ähnlicher Werke, die namentlich aufzuführcn viele Seiten nicht genügen wür den, und fragen nur: warum, da wir es doch besitzen, stellt man der gleichen nicht auf unseren Bahnhöfen zum Verkauf aus? Der Preis, wie gesagt, kann nicht geltend gemacht werden; denn alles, was wir bisher genannt, verkauft sich einzeln, in Bänden und in Heften, zu einem Spottpreis, der durchschnittlich noch unter dem Betrage dessen ist, was für die bisher auf den Stationen ausgestellten Abnormitäten der deut schen Literatur gefordert wird. Man komme mir auch nicht damit, das deutsche Publicum selber für diese Misere verantwortlich zu machen. Man hat oft genug gesagt/es sei im Allgemeinen kein lesendes Pu blicum, und noch eher ein lesendes, als ein bücherkaufendes. Gebt ihm nur gute Bücher in einer billigen und handlichen Form und es wird sie sicher kaufen, auf den Bahnhöfen noch viel mehr, als in den Buchhandlungen der Städte. Und außerdem spricht der Erfolg für meine Ansicht. Ich kenne natürlich nicht alle Etablissements dieser Art in Deutschland; allein ich kenne keines, das nach einem groß artigem Maßstab angelegt und geführt wäre, als dasjenige des Bahnhofs in Cöln. Es war spät am Abend, als der Zug, der mich hcilnwärts führte, in die prächtige Halle dieses Bahnhofs einlief. Man hatte Zeit zum Soupiren und man soupirte vortrefflich; die Speisen und der Wein waren von einer außergewöhnlichen Güte. Was man sah, machte den Eindruck des Behaglichen und komfor tablen: die hohen, reichbcsetzten Büffets, die hübsch gedeckten Tische, die weiten, voll erleuchteten Säle. Ganz besonders hell, unter dem Schein von mehreren Reflectoren, strahlte der Theil des Hauptsalons, wo sich die Bibliothek befand. Meinen literarischen Neigungen ge mäß folgte ich, nachdem ich soupirtund die Cigarre angezündct hatte, dem Lichte der Reflectoren, wiewohl ohne große Hoffnung in Bezug auf das, was ich unter ihnen entdecken würde. Doch wie angenehm wurde ich enttäuscht! Ich fühlte mich in die allerbeste Gesellschaft versetzt, als ich mich unter diesen Bücherbretern umsah. „Und ist dies wirklich die Eisenbahnbibliothek?" fragte ich den jungen Mann, der hier die Honneurs der deutschen Literatur machte. — „ Sic ist es", erwiderte derselbe, indem er mich artig einlud, näher zu treten. Und da fand ich, theils auf den Tischen ausgcbreitct, theils in den hohen Regalen stehend, die Werke von Paul Heyse, von Berthold Auerbach, von Fritz Reuter, von Gustav Freytag, von Spiel hagen, von F. W. Hackländer, von Turgeniew — ich fand sogar Gedichte — ich traute meinen Augen kaum! Hcine's „Buch der Lie der" und „Neue Gedichte". „Und verkauft sich das alles?" fragte ich mit einem ungläubigen Blick. — Der junge Mann lächelte. Doch ich wollte, daß die Herren vom Metier in Berlin und anders wo dies Lächeln gesehen hätten; sic würden sich dann vielleicht ent schlossen haben, ihre Meinung vom Publicum und ihr Sortiment auf den Bahnhöfen zu verbessern. Die Welt macht freilich aus uns nicht mehr, als wir aus uns selber machen. Das ist ein altes Wort. Man liest jetzt so viel von den Einladungen, welche an die Hauptrepräscntanten aller Litera turen im Namen des Vicekönigs von Egypten ergangen sind. Wir hören, daß Alexander Dumas Fils, Tehophile Gauticr, Arsene Houssaye, Paul de Saint-Victor, „ainsi gu'un Arsncl nonadrs äs inembrss äs 1s. prssss purisisnns", unterwegs sind, um den Jnau- gurationsfesten des Canals von Suez beizuwohnen, als Gäste des Khedive, der alle Kosten bestreitet. Wer bestreitet die Kosten der deutschen Literatur? Ich glaube, sie wird cs selber thun und der Gast der Stangen'schcn Expedition sein müssen, wenn sie überhaupt nack Suez reisen will. Es sind zwar auch einige Professoren und Gelehrte aus Deutschland eingcladen worden; aber kein Mensch wird
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